„Von der Staatsmitte zum Bürgerforum: eine Agora des 21. Jahrhunderts für Berlins Mitte“

Podiums-Diskussion, 22. April 2002 im ehemaligen Staatsratsgebäude
aus der Einführung von Petra Pau, Berlinbeauftragte der PDS-Fraktion:

[siehe auch]  

Petra Pau auf den Berliner Themen am 22.4.2002; Foto: Andre Nowak

In diesem Saal hat vor fünf Tagen, am 17. April 2002, die Internationale Expertenkommission „Historische Mitte Berlin“ ihren Bericht an Bundesbau-Minister Kurt Bodewig und den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, übergeben. Ich freue mich, Sie so unmittelbar danach an gleicher Stelle zu einer Podiumsdiskussion der PDS-Bundestagsfraktion begrüßen zu dürfen.

Es ist eine weitere Veranstaltung in der Reihe „Berliner Themen >>“, die hier stattfindet. Und ich freue mich auf ein prominent und kompetent besetztes Podium, das eine kontroverse, also erfrischende Diskussion erwarten lässt.

Dazu möchte ich vier Gedanken vorausschicken:

1. Zum Votum der internationalen Experten-Kommission

Das Votum der Experten-Kommission fiel mit einer Stimme Mehrheit bekanntlich äußerst knapp aus. Es ist also kein starkes Votum und es wird in den Medien auch widersprüchlich gespiegelt. Ganz böse Zungen meinen gar: Außer Spesen nicht gewesen! Das wiederum finde ich nicht. Denn es hat zumindest in einer Frage das klar gestellt, was auch meine Auffassung ist:

Vor allen weiteren Betrachtungen muss gefragt und beantwortet werden: Was sollen Sinn, Zweck und Inhalt der künftigen Spree-Insel sein. Und in dieser Frage gibt es inzwischen eine große Übereinstimmung: Hier muss ein - im kulturell-besten und demokratisch-weitesten Sinne - Ort der Bürgerinnen und Bürger sein, nicht nur der Berliner.

Ich will dies auch noch mal im städtebaulichen Draufblick hervorheben. In den letzten zwölf Jahren galt es drei große, zentrale Areale zu bestimmen. Den Raum rund um den Reichstag, den Potsdamer Platz und die Spree-Insel. Ein magisches Drei-Eck im Zentrum Berlins, der Hauptstadt.

Das Gebiet rund um den Reichstag manifestiert die parlamentarische Demokratie und mit den Regierungsbauten die Staats-Macht. Der Potsdamer Platz manifestiert - unabhängig davon, was dort an Unternutzungen stattfindet - mit den Dominanten Daimler und Sony wirtschaftliche Macht. Und so drängt sich die Frage regelrecht auf: Wo manifestiert sich der Souverän, das gemeine Volk, ungebrochen und selbst-bestimmt. Nichts bietet sich dafür mehr an, als die Spree-Insel und zwar als Ganzes gesehen.

Weshalb ich auch Vorstellungen ablehne, die das einstige Staatsratsgebäude privatisieren oder verstaatlichen würden. Verstaatlichen, indem z. B. der BND hier Quartier nimmt. Ein regelrechter Fremdkörper, der das demokratische Anliegen der Insel - ein Bürger-Forum - zur Farce macht. Privatisieren, indem z.B. die Wirtschaft hier Elite-Schulen etabliert, die wiederum den Ausschluss ganzer Bevölkerungsgruppen symbolisiert.

Letzteres sind meines Wissens nach aber Vorstellungen, die nichts mit der internationalen Experten-Kommission, sondern eher mit Haushalts- und Reputations-Wünschen des Berliner Senats zu tun haben. Jedenfalls werte ich die Ankündigung des Regierenden Bürgermeisters, Klaus Wowereit so, er wolle die Privat-Uni „European Bussiness School“ im Herbst dort ansiedeln.

Was nicht dem Votum der Kommission entspräche, finde ich. Diese hat unserer Auffassung Gewicht verliehen, wonach die Spree-Insel ein öffentlicher Raum sein muss, auch das einstige Staatsratsgebäude. Und insofern teile ich die Auffassung - außer Spesen nichts gewesen - nicht. Im Gegenteil: Ich nehme diesen Teil der Experten-Empfehlung im Grundsatz gern auf.

