Rückblick 2008 - 12 x drei

Allüberall gibt es Jahresrückblicke, Trotzdem biete ich mit „12 x 3“ wieder eine andere Sicht an, drei ausgewählte Ereignisse je Monat aus meinem Kalender.

Januar

Im Januar 1948 wurde die Berliner Vereinigung Verfolgter des Naziregimes gegründet. Dem war eine Konferenz über seine wechselvolle Geschichte bis hin zum VVN-BdA e. V. gewidmet. Das Grußwort sprach Walter Momper (SPD), Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses. Keine Selbstverständlichkeit angesichts der Distanz, die seine Partei stets zu der Vereinigung pflegte.

Am 27. Januar fanden Wahlen in Hessen und Niedersachsen statt. DIE LINKE zog nach Bremen, später auch Hamburg, dort als Fraktion in die Landes-Parlamente ein. In Hessen wurde danach versucht, Ministerpräsident Koch (CDU) abzulösen und eine Regierung aus SPD und Grünen zu bilden, toleriert von der Linkspartei. Das scheiterte Monate später u. a. an vier SPD-Mitgliedern.

„Datenschutz macht Schule“ war eine Initiative zum 2. Europäischen Datenschutztag am 28. Januar überschrieben. Gemeinsam mit dem Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit von Mecklenburg-Vorpommern, Karsten Neumann (DIE LINKE), diskutierte ich mit Schülerinnen und Schülern des Deutsch-Polnischen Gymnasiums in Löcknitz.

Februar

Die Fraktion DIE LINKE hatte am 11. Februar 2008 Wissenschaftler und Praktiker aus Ost und West zu einer Anhörung eingeladen. Das Ergebnis fiel wie erwartet und daher höchst unbefriedigend aus. Die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind ineffektiv. Sie behindern zivilgesellschaftliche Initiativen mehr, als sie nutzen.

Parteien ohne Volk - zur Zukunftsfähigkeit der Parteiendemokratie“ hieß ein Symposium vom „Adolf-Arndt-Kreis“ in Frankfurt am Main. Ich diskutierte mit Politikern aller Bundestagsparteien und forderte mehr direkte Demokratie auch auf Bundesebene. Zwischendurch war ich in der Pauls-Kirche und lernte: 1848 gab es fünf Linksfraktionen im Parlament, jede mit einer eigenen Kneipe.

Vier Tage Israel: Ich war gebeten worden, als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages in Jerusalem auf einer internationalen Konferenz gegen Antisemitismus zu reden. Der Besuch war intensiv. Zumal Israel 60 Jahre alt wurde. Dazu sprach ich später in einer Extra-Plenar-Debatte im Bundestag. Meine Rede ist nachlesbar und kann auch als Video nachvollzogen werden.

März

Noch immer gibt es Montags-Demonstrationen gegen „Hartz IV“. Sie hatten 2004 bundesweit ihren Höhepunkt, als die so genannte Arbeitsmarkt-Reform der damals regierenden SPD und Bündnis 90/Die Grünen massenhaft ihre unsozialen Wirkungen entfalteten. Am 17. März 2008 sprach ich auf dem Marktplatz in Weißenfels (Sachsen-Anhalt) zu den rund 100 Unentwegten.

Erwin Geschonneck ist gestorben. In West-Nachrufen wurde er als Hans Albers des Ostens gepriesen. Was für eine Arroganz. Er überlebte mit viel Glück die Hölle des Faschismus und er war ein engagierter Volksschauspieler im besten Sinne - in der DDR und hoch betagt auch noch im neuen Deutschland. Ihm zu Ehren durfte ich eine Ausstellung eröffnen. Ich tat es mit Wehmut.

Das Fan-Projekt FC Werder war eine Station meines zweitägigen Besuches in Bremen. Ich informierte mich über deren Erfahrungen im Kampf gegen Rechtsextremismus rund um den Fußball. Außerdem besuchte ich die Bremische Bürgerschaft und die Universität Bremen. In der „Red-Lounge“ diskutierten wir abends zudem öffentlich über Bürgerrechte, Demokratie und anderes mehr.

April

„Einer trage des anderen Last“ heißt eine Veranstaltungsreihe von mir im Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf. Am 2. April 2008 war Prof. Götz Werner mein Gast, ein unterhaltsamer Werber für ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle. Die Faktion DIE LINKE ist mehrheitlich dagegen. Das respektiere ich, obwohl ich aus bürgerrechtlichen Erwägungen eher dafür bin.

