Aktuelle Notiz: Ratschlag zu linker Geschichte?

von Petra Pau
Berlin, 17. August 2008

1. 

Der „Ältestenrat“ der Partei DIE LINKE hat „Anregungen“ zum Umgang mit der Geschichte veröffentlicht. Das ist grundsätzlich gut und wichtig. Denn die Autoren haben recht: „Der Umgang mit der Geschichte (...) - das vorherrschende Geschichtsbild einer Partei - widerspiegelt stets ihre politische Positionierung zur Gegenwart und Zukunft.“
Der Rat der Alten zielt gut gemeint darauf, das „vorherrschende“ Geschichtsbild der Partei DIE LINKE mit zu prägen. Allemal gegen den so genannten Mainstream, bei dem linke Bestrebungen zumeist als Ausfluss menschenverachtender Ideologien verdammt werden. Die DDR wird auf eben jenem Scheiterhaufen täglich neu entflammt.

2. 

Der Ältestenrat indes plädiert für eine Geschichtsbetrachtung, die nicht durch politisch motivierte Verzerrungen dominiert wird, die historische Leistungen linker Bewegungen nicht ignoriert, die das Ost-West-Wechselspiel im Kalten Krieg nicht ausblendet und die nicht auf eine Heiligsprechung des Kapitalismus hinausläuft.
Eine solche Geschichtsbetrachtung ist derzeit nicht hoffähig - nicht im Bundestag, nicht im ZDF, nicht bei weiteren Wortführern, die sich politisch meinungsbildend mühen. Ihr einziger Erfolg bislang ist übrigens: Sie alle haben die Mauer in den Köpfen verfestigt und damit verhindert, dass zusammenwächst, was laut Willi Brandt zusammen gehört.

3. 

Zugleich soll die pauschale Delegitimierung der DDR und aller sozialistischen Versuche sowjetischer Prägung verhindern, dass alternative Gedanken zur vorherrschenden Politik im neuen Deutschland Raum greifen. Das ist eine offiziell erklärte Absicht und das wird in wiederholten Ritualen zelebriert, politisch von der CSU bis zur SPD.
Auch deshalb stimme ich dem Ältestenrat zu: Von alledem darf sich DIE LINKE nicht treiben lassen. Sie braucht ein eigenes Geschichtsbild. Und es gibt einen weiteren Grund: Ich kenne einige Repräsentanten der Partei DIE LINKE, die wollen mit alledem nichts zu tun haben, nicht mit der DDR und nicht mit der PDS. Sie wollen unbefleckt auferstanden sein.

4. 

Wer das allen Ernstes glaubt und versucht, wird doppelt Schiffbruch erleiden. Die politische Konkurrenz, allemal jene, die alles Linke verteufeln, wird keine Flucht aus der Geschichte dulden - im Gegenteil. Wer wiederum selbst aus der Geschichte flüchtet, wird nicht links sein können. Und genau da beginnt mein Problem mit dem „Rat der Alten“.
In ihrem Papier sind zu viele Formulierungen, die wolkig und nichtsagend sind. Und vor allem weichen die Unterzeichner der eigentlichen Kardinal-Frage aus: Woran ist der „real existierende Sozialismus“ wirklich gescheitert? Und warum war er dem kapitalistischen System letztlich unterlegen? Darauf geben die "Alten" leider keinerlei Rat.

5. 

Stattdessen empfehlen sie, dass Mandatsträger der Linken sich nicht zu historischen Ereignissen äußern sollen- nicht aus heutiger Sicht und noch weniger, wenn die so Kritisierten seinerzeit nicht dabei waren. In dieser Konsequenz dürfte der Ältestenrat sich auch nicht zur Oktober-Revolution 1917 bekennen. Ich indes finde: Geschichtsbilder sind so nicht zuteilbar.
So wird einer Partei und ihren Mitgliedern sogar jedwede Lernfähigkeit abgesprochen. Und damit wird der PDS, einer Quellpartei der Partei DIE LINKE, wie es neulinkisch heißt, ihr grundsätzlicher demokratischer Wandel genommen. Wer so etwas tut, arbeitet viel mehr dem gescholtenen Mainstream zu, als alle linke Kritiker des Real-Sozialismus.

6. 

Meine These hingegen bleibt: Niemand hat mehr gute Gründe, den gescheiterten Sozialismus-Versuch - auf immerhin einem Drittel der Welt - kritischer zu analysieren, als Linke. Wer indes diese linke Kritik als Anpassung an den Teufel beschreibt, und der Ratschlag der Alten tendiert dazu, der läuft Gefahr, rückwärts zu Leben. Das will ich nicht.
Aber richtig bleibt: DIE LINKE muss sehr viel mehr für ihr eigenes Geschichtsbild leisten. Übrigens auch rückblickend: Ernst Thälmann, zum Beispiel, gehört dazu. Aber nicht so, wie er von der Bundesrepublik ignoriert oder wie er vom Thälmann-Freundeskreis heroisiert wird. Linke Gedenktage sind für wahr wichtig. Sie müssen nur vorwärts weisen.