2. Zum Nutzungs-Konzept der internationalen Kommission

„Im Grundsatz“, wohl bemerkt, denn ich teile die Nutzungs-Vorschläge der internationalen Expertenkommission nicht 1 : 1. Sie sind mir zu eng und zu vorbestimmt, was logischer weise zu engen und vorbestimmten Architektur-Lösungen führt. Ich will meine Kritik mit einem Rückblick und mit einem Ausblick verbinden.

Der Streit um die Spree-Insel, noch mehr der, um seine Bebauung, geht jetzt ins zwölfte Jahr. Ob das historisch kurz oder unwürdig lang ist, darüber will ich gar nicht richten. Jedenfalls wird seit 1991 über die Zukunft des Schloßplatzes kontrovers diskutiert.

Palast der Republik; Foto: Axel HildebrandtOrte und Akteure waren bzw. sind noch heute das BERLINER STADTFORUM, die Bürgerinitiative PRO PALAST, die SPREEINSEL-INITIATIVE, der VEREIN ZUR ERHALTUNG DES PALASTES DER REPUBLIK, das Aktionsbündnis MACHT DEN PALAST AUF!, der FÖRDERVEREIN BERLINER STADTSCHLOSS, um nur einige zu nennen. Zudem haben sich große Berliner Zeitungen mit Sonderseiten und Leser-Aktionen aktiv eingemischt. Und immer wieder gab es Spezial-Sendungen, nicht nur vom SFB.
 
Gleichwohl blieb die öffentliche Debatte zumeist auf die Frage verengt und damit ideologisiert: Schloss contra Palast. Es genügt ein Blick in die Leserbrief-Spalten der Berliner Morgenpost und des Neuen Deutschlands, um diese, meine These nachzuvollziehen.
 
Diese Einengung aber hat zur Folge, dass die Spree-Insel eben nicht das stadtweite, gesellschaftsbewegende Thema ist, das es vor dem Hintergrund der beschriebenen Bestimmung sein müsste und könnte. Die selbe Verengung aber birgt das Nutzungs-Konzept der internationalen Kommission. Schaut man in die Detail-Pläne, dann wird eines deutlich: Fast 70 Prozent des - wie auch immer - zu bebauenden Areals sind für zwei wichtige und richtige Nutzer vorbestimmt. Es ist aber dadurch kein offenes, sondern ein geschlossenes Konzept.

Was logisch die zweite Reaktion auf die Expertenkommission begründet: „Nun ist doch alles klar!“ Auch vor diesem Hintergrund finde ich: Der Nutzungs-Diskurs muss weitergeführt und geöffnet werden. Er ist auch nicht zwischen Regierungen und privaten Finanziers zu entscheiden. Er gehört in die Stadt, ins Land. Übrigens auch und entscheidend in das Berliner Abgeordnetenhaus und in den Deutschen Bundestag.

3. Zur „Agora des 21. Jahrhunderts in Berlins Mitte“

Damit ist die heutige Veranstaltung überschrieben und ich gestehe, ich brauchte einen Blick ins Lexikon. Dort wird „Agora“ mit Volksversammlung beschrieben, als Versammlungs- und Marktplatz. Das ist gut und wird auch im Nutzer-Konzept der internationalen Experten-Kommission so aufgerufen, aber nur in Ansätzen.

Jedenfalls solange, wie es von der Zentral- und Landes-Bibliothek einerseits und von außereuropäischen Sammlungen der Stiftung preußischer Kulturbesitz andererseits dominiert wird. Ich finde, auf einen modernen Marktplatz des 21. Jahrhunderts gehört mehr.

In seiner Berliner Rede in der Nikolai-Kirche am 17. September 2001 meinte Gregor Gysi: Mit der Gestaltung der Spree-Insel, sollte auch die innere gesellschaftliche Einigung ihren Platz und Ausdruck erhalten. Es solle in einer Stadt des Wissens um einen Ort gehen, an dem die Begegnung mit der Geschichte die Lösung von Zukunftsfragen befördert wird.

Das teile ich und gerade deshalb meine ich: Es reicht nicht aus, museale Schätze und gebundene Weisheit zu präsentieren. Hier brauchen lebendige Akteure eine Heimstatt und Aktionsfläche. Zum Beispiel Nicht-Regierungs-Organisationen, wie Green-Peace oder das Netzwerk attac. Hier gehören jene hin, die im Wende-Herbst demokratische Spuren hinterließen, die auch heute noch aufmüpfig und weitsichtig genug sind, den Regierenden und der Wirtschaft zu widersprechen. Viele von ihnen haben im neuen „Haus der Demokratie“ eine Heimstatt. Ich finde: Sie gehören zur Agora des 21. Jahrhunderts, zum Bürgerforum Spree-Insel. Unterstellt, dieser Anspruch ist richtig, dann folgte daraus ein Neben-Effekt und eine Frage.

