Rückblick 2005 - 12 x drei

Petra Pau: „In meinem Web-Angebot lässt sich so manches finden, was die Windeseile verdrängen wollte. Aus den weit über 300 aktuellen Einträgen habe ich drei je Monat ausgewählt und zu (m)einem „Rückblick 2005“ gefügt.“

Januar

„Tsunami“ hieß das Schlagwort zum Jahreswechsel. Der Flutwelle folgte eine weltweite Solidaritätswelle. Aber auch sie konnte nicht verdecken: Wir haben bislang nicht gelernt, mit uns und der Natur im Einklang zu leben. Inzwischen wissen wir: 2005 häuften sich die Katastrophen. Und es war stets dasselbe: Neuen Bildern der Betroffenheit folgte die alte falsche Politik.

Seit Neujahr 2005 galt „Hartz IV“. Am 18. Januar diskutierte ich in der rbb- Fernsehsendung „klipp und klar“ über diese so genannte Arbeitsmarkt-Reform, über Folgen und Alternativen. Im Publikum saßen Brandenburger Betroffene. Der frische Bescheid über ihr karges Arbeitslosengeld II (Ost) war mit der Aufforderung verknüpft, sich umgehend eine neue Bleibe zu suchen.

Am 28. Januar hatte die PDS zum Neujahrs-Empfang geladen, frei nach Goethe: „... dass ein roter Faden durch das Ganze geht“. Diplomaten, Politiker, Künstler, Unternehmer, Arbeitslose, Neugierige, Sympathisanten sowie PDS-Mitglieder aus allen Bundesländern waren gekommen und mit vielen die Hoffnung: Nach der Wahl 2006 muss es eine starke Linksfraktion im Bundestag geben.

Februar

Seit Jahren währt der Kampf gegen ein neues „Bombodrom“ in der Kyritz-Ruppiner- Heide. Bürger-Initiativen wehren sich dort gegen einen Bomben-Abwurfplatz der NATO. Sie wollen eine zivile Zukunft. In diesem Sinn gab es am 3. 2. 2005 einen „Gruppen-Antrag“ im Bundestag. Er wurde später von Mehrheiten der Union, der SPD, der FDP und der Grünen abgelehnt.

Studenten in den USA haben einen neuen National-Sport kreiert. Wenn ihr Präsident Georg W. Bush Reiz-Wörter, wie Terror, Öl oder Freiheit ins Pathos setzt, dann greifen sie zur Protest-Pulle. Die „Deutsche Welle“ übertrug diese „drinkinggames“ am 08. 02. auf deutsche Verhältnisse und befand: Man sollte hierzulande kräftig auf Gesine Lötzsch und mich anstoßen.

Bei "campact mitmachen" hatte ich meinen web-Eintrag am 12. 02. 2005 überschrieben. „campact“ ist ein wachsendes Netzwerk, das sich über das Internet mit Kampagnen politisch einmischt. Diesmal ging es um Transparenz von Parlamentarier-Einkünften. Sie erlauben Schlüsse auf Abhängigkeiten. Ich hatte meine Bezüge derweil längst unter www.petrapau.de veröffentlicht.

März

Gladys Marin war eine linke Symbol-Figur, weltweit, auch für mich. Sie starb am 5. 2. 2005 nach schwerer Krankheit. In Chile gab es Staatstrauer, für eine Kommunistin, die gegen den faschistischen Diktator Pinochet gekämpft hat. Der wiederum hatte Rückhalt in den USA. Ich kondolierte im Sinne „Gladys“ beim Botschafter Chiles in Berlin und im „Karl-Liebknecht-Haus“.

„ParlaCON 05“ hieß ein 3-tägiges Treffen in Berlin-Brandenburg, an dem 120 Parlamentarier aller Ebenen der Europäischen Linkspartei (EL) teilnahmen. Wir diskutierten Alternativen zum neoliberalen Umbau der Gesellschaften und Konzepte gegen den grassierenden Rechtsextremismus. Die Teilnehmer besuchten Schloss Cecilienhof und ich führte sie durch den Reichstag.