Eine CDU-nahe Studenten-Organisation hatte mich nach Lutherstadt Wittenberg eingeladen. Das Thema der Veranstaltung mit rund 100 Teilnehmern hieß: „Wie viel Staat verträgt die Demokratie?“ Hauptredner waren der Britische Botschafter in Deutschland und ich. Ein Provinz-Journalist verriss hernach meine Rede als typisch links-ideologischen Schwachsinn.

2007 wurden die „Diäten“ für Bundestags-Abgeordnete erhöht. DIE LINKE hatte dagegen gestimmt, auch ich. Da die Mehrbezüge aber für alle gelten, beschloss unsere Faktion, sie an Bedürftige weiter zu reichen. So übergab ich unter anderem einen Scheck über 300 Euro an eine „bewegte Grundschule“, also für bessere Bildung. Die anderen Fraktions-Kollegen handeln ebenso.

Mai

Am 5. Mai 1818, also vor 190 Jahren, wurde Karl Marx geboren. Meine Fraktion bat mich daher um ein „Interview der Woche“. Inzwischen wirbt DIE LINKE - nicht nur unter Studenten - dafür: Marx endlich wieder lesen. Namhafte Wissenschaftler, wie Pof. Altvater oder Prof. Haugk, bieten sich dafür als Gesprächspartner an. Das findet zunehmend Zuspruch und das lässt hoffen.

Kommunal-Wahlen in Schleswig-Holstein. Ich half der LINKEN z. B. im Kreis Lauenburg beim Straßenwahlkampf. In Mölln diskutierte ich zudem auf einer Podiumsveranstaltung „für Bürgerrechte - gegen Überwachung“. In Lübeck besuchte ich eine „Bürger-Initiative gegen Fluglärm“. Noch wichtiger ist: Wir konnten ihr via Bundestag helfen, den Luftverkehr einzudämmen.

Die evangelische Kirche Westfalen führte in Berlin eine Bildungswoche für Polizei-Beamtinnen und -Beamten durch. Thema: „Die deutsche Einheit wird volljährig...“ Wir diskutierten über zwei Stunden lang über den realen Ost-West-Alltag anno 2008. „Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren danach sehr nachdenklich“, versicherte mir der Projektleiter einen Tag später - dankbar.

Juni

Tausende Landwirte demonstrierten am Berliner Brandenburger Tor, ich war dabei. Sie kamen aus allen Bundesländern und forderten kostendeckende Milchpreise. Mit einem Lieferboykott hatten sie versucht, die Molkereien unter Druck zu setzen. „Mindestlohn für Kühe“, stand auf Transparenten. Es war die größte Bauern-Erhebung seit vielen Jahren - allerdings mit mäßigem Erfolg.

Der diesjährige Christopher Street Day in Berlin brachte rund 500.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die Straße. Erstmals wurden ein „Preis für Zivilcourage“ vergeben. Ich sprach auf der Abschluss-Kundgebung die Laudatio für Preisträger Michael Unger. Er hatte sich bereits zu DDR-Zeiten für die Schwulen-Szene engagiert und er tut es noch immer.

Premiere: Die Partei und die Fraktion DIE LINKE sowie die Tageszeitung "Neues Deutschland" fanden sich zusammen. Heraus kam ein „Fest der LINKEN“, drei Tage lang in der Kultur-Brauerei in Berlin Prenzlauer Berg, mit Politik, Kultur, bunten Markttreiben und viel Zuspruch. Ich war mehrfach gefragt und finde: Ein guter Anfang mit dem Potential für eine linke Tradition.

Juli

Zum 4. Mal wurde in Berlin der Avitalls-Cup ausgespielt. Die Idee für das inter-religiöse und multi-kulturelle Fußball-Turnier hatte die Kantorin der Jüdischen Gemeinde, Avitall Gerstetter. Begonnen hatte es mit vier Mannschaften. Diesmal wetteiferten elf Männer- und sieben Jugend-Teams. Ich betreute erneut die muslimische Elf und sorgte zudem für Speis und Trank.