Der Neben-Effekt: Weit mehr Bürgerinnen und Bürger als jetzt wären gefragt und möglicherweise daran interessiert, an der Zukunft „ihres“ Forums, der Spree-Insel mitzuwirken. Es wäre eben nicht alles klar, weil vieles noch offen und gestaltbar wäre. So, wie auch niemand von uns voraus sagen kann, welche Themen und Akteure in zehn oder zwanzig Jahren bestimmend werden.

Die Frage: Wenn aber in der Primär-Frage, der Nutzung, vieles noch offen ist und gestaltbar bleiben soll, welchen Sinn macht es dann, die abgeleitete Frage, also die nach der Bebauung, scheinbar final zu schließen? Die naheliegende Antwort dürfte heißen: Einmal muss entschieden werden!

Aber diese Antwort hinterlässt eine Doppel-Crux. Sie wirft den Streit zurück auf das Entweder-Oder, auf den Zwist Palast oder Schloss. Und sie mündet in einen unbeweglichen Solitär-Bau. In ein großes Ganzes, bei dem sich das Bild vom Super-Markt, nicht aber das eines lebendigen Markt-Platzes einstellt.

Noch steht ein Wettbewerb aus. Noch kann die Debatte belebt werden. Und damit überhaupt - erst die geistige und dann die tatsächliche - Besitznahme der Spree-Insel durch mitgestaltende, mündige Bürgerinnen und Bürger. Ich werbe also dafür, die Empfehlungen der Expertenkommission nicht mit Schimpf zu missachten, sondern sie weiter zu entwickeln.

4. Zum Architektur-Streit

Sie wissen, ich bin keine Architektin, und Sie merken hoffentlich, ich versuche auch gar nicht, Architektur-Wissen vorzutäuschen. Dennoch kann ich gut nachvollziehen, wenn Architekten, Stadtplaner und Historiker Zweierlei sagen:
a) Der Schlossplatz ist derzeit ein abstoßendes Loch und
b) die Kubatur des einstigen Schlosses bleibt ein wichtiger Bezugspunkt für umliegende Gebäude. Allerdings: Die noch ungelöste Schlossplatz-Frage ist keine ausreichende, nicht einmal eine hinnehmbare Begründung für das abstoßende Loch. Und die Kubatur eines einstigen Schlosses ist nicht zwingend ein Schloss.

Berliner Themen - mit Friedrich Dieckmann, Bernhard Schulz, Dorothee Dubrau und Thomas Flierl; Foto: Andre NowakAuch das sei noch angemerkt: Man nähert sich dem Palast der Republik von Osten kommend anders, als von West. Sie haben das sicher schon einmal probiert - vorbehaltlos, nehme ich an. Der Palast hat für mich daher - einmal abgesehen von seiner Geschichte und weiteren Werten - zur Spree und zum Marx-Engels-Forum hin einen anderen Sinn, als im Bezug auf die Linden.
 
Damit will ich meinen Ausflug in Architektur-Fragen aber auch schon beenden. Zumal: Als ich über die Nutzung und über Ansprüche sprach, habe ich zugleich mehr über mögliche Bebauungen gesagt, als in diesem kurzen Teil.
 
 
5. zwei Schluss-Sätze
Ich freue mich sehr auf die nun folgende Debatte auf dem Podium und die des Podiums mit Ihnen. Dazu begrüße ich ganz herzlich Berlins Kultursenator Dr. Thomas Flierl, das Mitglied der Expertenkommission Friedrich Dieckmann, Mittes Baustadträtin Dorothee Dubrau, und als Moderator den Kulturredakteur vom Tagesspiegel, Bernhard Schulz.

Siehe auch:

•  Abschlussbericht der Internationale Expertenkommission „Historische Mitte Berlin“ vom 17. April 2002
veröffentlicht auf den Webseiten des Bundesministeriums für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen (pdf-Datei, 1508 KB)

•  NeuesDeutschland vom 24.4.2002: „Langes Abschiednehmen vom Palast“

•  taz vom 24.4.2002: „Den haben wir mit rübergebracht“

•  Berliner Zeitung vom 24.4.2002: „Streit um Honeckers Amtssitz: PDS-Politiker gegen Elite-Uni“

•  NWZ-online.de: „Mehrheit für ein Schloss?“
 

 

 

24.4.2002
www.petra-pau.de

 

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