„Gottschalks großer Bibeltest“ stand vor Ostern auf dem ZDF-Abendprogramm. Ich war "die PDS-Frau" in der Promi-Riege und bestand die Frageserie für Außenstehende überraschend gut. Es ging um Spaß und Wissen. Als ich gefragt wurde, habe ich natürlich gesagt: „Heute würde Jesus gegen ‚Hartz IV' demonstrieren.“ Jürgen Rüttgers (CDU) lächelte daraufhin sehr finster.

April

„Lebendige Demokratie - wie glaubwürdig ist die Politik?“ So war am 4. April eine evangelische Weiterbildung für Beamtinnen und Beamte der Polizei überschrieben. Ich war als Diskussionspartnerin eingeladen und habe dabei die rot-grüne „Agenda 2010“ - bei viel Zustimmung - als „Gegenentwurf zu einem modernen, sozialen Bürgerrechts-Staat“ charakterisiert.

Mit dezentralen Ehrungen und einer zentralen Veranstaltungen wurde am 17. April der Befreiung des KZ Sachsenhausen (Oranienburg) durch die Rote Armee vor 60 Jahren gedacht. Besonders bewegend waren die Begegnungen mit Überlebenden aus zahlreichen Ländern. Das fanden sichtlich auch die vielen Jugendlichen, die beim Erinnerungs-Treffen dabei waren.

Noch einmal versuchten die FDP und PDS im Bundestag auch in Deutschland eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung zu ermöglichen. Am 21. April wurde dazu im Plenum debattiert. Die Unionsparteien, die SPD und auch die Grünen votierten erneut mit Nein. Ich erwiderte: „In Sachen direkter Demokratie bleibt Deutschland damit ein EU-Entwicklungsland!“

Mai

Wieder war ich in Nordrhein-Westfalen unterwegs, diesmal, am 17. Mai, in Hattingen. Dort kämpfte die Belegschaft des finnischen Rolltreppenherstellers KONE um den Erhalt ihres Produktions-Standortes und damit um hunderte Arbeitsplätze. Ich demonstrierte mit der Belegschaft und mit Betriebsräten aus europäischen Niederlassungen gegen den drohenden Sozialabbau.

„Was hat Rainer Eppelmann mit der INTERFLUG zu tun?“, schrieb ich in einer Aktuellen Notiz am 19. Mai. Die Bundesregierung hat gegen DDR-Obere ein Rentenstrafrecht eingeführt. Dieses Unrecht wurde in Teilen vom Bundes-Verfassungsgericht gerügt. Der Bundestag sollte „nachbessern“. Er tat es. Nun werden auch „DDR-Wende-Aktivisten“ mit Rentenabzug bestraft.

Mit einem „Kleinen Parteitag“ in Berlin eröffnete die PDS am 28. Mai ihren Bundestagswahlkampf. Am Abend der verlorenen NRW-Wahl (22. Mai) hatten die beiden SPD-Spitzen, Gerhard Schröder und Franz Müntefering, überraschend für vorgezogene Neuwahlen plädiert. Oskar Lafontaine und Gregor Gysi warben daraufhin für ein Zusammengehen von WASG und PDS.

Juni

Im Bundestag wird ein „Informationsfreiheitsgesetz“ beschlossen. Damit haben Bürgerinnen und Bürger ein grundlegendes Informationsrecht und umgekehrt, Behörden eine Informationspflicht. Wir haben uns bei der Abstimmung am 3. Juni namens der PDS enthalten. Prinzipiell sind wir dafür, aber das rot-grüne Gesetz enthielt zu viele Ausnahmeregeln, die dagegen wirken.

2005 wurde der 60. Jahrestag vom Ende des 2. Weltkrieg begangen, vielfach - wie in Berlin - als „Tag der Befreiung“ von Faschismus und Krieg. Zugleich wird der Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) im Bund noch immer als „verfassungsfeindlich“ gebrandmarkt. „Das ist schizophren“, wiederholte ich am 20. Juni auf einer Konferenz im Berliner „Haus der Demokratie“.

