Aktuelle Notiz: Linke Selbst-Tore

von Petra Pau
Berlin, 20. November 2008

1. 

Die Schlagzeilen sind eindeutig. Und sie bleiben hängen. „Stasi wollte WIKIPEDIA verbieten“, hieß die eine. „Elf Linke scheren aus“ sowie „Zentralrat der Juden mahnt Linksfraktion“ waren die anderen. Hinter beiden Botschaften stecken Geschichten, die vielfältiger und komplizierter sind, als es die Ein-Satz-Schreiber verkünden.
 
Aber sie können es verkünden, weil DIE LINKE in ihrer Vielfältigkeit nicht eindeutig ist. Und weil sie dadurch die Nachrichten provoziert, auf die etliche Medien begierig warten. Im Fußball spricht man in ähnlichen Situationen von „Steilvorlagen“ oder von „Selbsttoren“. DIE LINKE sollte sich fragen, wie viele wir uns davon leisten können und wollen.

2. 

WIKIPEDIA ist eine Art Internet-Lexikon. Jede und jeder kann es bereichern. Es kennt keine Chefetage, aus der die Linie vorgegeben wird. Und es ist offen für alle, nicht nur für auserwählte Experten. Chance und Risiko, Wahrheit und Dummheit, sie liegen dabei oft eng beieinander. So eng, wie im wahren Leben. WIKIPEDIA ist nicht besser, aber anders.
 
WIKIPEDIA selbst ist ein Kind des Internet, also einer technischen Revolution. Erstmals in der Geschichte der Medien sind Bürgerinnen und Bürger nicht mehr nur Empfänger einer vorbestimmten Botschaft, wie bei Zeitungen oder im Fernsehen. Sie können vielmehr selbst Sender sein. Das ist das Novum - mit einem bis dato unbekannten Demokratiepotential.

3. 

Deshalb versuchen etliche Staaten, sich entweder das Internet vom Halse zu halten, zum Beispiel China, oder das Internet zu kontrollieren, zum Beispiel die USA. Die weltweite Internet-Gemeinde ist darüber zu Recht empört. Und dann kommt ausgerechnet ein Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE, Lutz Heilmann, und lässt das Internet partiell schließen.
 
Das war ein Selbsttor, was sonst. Und es war ein Tiefschlag für alle Linken, die sich seit Jahren für mehr Demokratie engagieren. Lutz Heilmann fühlte sich im Internet diffamiert. Das muss niemand hinnehmen und dagegen darf jeder vorgehen. Das kann man auch. Aber nicht so. Die Prügel der Medien kam auf Bestellung.

4. 

Eine ähnlich fatale Außenwirkung hatten vordem bereits elf Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE bei einem anderen Thema bewirkt. Im Bundestag ging es um einen All-Fraktionen-Antrag. Seine zwei Grundbotschaften waren: Wir ächten jedweden Antisemitismus und wir wollen jüdisches Leben in der Bundesrepublik Deutschland fördern.
 
Ein Jahr lang wurde durch Fach-Politiker aller Fraktionen dazu ein gemeinsamer Text vorbereitet. Dann übernahmen Macht-Politiker der CDU/CSU das Zepter. Sie wollten einen gemeinsamen Antrag mit der Linken verhindern. Ein weitgehender Versuch. Denn dadurch sollte die Ausgrenzung der Linken zur gesellschaftlichen Norm werden.

5. 

Das Wahlkampfmanöver war durchsichtig. Alle anderen Fraktionen gingen dazu auf Distanz. Sie signalisierten: Der gemeinsame Kampf gegen Antisemitismus und unser Engagement für jüdisches Leben ist uns wichtiger, als kurzsichtiges Wahlkampf-Getöse. Nicht DIE LINKE, sondern die Union war plötzlich in der Außenseiterrolle. Ein gutes Omen.
 
So war auch das allgemeine Medien-Echo. Und genau so war der Tenor meine Rede für die Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Mit einem Verfahrenstrick hatte sich DIE LINKE in den angestrebten Konsens zurück gebracht und so den Unions-Boykott durchkreuzt. Elf Mitglieder der Linksfraktion waren indes anderer Meinung. Sie stimmten nicht mit.

6. 

Das allgemeine Echo erschallte prompt: „Elf Linke scheren aus!“ Ich finde: Wieder ein Selbsttor. Nicht nur in der vielfältigen jüdischen Gesellschaft werde ich seither besorgt gefragt: „Was wollt ihr eigentlich?“ Böse Zungen verbreiten sogar: Leute, wie Gysi und Pau, sind das eigentliche Übel, denn sie verdecken nur die antisemitistische Seele der Linkspartei.
 
Der Kreuzzug gegen DIE LINKE ist längst eröffnet. Weil sie bundesweit zwischen zehn und 14 Prozent gehandelt wird. Aber ebenso gilt: „Hochmut kommt vor dem Fall.“ Dabei sollten die Forderung nach mehr Demokratie und die Ächtung von Antisemitismus aller Art ein klares Markenzeichen der Linkspartei sein: ganz grundsätzlich und unbestreitbar.
 

 

 

20.11.2008
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

Übersicht

 

Reden&Erklärungen

 

Lesbares

 

Startseite