Die Position der LINKEN zum Verhältnis von Staat und Kirche

Sommerklausur der Landtagsfraktion DIE LINKE Mecklenburg-Vorpommern in Wohlenberg
2. September 2008
Beitrag von Petra Pau

0. Eine Anekdote vornweg

Vor Monaten bekam ich Post aus dem tiefsten Westen. Der Absender meinte: DIE LINKE müsse endlich ihren Kampf gegen die Kirchen verstärken und ich sollte dabei das Profil deutlich schärfen. Ich antwortete ihm, dass ich nicht die Absicht habe, gegen die Kirchen zu kämpfen. Außerdem widerspräche das der Programmatik der PDS. Später kam eine zweite Mail. Die PDS habe ihn nie interessiert, schrieb er. Aber offenbar sei auch die neue Linkspartei verstockt. Deshalb sei er wieder ausgetreten. Wer nicht gegen die Kirche kämpft, könne auch nicht links sein.

Meine Lehre ist eine andere. Beide, die Kirchen und die Linken, haben eine historische Gemeinsamkeit. Gebärden sie sich als Träger der absoluten Wahrheit und als elitäre Macht, dann wird es schlimm. Verstehen sie sich als humanistisches Angebot, religiös oder politisch, dann kann es gut werden.

Nun werde ich gelegentlich gefragt, was meint DIE LINKE hierzu oder dazu? Häufig muss ich antworten: Das weiß ich nicht. Ich kann höchstens sagen, was die PDS dazu meinte oder was ich davon halte. DIE LINKE hat programmatische Eckpunkte, aber noch kein Parteiprogramm. Außerdem gibt es bislang kaum Beschlüsse der Partei DIE LINKE zu Sachfragen. Und manche Sachfragen gelten obendrein als strittig.
Die Haltung zu Geheimdiensten ist so ein Streitfall, ebenso das Verhältnis von sozialen und Bürgerrechten, und auch die Position zur Kirche hat bislang kaum eine Rolle gespielt, in der Fraktion DIE LINKE schon, in der Partei DIE LINKE weniger.

1. Programmatische Eckpunkte zu Kirche und Staat

Trotzdem nahm ich mir die programmatischen Eckpunkte vor. Und siehe da: Zu meiner Überraschung wurde ich fündig. Zitat:
„Ausgehend von der Verpflichtung des Staates zur weltanschaulichen und religiösen Neutralität treten wir für eine konsequente Trennung von Staat und Kirche/Religion ein.
Wir bekennen uns zur verfassungsmäßig garantierten Religions-, Bekenntnis- und Gewissenfreiheit als Grundsäule der Demokratie und Aufklärung und lehnen gewaltsame Missionierung, staatlich verordnete Indoktrination und gesetzlich privilegierte Sonderstellungen von Kirchen und Religionsgemeinschaften ab.
Das religiöse und weltanschauliche Bekenntnis ist ein Recht und die Freiheit des Individuums (ist) Teil des Privatbereiches jedes Menschen.“

Ich gebe zu: Als die programmatischen Eckpunkte beschlossen wurden, habe ich diesen Abschnitt kaum beachtet. Ich will auch nicht ausschließen, dass diese hölzernen Formulierungen so manchen Passus enthalten, den der eine so liest und die andere so interpretiert. Aber der Kern ist klar:
DIE LINKE ist für die strikte Trennung von Kirche und Staat.
DIE LINKE bekennt sich zur Religionsfreiheit.
DIE LINKE ist gegen die Privilegierung von Religionsgemeinschaften.
DIE LINKE betrachtet das religiöse Bekenntnis als individuelles Freiheitsrecht.
Kurzum:
DIE LINKE steht auch hier verlässlich auf dem Boden des Grundgesetzes.

Eine andere Frage ist: Ist die Praxis in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz?
Oder anders gefragt: Ist die Trennung zwischen Kirche und Staat wirklich strikt?
Das ist sie aus meiner Sicht nicht.
Klassisches Beispiel: Der Staat sichert, dass Kirchen Steuern einnehmen. Er übernimmt also Verwaltungsfunktionen der Kirchen. Und der Staat überzieht diese sogar. Denn Arbeitslose müssen Kirchensteuer entrichten, egal ob sie christlich bekennend oder atheistisch sind.
Zweites Beispiel: Viele Universitäten haben theologische Fakultäten, die damit wissenschaftlichen und praktischen Nachwuchs für christliche Kirchen ausbilden. Das ist eine indirekte, wenn nicht gar direkte staatliche Subventionierung von christlichen Religionsgemeinschaften.
Drittes Beispiel: Der Religionsunterricht ist laut Grundgesetz (Artikel 7 (3)) - von Ausnahmen abgesehen - an staatlichen Schulen ein ordentliches Unterrichtsfach. Wobei auch dabei ausschließlich die christlichen Religionen gemeint sind. Das empfinde ich als einen doppelten Widerspruch. Doppelt, weil dadurch die Trennung von Kirche und Staat in Frage gestellt wird. Und, weil die christlichen Religionen dabei obendrein privilegiert werden. Die Bundesrepublik Deutschland ist aber zunehmend eine multikulturelle und auch multireligiöse Gesellschaft. Die staatliche Praxis entspricht dem noch nicht.