Das Projekt „neue Linkspartei“ beginnt ein Eigenleben. Noch verworren, aber die Medien haben bereits von ihm Besitz ergriffen. Erste Umfragen ergeben: Zur vorgezogenen Bundestagswahl könnte die „Linkspartei“ bundesweit zwischen sieben und neun Prozent erhalten. Am 24. Juni stellte ich dazu eine „Aktuelle Notiz“ auf meine Web-Seite: „PDS & WASG und viel mehr.“

Juli

Neuwahlen rücken näher. Bundeskanzler Schröder hatte sich im Bundestag ein Misstrauens-Votum erbeten. Er bekam es am 1. Juli - selbst aus den eigenen Reihen. Der Berliner MdB Werner Schulz (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte die Kanzler-Kabale mit einer klaren persönlichen Erklärung. Seine Widerworte wurden später als „beste politische Rede 2005“ gewürdigt.

„Mein Konflikt mit Oskar L.“, überschrieb ich am 5. Juli eine „Aktuelle Notiz“. Das Bündnis zwischen PDS und WASG nimmt Formen an. Relativ unscharf sind hingegen die Inhalte. Sie passen, etwa bei der Kritik an „Hartz IV“. Und sie divergieren, zum Beispiel bei Bürgerrechten. Diesen Schluss zog ich nach umstrittenen Äußerungen von Oskar Lafontaine über „Fremdarbeiter“.

Am 17. Juli beschlossen 74,5 Prozent der Parteitags-Delegierten die PDS in DIE LINKSPARTEI umzubenennen. Das Kürzel „PDS“ kann fortan - wie beim Berliner Landesverband - noch als Zusatz geführt werden. Damit war ein weiterer Schritt in Richtung neue, bundesweite Linkspartei getan. Zumal: Die Medien sprachen längst von der Linkspartei, der Name war eingeführt.

August

„Wieso tut sie das ausgerechnet bei AOL?“ Diese Frage, so wurde mir übermittelt, spielte in der Redaktion des „Neuen Deutschland“ am 2. August eine zentrale Rolle. AOL hatte Politikerinnen bzw. Politiker aller Bundestags-Parteien gebeten, Tagebuch über den Wahlkampf 2005 zu schreiben. Mein Blog für die Linkspartei.PDS fand überraschend großem Zuspruch.

Die „Weltverbesserungsmaßnahmen“ hatten am 3. August im Berliner „International“ Premiere. Ein Episoden-Film von Jörn Hintzer und Jakob Hüfner, in dem Leute die skurrilen „Ruck“-Rufe der Politik zum Exzess treiben. Meine Empfehlung: angucken. Ich wurde vorab um einen eigenen Verbesserungsvorschlag gebeten. Mein „Ost-West-Dreh“ ist nachlesbar.

Allsommers geht die Linkspartei.PDS auf Ostsee-Bäder-Tour. Auch in diesem Jahr war ich wieder dabei. Am 8. August fuhr ich also nach Graal-Müritz. Dort gab es zahlreiche Gespräche mit Touristen aus Nordrhein-Westfalen, aus Hamburg, aus Brandenburg, selbst mit Urlaubern aus dem eigenen Berliner Wahlkreis. Und immer wieder waren Wahlprogramme der Linkspartei gefragt.

September

Erneut gibt es in Marzahn-Hellersdorf, meinem Wahlkreis, Schulabgänger ohne Lehrstelle: 900. Auf einer „Jugendkonferenz“ mühten sich am 14. September das Bezirksamt, die Arbeitsagentur, die Jobcenter und lokale Träger um Lösungen. Mein Fazit hieß: „Das Engagement ist groß, doch die Misere bleibt.“ Wir brauchen endlich bundesweit eine Ausbildungs-Umlage.

„Zweimal Danke!“, schrieb ich am Bundestagswahlabend, am 18. September, auf meiner Web-Seite. Dank an alle, die mich gewählt haben, und vor allem an jene, die mit mir gekämpft haben. Bundesweit kam die Linkspartei (PDS) auf 8,7 Prozent. Die meisten Zugewinne schöpften wir aus dem Lager der Nichtwählerinnen bzw. -wähler und aus dem traditionellen SPD-Milieu.

Der neue Bundestag war gewählt, aber noch nicht konstituiert. Also musste am 28. September noch einmal der alte ran, um das Afghanistan-Mandat der Bundeswehr ein weiteres Mal zu verlängern. Gesine Lötzsch und ich haben für die PDS erneut mit Nein gestimmt. Und vor dem Reichstagsgebäude forderten Mitglieder der künftigen Linksfraktion den Rückzug der Bundeswehr.

