Aktuelle Notiz: Einer ist mehr als zwei

von Petra Pau
Berlin, 20. Oktober 2006

1. 

Gestern meldeten Nachrichtensender: Im Bundestag wird sich nun doch ein Untersuchungs-Ausschuss mit Vorwürfen des Bremer Kurnaz gegen die KSK-Einheiten in Afghanistan befassen. Kurnaz hatte zuvor im „Stern“ und in der ARD gesagt, er sei im Gefangenenlager Kandahar von deutschen Soldaten misshandelt worden. Nun also doch Untersuchung?

2. 

Vorsicht 1: Denn die verbreitete Nachricht greif kurz, sehr kurz, zu kurz. Sie erweckt den positiven Eindruck, dass der Bundestag sich zu einer gründlichen Untersuchung durchgerungen hätte. Und sie verschweigt zugleich, dass es bereits seit dem Frühjahr 2006 im Bundestag den so genannten BND-Untersuchungs-Ausschuss gibt. Ich bin Mitglied.

3. 

Nun also zwei Ausschüsse, denn doppelt hält besser? Vorsicht 2: Der Verteidigungs-Ausschuss will sich zum Untersuchungs-Ausschuss erheben, um die Vorwürfe gegen die KSK „vollständig aufzuklären“, sagen die Ob-Leute der CDU und der SPD. Der Ausschuss kann und darf das, wenn seine Mehrheit das will. SPD und CDU haben die Mehrheit.

4. 

Und es scheint nahe liegend, dass sich vor allem die Parlamentarier im Verteidigungs-Ausschuss der Vorwürfe annehmen, die gegen eine Spezialeinheit der Bundeswehr erhoben werden. Doch Vorsicht 3: Denn dieser Untersuchungs-Ausschuss tagt grundsätzlich geheim und seine Mitglieder sind zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet.

5. 

Zwei Ausschüsse werden also nicht doppelt so schnell und doppelt so viel aufklären, wie einer. Das Gegenteil droht, nämlich das Ende aller Aufklärungsbemühungen. Dafür gibt es ein weiteres Indiz. Auch das entfaltete sich in dieser Parlamentswoche. Und es hat ebenfalls mit dem „Fall Kurnaz“ zu tun, der regelrecht nach Untersuchung schreit.

6. 

Seine Behauptungen gegen die deutsche KSK in Afghanistan sind nämlich nur ein kleiner Teil. Mindestens ebenso brisant ist ein weiterer Vorwurf. Demnach hätten die USA der Bundesregierung bereits vor drei Jahren angeboten, Kurnaz aus Guantanamo freizulassen und nach Deutschland zu entlassen. Dieses Angebot sei abgelehnt worden.

7. 

Auch diesen Vorwurf macht Kurnaz seit drei Wochen publik. Deshalb wollen FDP, DIE LINKE und Die Grünen nun den Auftrag des "BND-Untersuchungs-Ausschusses" erweitern. Er soll sich mit genau dieser und weiteren Frage im „Fall Kurnaz“ befassen. Der BND-Untersuchungs-Ausschuss kann das, vorausgesetzt, der Bundestag stimmt im Plenum zu.

8. 

Die drei Oppositionsparteien haben einen entsprechenden Antrag gestellt, aber CDU und SPD weigern sich (bislang), ihn überhaupt auf die Tagesordnung zu setzen. Sie wollen offenbar verhindern, dass der „Fall Kurnaz“ irgendwie breit und öffentlich verhandelt wird. Was wiederum suggeriert: Es muss ein großes Interesse an Nichtaufklärung geben.

9. 

Zugleich streuen SPD und CDU Meinungen, dass die „KSK möglicherweise aus dem Ruder gelaufen“ sei und dass der damaligen Verteidigungsminister Scharping nicht alles im Griff gehabt habe. Beides mag stimmen und klingt zugleich nach Bauernopfer. Das habe ich auch öffentlich gemutmaßt. Denn der „Gesamt-Fall Kurnaz“ ist viel brisanter.

10. 

Wenn es stimmt, dass die USA Kurnaz frei lassen wollten, die damalige Bundesregierung dies aber ausgeschlagen hat, dann rücken ganz andere in den Ermittlungs-Fokus. Zum Beispiel Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der damals Kanzleramts-Minister war, also zuständig für die täglichen Lagebesprechungen und obendrein für die Geheimdienste.

11. 

Die Oppositions-Parteien wollen Frank-Walter Steinmeier im November, spätestens im Dezember, im „BND-Untersuchungs-Ausschuss“ anhören, auch zum „Fall Kurnaz“. Offenbar ließ genau das bei den Koalitions-Parteien die Alarmglocken schrillen. Und so versuchen sie die Not-Bremse zu ziehen, mit einem geheimen Untersuchungsausschuss u.s.w.

12. 

Daher meine Überschrift: „Einer ist mehr als zwei!“ Denn der zweite Untersuchungsausschuss kann den ersten entmachten und die Aufklärung ersticken. Wohl bemerkt: Das ist eine Vermutung, aber nicht nur meine. Stimmt sie, dann ist Gefahr im Verzuge. Deshalb ärgern mich Meldungen, wie die eingangs zitierte. Sie verwirren, anstatt zu informieren.

PS:
Um Irrtümern vorzubeugen: Der auf Initiative der Linksfraktion, mit Hilfe der FDP und letztlich auch mit dem Segen der Grünen eingesetzte „BND-Untersuchungsausschuss“ ist beileibe kein Hort der Aufklärung. Ich halte ihn dennoch für nötig. Ohne ihn hieße das politische Signal: „Macht doch, was ihr wollt, egal, welche Bürger- und Menschenrechte ihr dabei verletzt.“

Zugleich bleibt jede Skepsis angebracht. Denn die Versuche, mehr zu verheimlichen, als aufzuklären, sind dominant, insbesondere der Bundesregierung. Deshalb bereitet Wolfgang Neskovic auch eine Klage wegen „Sabotage und Blockade“ beim Bundes-Verfassungsgericht vor.

Aber der „BND-Untersuchungsausschuss“ ist immerhin noch eine halböffentliche Veranstaltung und dadurch auch partiell für kritische Medien zugänglich. Eine Untersuchung im Verteidigungsausschuss hingegen wäre eine absolut geschlossene Veranstaltung. Also: Schluss! Aus! Weiter so?
 

 

 

20.10.2006
www.petra-pau.de

 

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