Ich warne aber davor, aus diesen kritischen Punkten einen Glaubenskrieg zwischen Kirche und Staat zu machen. Die Kirche leistet aus eigenem Selbstverständlich unglaublich viel, was eigentlich Sache des Sozialstaates wäre: sozial, barmherzig und humanitär, für Kinder, Alte, Arme und Kranke. Ich habe in meinem Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf dafür ein prominentes Beispiel: Die „Arche“. Es ist ein schwieriges Beispiel. Und es ist alles andere als konfliktfrei, weil die Arche praktisch barmherzig und zugleich aggressiv geschäftig ist. Umso weniger darf DIE LINKE simple Klischees bedienen.

2. DIE LINKE und die Kirche(n)

Die programmatischen Eckpunkte verraten allerdings nicht, wie sich DIE LINKE ihr Verhältnis zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften vorstellt. Im letzten Programm der PDS gab es dazu immerhin noch einen nicht unwesentlichen Hinweis. Dort stand nämlich unter anderem:
„Die PDS fordert die politische Gleichbehandlung religiöser und weltanschaulicher Organisationen, sucht den offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit ihren Vertreterinnen und Vertretern und betont gemeinsame Werte und Ziele, die Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit und die Sicherung des Friedens betreffen.“
Genau das beschreibt den Unterschied zu meinem Briefpartner aus dem tiefen Westen und zur Kirchenpolitik der SED. LINKE und Kirchen sind potentielle Partner und sie haben ein hohes Maß an inhaltlichen Schnittmengen.

Aus verlässlicher Quelle kenne ich ein Zitat. Es stammt von Pfarrer Friedrich Schorlemmer. Er sagte im Wendewinter 1990 auf einer Podiumsdiskussion in der Parteihochschule „Karl Marx“ vor ca. 500 SED-Mitgliedern:
„Wir hätten gemeinsam so viel erreichen können. Aber ihr habt es nicht gewollt. Ihr habt es verhindert.“
„Ihr hab es verhindert“, war eine Beschönigung. Das Verhältnis der SED zu den Kirchen war instrumentell. Und der ideologische Atheismus im Marxismus-Leninismus war militant. Das war nicht links, das war schlicht borniert. Deshalb möchte ich ein Dokument in Erinnerung bringen, um es dem Vergessen zu entreißen. Es wurde im März 1990 beschlossen und damals im PDS-Pressedienst veröffentlicht. Darin heißt es:
„Als neue Partei hält es die PDS für erforderlich, ihr Verhältnis zu Gläubigen, Religionen, Kirchen und Religionsgemeinschaften zu bestimmen. Diesem Zweck gilt das vorliegende Angebot. Es ist gewachsen aus Gesprächen, aus Vertrauen, aus zahlreichen Alltagsbegegnungen, aus der Achtung vor dem verantwortungsbewussten Handeln der Gläubigen und Kirchen bei der Demokratisierung unserer Gesellschaft.
Wenn wir um das Gespräch bitten, um Vertrauen werben und gemeinsames Handeln wollen, geschieht das im Wissen um unsere Verantwortung für eine verfehlte Politik der SED, die tragische Schicksale, Benachteiligung, Verdächtigung und ohnmächtige Betroffenheit auslöste. Wir bekennen uns zur Mitschuld an der bisherigen Politik und bitten die Gläubigen, die Kirchen und Religionsgemeinschaften um Versöhnung.“

An dieses Dokument erinnere ich aus zwei Gründen. Zum einen: Die neue Linke muss nicht dieselben Fehler machen, die schon einmal Schlimmes bewirkt haben. Zum zweiten: Ich lese aktuell, dass Bischof Huber DIE LINKE mahnt, endlich Lehren aus der Geschichte der SED zu ziehen.
Am Beginn der PDS stand ein grundsätzlicher Bruch mit Doktrin und Praktiken der SED. Ein Ausdruck dafür war, dass es alsbald eine anerkannte Arbeitsgemeinschaft Christinnen und Christen in und bei der PDS gab. Eine solche Kultur der kritischen Partnerschaft zwischen Linken und Religionsgemeinschaften hätte ich auch gerne in der neuen Linkspartei.

Bodo Ramelow ist in unserer Bundestagsfraktion für Religionspolitik und für die Partnerschaft mit Religionsgemeinschaften zuständig. Er sagte einmal: Mir ist es egal, woher ein Linker seine Überzeugungen und seine Antriebe nimmt, aus der Bibel oder aus der Marx-Lektüre. Ich wiederum gestehe gerne: Ich schöpfe zuweilen aus beiden Quellen.