Oktober

Am 4. Oktober registrierte ich: „Schlimmen Rekord“. Monat für Monat frage ich die Bundesregierung nach der Zahl der registrierten rechtsextremen Straf- und Gewalttaten. Im August 2005 waren es bundesweit, so die Antwort, exakt 1.000, also im Schnitt alle 45 Minuten eine. Die reale Zahl liegt meist doppelt so hoch. Das belegen Quervergleiche verschiedener Quellen.

Rund 100 Angehörige, Freunde und Weggefährten nahmen am 11. Oktober auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee Abschied von Gerhard Zadek. Er hatte zeitlebens das, was man ein Kämpfer-Herz nennt - im faschistischen Deutschland, im englischen Exil, in der DDR und auch in der neuen Bundesrepublik Deutschland. Ich empfehle seine beiden Bücher.

Der neue Bundestag konstituierte sich am 18. Oktober und zwar mit einem Eklat. Der Kandidat der Linksfraktion für das Amt des Vizepräsidenten, Prof. Dr. Lothar Bisky, wurde drei Mal nicht gewählt. Auch bei einem vierten Wahlgang - drei Wochen später - wurde dem Vorsitzenden der Linkspartei.PDS die parlamentarische Referenz demonstrativ verweigert.

November

Mit einer gemeinsamen „Kreuzfahrt durchs Regierungsviertel“ unterstützte ich am 4. November die Belegschaft des Samsung-Betriebes in Schöneweide. Nahezu pünktlich zum Auslaufen der staatlichen Fördermittel will der Süd-koreanische Konzern seine Berliner Filiale schließen. Es geht um 750 Arbeitsplätze und um die Zukunft einer traditionellen Industrie-Region.

Das „Schöneberger Forum“ ist eine bundesweite Diskussions-Plattform über beamtenpolitische Fragen. Das klingt hölzern, betrifft aber sehr viele. Ich diskutierte am 10. November im Podium für die Linksfraktion. Und obwohl ich von je her ein kritisches Verhältnis zum deutschen Beamtentum habe, war ich die einzige, die sozial und solidarisch für die Betroffenen Partei ergriff.

Ein völlig neues Bündnis, vorwiegend junge Architekten, Schauspieler und Künstler, viele mit Welt-Erfahrung und fast alle West-sozialisiert, wollen den drohenden Abriss vom „Palast der Republik“ verhindern. Sie organisieren demonstrative „Stop-Tage“, so auch am 19. November. Und natürlich war ich dabei. Die Entscheidung - Frevel oder Vernunft - liegt beim Bundestag.

Dezember

Der Landesparteitag der Berliner Linkspartei.PDS wählte einen neuen Landesvorsitzenden. Klaus Lederer ist nach Wolfram Adolphi, André Brie, Petra Pau und Stefan Liebich der nunmehr fünfte seit 1990. Zugleich ging es um die Kooperation der WASG und der Linkspartei.PDS. Eine Woche zuvor hatte die Berliner WASG quasi die Zusammenarbeit mit der PDS aufgekündigt.

Kurz vor Weihnachten strichen Verordnete der FDP und der Linkspartei.PDS der „Arche“ in Marzahn-Hellersdorf Fördermittel. Das sorgte für Aufruhr und für böse Schlagzeilen. Sogar vom "Kampf gegen die Kirche" war die Rede. Ich half, den Konflikt zu lösen. Doch der angerichtete Image-Schaden bleibt. Einige Mitglieder meiner Partei haben einfach politisch zu kurzsichtig agiert.

Der Europäische Gerichtshof hatte Berufsverbote für menschenrechtswidrig erklärt. Trotzdem gibt es in Deutschland einen neuen „Fall“, einen Lehrer, dem ob seines antifaschistischen Engagements das Lehren verboten wird. Dagegen wendet sich die Kampagne „1000 Stimmen gegen Berufsverbote“. Außerdem kann man auf ihrer Webseite im Quiz seine Verfassungs-Kenntnisse testen.

Petra Pau
28. 12. 2005

 

 

28.12.2005
www.petra-pau.de

 

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