Der Kreisverband Donau-Ries feierte „ein Jahr DIE LINKE“. Damals, am 17. Juni 2007 konnte ich als Versammlungs-Leiterin des Parteitages offiziell die Gründung der neuen Partei verkünden. Nun hielt ich eine Festrede im schwäbischen Bayern. Die Mitgliederzahl in diesem Kreis war übrigens binnen eines Jahres von ursprünglich vier auf inzwischen 135 angestiegen.

Seit Geraumen hat die Fraktion DIE LINKE bei der Internet-Plattform Youtube einen eigenen Kanal. Dort kann man Statements und Reden in Wort und Bild nachvollziehen. In meinem Juli-Podcast widmete ich mich der zunehmenden Demokratie-Verdrossenheit in Ost und West. Dagegen, so meine These, hilft nur mehr Demokratie, mehr direkte Demokratie auch auf Bundesebene.

August

Der Ältestenrat der Partei DIE LINKE hatte eine „Erklärung zum Umgang mit der Geschichte“ veröffentlicht. Das von Hans Modrow inspirierte Anliegen ist lobenswert. Zumal alle konkurrierenden Parteien 2009 einen primitiven Wahlkampf-Feldzug gegen DIE LINKE führen werden. Gleichwohl ging ich zu der Empfehlung auf Distanz - nachzulesen in einer weiteren „Aktuellen Notiz“.

THW in Ravensbrück: Am 25. August besuchte ich die KZ-Gedenkstätte. Dort befassten sich gerade Jugendliche aus Berlin-Brandenburg mit der NS-Geschichte und sie halfen praktisch, die Erinnerung zu bewahren. Zu unseren Gesprächspartnern gehörten auch die Ravensbrück-Überlebende Esther Bejarano und der Präsident des Technischen Hilfswerkes Albrecht Broemme.

In Rheinland-Pfalz diskutierte ich Ende August in Kaiserslautern mit Kirchenvertretern und Gewerkschaftern über Strategien gegen die zunehmende Kinderarmut. Zu einer weiteren Podiumsdiskussion, diesmal gegen Rechtextremismus und mit Monika Lazar (Bündnis 90/Die Grünen), hatte mich das regionale Bündnis für Vielfalt und Toleranz nach Bad Dürkheim geladen.

September

Anfang des Monats war die Landtagsfraktion der Linken in Mecklenburg-Vorpommern in Klausur. Ich war gebeten worden, über das Verhältnis von Kirche, Staat und LINKE zu sprechen. Außerdem ging es um das Schulfach „Ethik“. In Berlin läuft dagegen gerade eine höchst fragwürdige Kampagne „Pro Reli“. Auch dazu bot ich auf meiner Web-Seite eine „Aktuelle Notiz“ an.

2008 war ein Jahr der Daten-Skandale. Am 4. September suchte Innenminister Schäuble mit einem so genannten Datenschutz-Gipfel die Offensive. Es war ein Hügelchen, befand ich in der Plenar-Debatte danach. Schon Monate vordem hatte ich in einer Bundestags-Rede die grundsätzlichen Positionen der Fraktion DIE LINKE zum Datenschutz im 21. Jahrhundert dargelegt.

Die CSU blies zum Kreuzzug gegen DIE LINKE. Parallel kündigte die CDU in Sachsen das Bündnis aller demokratischen Parteien gegen Rechtsextremismus auf, wegen der Linkspartei. Zugleich demonstrierte ich in Memmingen (Allgäu) gegen einen Aufmarsch der NPD - mit den Grünen, der SPD, der FDP und der CSU vor Ort, wir alle gemeinsam mit vielen Bürgerinnen und Bürgern.

Oktober

In Berlin-Neukölln leben viele Migrantinnen und Migranten. Dort besuchte ich die „Stadtteil-Mütter“, hoch engagierte Frauen verschiedener Herkunft, die sich um eine bessere Integration kümmern. Für das 2008 erschienene Buch „Vom christlichen Abendland zum abrahamischen Europa“ sollte ich übrigens einen Beitrag schreiben. Ich argumentiere darin gegen eine „deutsche Leitkultur“.

1998 gab es eine bundesweite Bewegung „Bis hierhin und nicht weiter!“ Sie richtete sich gegen die unsoziale Politik der Ära Kohl und verhalf der SPD und Bündnis 90/Die Grünen ins Regierungsamt. Nunmehr, zehn Jahre später, beschrieben Ulrich Maurer und ich in einem Doppel-Interview für die Linksfraktion kurz unsere jeweilige Sicht auf Rot-Grün im Rückblick.