Und bitte erinnern wir uns:
1997 erschien das „Sozialwort der Kirchen“. Es war eine klare Absage an das, was später als neoliberal bezeichnet und politisch forciert wurde.
1998 gab es die „Erfurter Erklärung“. Sie forderte einen linken Politikwechsel. Kirchenvertreter hatten daran maßgeblich mitgewirkt.
Und wenn es um die „Bergpredigt“ geht oder um den Umgang mit „Menschen in Not“, auch dann sind die Kirchen und DIE LINKE ganz nah beieinander.

Deshalb will ich auch diesen Teil mit einer Episode beenden. Am 19. Dezember 2003 wurde im Bundestag „Hartz IV“ beschlossen. Gesine Lötzsch und ich waren damals allein für die Linke dabei. In der Nacht zuvor hatte der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat getagt. „Hartz IV“ wurde auf Druck der Unions-regierten Länder nochmals verschärft. Nun war erneut der Bundestag am Zuge.
Alle Abgeordneten erhielten erst in den frühen Morgenstunden 600 neue Seiten Gesetzes-Text. Niemand konnte sie vor der Schlussabstimmung lesen. Also forderten wir eine Verschiebung der Abstimmung.
Protokolliert ist daraufhin der Zwischenruf: „Ihr gottlosen Typen!“ Er kam vom CSU-Abgeordneten Ramsauer. Er fürchtete um seinen nahenden Weihnachts-Urlaub samt Heiliger Nacht und Gott-Gefallen.
Nun frage ich: Wer hat mehr Gott-Gefallen verdient? Gesine Lötzsch und ich, weil wir verhindern wollten, dass Millionen blindwütig in Armut gestürzt werden? Oder Ramsauer, weil er in der Christlich Sozialen Union ist?

3. Partnerschaft mit politischen Differenzen

Die inhaltlichen Schnittstellen zwischen religiösen Lehren und linken Zielen sind groß. Deshalb werbe ich ja für eine kritische Partnerschaft. Das bedeutet mitnichten, dass es keine politischen Differenzen gibt. Wobei die politischen Differenzen immer Differenzen zwischen den aktuellen Körperschaften sind, hier die Religionsgemeinschaften, dort die Parteien. Ein aktueller Streit ist der um das Schulfach „LER“. Er wurde in Brandenburg geführt. Er wird in Berlin geführt. Und er bahnt sich wahrscheinlich in Mecklenburg-Vorpommern an. Darüber werden wir später konkreter diskutieren.
Ein anderer Streit ist der um religiöse Symbole. Wir hatten ihn rund um das Kopftuchverbot. Die libertäre Position der rot-roten Koalition in Berlin ist eine andere, als die der CSU in Bayern. Sie ist obendrein konsequenter.
Und ein dritter aktueller Streit drehte sich um die Frage, ob die christliche Religion als Leitreligion in der EU-Verfassung verankert werden sollte. Das fand innerhalb der EU keine Mehrheiten und das ist gut so.

Vor rund einem Jahr wurde ich gebeten, einen Artikel für ein Buch zu schreiben. Es ist inzwischen unter dem fragenden Titel „Vom christlichen Abendland zum abrahamischen Europa“ erschienen. (Verlag: Otto Lembeck)
Mein Beitrag ist eine klare Absage an jegliche Leitkultur, allemal an eine Leitkultur, die eine Religion bevorzugt. Da halte ich es klassisch und aufgeklärt mit Gotthold Ephraim Lessing und seiner Ringparabel.
Wir erleben derzeit zugleich ganz irdische Konflikte. In Berlin-Pankow gibt es eine Bürgerbewegung gegen den Bau einer Moschee. Bürger sind besorgt. Die NPD protestiert. Und die CDU signalisiert Verständnis - verfassungswidrig.
Ähnliches gibt es in Köln. Wieder geht es um eine Moschee, also gegen Muslime. Dagegen ist auch Ralph Giordano, eine intellektuelle Instanz. Er wehrt sich zugleich gegen eine rechtsextreme Vereinnahmung - vergeblich.
Jüngst marschierte die NPD in Berlin auf, um zu verhindern, dass sich Hindus einen Tempel bauen. Dümmer hätten sie sich nicht entlarven können. Aber was ist am Modell einer christlichen Leitkultur so viel klüger?

Deshalb abschließend: Linke Politik muss immer kritisch, aber zugleich offen zu allen sein, die sich humanistisch-religiös bekennen. Die Gefahr für die Menschheit sind nicht die Religionen, sondern ein entfesseltes Kapital. Mahnungen zur Allmacht des Mammons finden sich übrigens in der Bibel ebenso, wie im Koran und in der Tora. Und als ich 2005 beim großen ZDF-Bibel-Quiz war, da habe ich gesagt: „Würde Jesus noch leben, dann würde er heute an der Spitze der Montags-Demos gegen Hartz IV marschieren.“
Thomas Gottschalk amüsierte sich damals. Meine Mitstreiter von der CDU und von der SPD lächelten sehr finster. Und zu Überraschung aller gewann ausgerechnet ich - eine Linke aus dem Osten - das Bibel-Quiz.
 

 

 

2.9.2008
www.petra-pau.de

 

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