7. 

Genauso bekenne ich: Karl Marx bleibt mein Berater. Kein Zweiter hat das Kapital so analysiert, wie er. Und Millionen, ja Milliarden Weltenbürger erleben, was inzwischen Globalisierung heißt. Das Kapital dringt selbst in die letzten Winkel der Erde. Und es zerstört, um zu gewinnen. Alles Marxsche Prognosen, alles aktuelle Realität.
Aber war der real-existierende Sozialismus darauf wirklich die adäquate Antwort? Wir haben es versucht und wir haben verloren. Die DDR war jahrelang ein politischer Gegenpart und ein sozialer Ansporn für die Bundesrepublik Deutschland. Übrigens: Mit viel Erfolg für viele Westdeutsche. Die DDR, der Gegenpart und der Ansporn, aber ist weg.

8. 

Das beschreibt indirekt auch der Ältestenrat der LINKEN. Doch dann verharrt sein Rat im Klagen und im Anklagen. Und in der unterstellten Behauptung: Kritik an der DDR würde die Jugend verschrecken. Mit einer ähnlichen Argumentation wurde in der DDR das Magazin "Sputnik" verbannt, weil es Kritisches über die Geschichte der UdSSR beschrieb.
Früher gab es unter Linken einen hoffnungsvollen Satz: „Die Enkel fechten es besser aus!“ Um aber besser zu sein, müssen sie alles, was vordem falsch war, kennen und meiden. In der Empfehlung, die der Rat der Alten unterbreitet, trägt das Falsche aber häufig subjektive Züge. Sie enthält nicht einmal eine Absage an den Stalinismus als System.

9. 

Nun kann man natürlich der Meinung sein, dass der real-existierende Sozialismus an subjektiven Fehlern zugrunde ging. Man kann ein gerüttelt Maß an feindlichen Einflüssen hinzurechnen. Denn natürlich hat „der Klassenfeind“ nichts unversucht gelassen, den real-existierenden Sozialismus zu liquidieren - unbestreitbar und auch aggressiv-kriegerisch.
Mir wäre ein solches „linkes Geschichtsbild“ allerdings zu wohlfeil und zu bequem. Denn es verortet die Schuld am Misslingen des ersten weltweiten Sozialismus-Versuches immer bei anderen: Entweder bei „denen da oben“ oder bei „denen da drüben“. Emanzipatorisch ist das nicht. Und radikal, also an die Wurzel gehend, ist es ebenso wenig.

10. 

Der Rat der Alten verweist zu Recht auf Traditionen, die es wert sind, aufgehoben zu werden. Die Autoren tun dies allerdings nicht dialektisch, sondern vorwiegend im Sinne von Bewahren. Das mag heilend für die geschundene Seele sein, aber es ist zu wenig für die Zukunft. Ich empfehle stattdessen das Buch „Politisch richtig oder richtig politisch“.
Es ist von Professor Wolfgang F. Haug, einem linken Marx-Kenner, der insbesondere im „Westen“ viele geistige Spuren hinterlassen hat. Sein Credo beschrieb er 1999 so: „Links ist es, aus dem sowjetischen Debakel wie aus der postkommunistischen Misere zu lernen.“ Er favorisiert also die Kritik als Methode, wie seinerzeit Karl Marx auch.

11. 

Genau einen solchen Ansatz vermisse ich im Ratschlag der Alten. Er kommt bestenfalls unterschwellig vor. Wer die Jugend gewinnen will, muss sie zur Kritik anhalten. Oder, um nochmals mit Marx zu sprechen: „An Allem ist zu zweifeln!“ Es war ein Grundfehler allzu vieler SED-Mitglieder - auch meiner - dies nur für einen Aphorismus zu halten.
Gesunder Zweifel aber ist das Gegenteil von Gutgläubigkeit oder Gefolgschaft. Die bisherige Parteigeschichte der Linken war immer auch dadurch geprägt, dass „Abweichler“ nicht geduldet wurden. Mit dieser Tradition hatte die PDS 1990 bewusst gebrochen. Es reicht also nicht, die Tradition der Linken zu beschwören. Man muss schon konkreter werden.

12. 

Gleichwohl hätte ich diese Gedanken aktuell nicht notiert, hätte der Ältestenrat nicht seine Thesen öffentlich zur Diskussion gestellt. Auch deswegen gebührt ihm Dank. Und insofern ist diese „Aktuelle Notiz“ ein - nämlich mein unfertiger und verkürzter - Beitrag, zu einer überaus nötigen Diskussion in und im Umfeld der Partei DIE LINKE.
Ich habe sie allerdings auch geschrieben, weil ich mich in einigen mahnenden Anklagen des Ältestenrates durchaus persönlich, wenn auch anonymisiert, wiederfinde. Es gibt Bücher, in denen ich von namhaften Politikern der Linkspartei direkter zur Ordnung gerufen werde. Das belebt das Geschäft - und die Diskussion. Mir geht es vor allem um Letzteres.
 

 

 

17.8.2008
www.petra-pau.de

 

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