Ebenfalls vor zehn Jahren lud Gregor Gysi in seinem damaligen Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf erstmals ansässige Unternehmer zum linken Frühstück ein. Später entwickelten wir daraus einen ständigen Gesprächskreis. Zum Jubiläum folgten Einhundert Interessierte meiner Einladung - und Gregor Gysi. Es ging um die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise und um linke Alternativen.

November

Der 9. November ist in der jüngeren deutschen Geschichte ein markantes Datum: November-Revolution 1918, Reichspogromnacht 1938, Grenzöffnung 1989 sind nur ausgewählte und zudem höchst widersprüchliche Ereignisse, die auf dieses Datum fielen. Gelegentlich wird vorgeschlagen, dies alles mit einem Gedenktag in Deutschland zu würdigen. Dagegen habe ich mich erneut verwahrt.

Seit über einem Jahr kann man auf meiner Web-Seite „Unsere Besten“ küren. Monat für Monat stehen drei Kandidaten zur Auswahl, die aus der profanen Reihe fielen. 2008 gab es übrigens erstmals ein Unentschieden, also absolut zwei Gleich-Beste: Kanzlerin Angela Merkel und Bahn-Chef Hartmut Mehdorn. Bleibt die Frage: Was verbindet beide darüber hinaus?

„Einstimmig gegen Antisemitismus“ hießen die gutwilligen Schlagzeilen nach einer umstrittenen Abstimmung im Bundestag. "Zensur mit Stasi-Methoden" titelten böswillige Medien nach einer rechtlichen Intervention gegen Wikipedia. Beide Schlagzeilen hatten leider etwas mit der Fraktion DIE LINKE zu tun. „Linke Selbsttore“, befand ich in einer weiteren „Aktuellen Notiz“.

Dezember

60 Jahre allgemeine Erklärung der Menschenrechte, das war das Thema einer Veranstaltung der Linken im Freiheits-Museum in Rastatt. Der örtliche SPD-Vorstand protestierte in wohlfeilen Medien forsch gegen meinen Auftritt. Das erwies sich letztlich als kostenlose Werbung für DIE LINKE. Wichtiger aber war mir das Thema: Ein ernstgemeinter Gedankenflug nach Utopia.

Er galt lange als europa-weit modernster Veranstaltungs-Komplex. Nach der Vereinigung wurde das DDR-Gebäude als Ballast politisch abgeschrieben. Nun ist der „demokratische Rückbau“ vollbracht. Gesine Lötzsch und ich übergaben dem „Freundeskreis“ eine Spende des Vereins DIE LINKE. Sie soll helfen, die Erinnerung an den geschleiften Palast der Republik wach zu halten.

Politik-Studenten der Uni Kassel diskutierten mit mir über die neue „Herausforderung“, die einem 5-Parteien-System innewohnten, wie man aktuell in Hessen erleben könne. Ich erinnerte, dass es in der Hauptstadt Berlin, der einzigen Ost-West-Stadt Deutschlands, seit 1990 ein 5-Parteien-System gibt. Bestenfalls unterbrochen, wenn die FDP die 5-Prozent-Hürde gerissen hatte.

2008 Unterwegs: Als linke Abgeordnete und Vizepräsidentin des Bundestages engagierte ich mich natürlich in Berlin, allemal im Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf. Aber ich war auch wieder bundesweit und weiter unterwegs: zum Beispiel in Ahrensburg, Altenhof, Anklam, Annaberg-Buchholz, Asbach- Bäumenheim, Bad Dürkheim, Bethlehem, Brandenburg, Bremen, Buchenwald, Cottbus, Dresden, Frankfurt a. M., Fredersdorf, Freising, Fürstenberg, Haldensleben, Halberstadt, Hamburg, Heidelberg, Jerusalem, Kaiserslautern, Kaisheim, Kassel, Kiel, Köln, Leinenfelden-Echterdingen, Löcknitz, Lutherstadt Wittenberg, Lübeck, Magdeburg, Mölln, München, Memmingen, Neuenhagen, Nörtlingen, Oldesloe, Oberstaufen, Paris, Prora, Rastatt, Sassnitz, Stralsund, Stomarn, Tel Aviv, Templin, Weimar, Weißenfels, Wohlenberg, Wroclaw und Wunsiedel
 
Petra Pau
29. 12. 2008

 

 

29.12.2008
www.petra-pau.de

 

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