Föderalismus mit Foul

Bundestag, 16. Oktober 2003,Einsetzung einer gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat zum Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung (Föderalismus- Kommission)
Rede von Petra Pau

1.
Der Föderalismus gehört zu den Säulen der Bundesrepublik. Er hat sich als Prinzip bewährt. Mit ihm wird geregelt, was der Bund soll und darf, was allein Ländersache ist und was Angelegenheit der Kommunen ist.

2.
Die PDS bejaht das Prinzip. Zugleich verweisen wir seit Jahren auf praktische Mängel und Schieflagen. Sie gehen überwiegend zu Lasten der Länder und Kommunen und sie drohen das Prinzip auszuhöhlen. Deshalb teilen wir die zunehmenden Klagen und Forderungen des „Städte- und Gemeindetages“.

3.
Denn es ist löblich, wenn Städte und Kommunen möglichst viel in eigener Sache entscheiden können. Aber es ist tödlich, wenn ihnen dazu die Ressourcen und das Geld fehlen und durch eine falsche Steuerpolitik entzogen werden.

4.
Ein aktuelles Beispiel: Kommt die vorgezogene Steuerreform - wie von Rot-Grün geplant - dann verliert das Land Berlin ca. 400 Mio. € an Einnahmen. Käme stattdessen die Vermögenssteuer - wie von der PDS gefordert - dann könnte Berlin ca. 400 Mio. € mehr einnehmen. Die Differenz zwischen Tun und Lassen beträgt fast 1 Mrd. €. Die Rechnung trifft in unterschiedlicher Höhe auf fast alle Länder zu. Im normalen Leben geht es dabei um Tausende Kitas, Hunderte Schwimmbäder, Zig Theater, usw.

5.
Die EU und ihre Erweiterung sind ein weiterer Grund, das Prinzip des Föderalismus einem aktuellen Praxistest zu unterziehen. Immer mehr Entscheidungen werden auf EU-Ebene getroffen oder dorthin delegiert. Für viele ist das undurchsichtig und oft auch uneinsichtig. Politik im Nebel ist aber das Gegenteil von Transparenz und Demokratie.

6.
Hinzu kommt ein grundsätzlicher Streit - denn Föderalismus ist nicht gleich Föderalismus. Die einen wollen einen solidarischen, kooperativen Föderalismus. Die PDS gehört dazu. Andere wollen einen Wettbewerbs-Föderalismus, bei dem die starken Länder gewinnen und die ohnehin schwachen weiter verlieren. Das will die PDS nicht.

7.
Schließlich gibt es einen weiteren Konflikt. Er betrifft das Verhältnis von Exekutive und Legislative, also von Regierung und Parlament. Das Gewicht des Parlaments wird immer geringer und der Einfluss der Regierungen immer stärker. Der Versuch ein Entsendegesetz zu verabschieden, nachdem künftig nicht mehr der Bundestag, sondern eine elitäre Untergruppe über Auslandseinsätze der Bundeswehr entscheiden soll, ist dafür nur ein aktueller Beleg. Wider das Grundgesetz ist er zudem.

8.
Heute geht es um eine „gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“, also um ein Gremium, das sich mit den von mir aufgeworfenen Fragen und mehr befassen soll. Gerade deshalb sollten wir Konstruktionsfehler von Anfang an vermeiden.

9.
Sie wissen es und wenn nicht, dann sagen ich es Ihnen: Es gibt seit Geraumen einen „Konvent Deutscher Landesparlamente“. Er befasst sich mit der Frage, wie die Landesparlamente wieder in ihre ursächlichen Rechte eingesetzt, wie das Recht der Parlamentarier gegenüber den Regierenden gestärkt werden kann. Dieser Konvent hat am 31. März 2003 Repräsentanten bestimmt. Sie sollen die Interessen der Landesparlamente gegenüber dem Bund und den Landesregierungen vertreten.

10.
In der „gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat“, die heute zur Debatte steht, findet sich das berechtigte Anliegen der Landesparlamente allerdings nicht wieder. Sie missachten es schlechtweg und das quer über alle Fraktionen. Damit setzen sie sich über den erklärten Willen von rund 2.000 Landesparlamentariern hinweg. Das ist kein Fehlstart, das ist ein Foul.

11.
Mit der Reform des Föderalismus geht es auch um die Zukunft des Ostens. In den Neuen Bundesländern arbeiten 144 Parlamentarier der PDS. Die PDS aber wird durch die vorgeschlagene Zusammensetzung der „gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat“ schlicht ausgegrenzt und damit rund 20 Prozent aller Wählerinnen und Wähler. Nicht zufällig, sondern wohl wissend, denn es gab Vorschläge, diesen Fehler zu korrigieren. Prof. Lothar Bisky hat als PDS-Vorsitzender dies in einem Brief an die Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates, also an Herrn Thierse und derzeit Herrn Böhmer angemahnt - bislang ohne Resonanz. Wir werden diese Ignoranz nicht hinnehmen.

12.
Die PDS im Bundestag bedauert, dass ein großes und wichtiges Thema von Anfang an durch kleinlichen Partei-Egoismus belastet wird. Die PDS im Bundestag hat mehrere Änderungen beantragt. Eine verlangt, die 11 Mitglieder aus dem Konvent der Landesparlamente als gleichberechtigte Mitglieder in die gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat zu berufen.
Das wäre ein Fehler weniger, das wäre ein Signal, das wäre einfach vernünftig.
 
Machen wir es besser und nicht noch schlechter, als es ohnehin praktiziert wird.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

16.10.2003
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

Übersicht

 

Reden&Erklärungen

 

Lesbares

 

Startseite