Regierungserklärung und Generaldebatte

Bundestag, 29. Oktober 2002
Rede von Petra Pau

1. Glaubwürdigkeit

Auf den Presse-Fassungen von Regierungs-Erklärungen heißt es stets: „Es gilt das gesprochene Wort!“ Das ist in diesem Fall zusätzlich angebracht.
Denn was vom Geschriebenen, nun ich meine den Koalitionsvertrag, demnächst wirklich noch gilt, das wissen wir nicht, leider auch nicht nach Ihrer Rede, Herr Bundeskanzler.
Nun hat sich Frau Merkel beschwert, sie fühle sich ge- oder enttäuscht. Da kann ich nur sagen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU: Für so naiv hätte ich sie nicht gehalten.

2. PDS-Gradmesser

Wir, die „PDS im Bundestag“, legen ein übersichtliches Maß zur Bewertung an. Unsere Fragen lauten schlicht und nachvollziehbar: Zielt das durch SPD und Bündnis 90/Die Grünen Verabredete
auf mehr soziale Gerechtigkeit;
auf eine militärfreie Außenpolitik;
auf eine bürgerrechtliche Innenpolitik;
auf eine nachhaltige Umweltpolitik;
auf eine wirksame Politik für die Neue Bundesländer?
Agieren Sie in diese Richtungen, dann können Sie mit unserer Zustimmung rechnen. Wäge ich allerdings den Koalitionsvertrag und die Regierungserklärung, dann müssen sie überwiegend mit unserem Nein rechnen!

3. Arbeitslosigkeit

Aber auch das will ich klarstellen: Der Abstand der rot-grünen Politik zu dem, was CDU und CSU wollen, ist viel geringer, als die Phonstärke, mit der die Opposition zur Rechten Ach und Weh klagt. Am klarsten zeigt sich das, sobald es um die Minimierung der Massenarbeitslosigkeit geht. Beide großen Blöcke des Bundestages verbreiten die Mär von den bösen Lohnnebenkosten. Beide großen Blöcke des Bundestages beten den Götzen Wirtschaftswachstum an. Und beide großen Blöcke des Bundestages stellen letztlich die Betroffenen an den Pranger.
Das ist nicht modern. Das ist unterwürfig. Das sind Ergebenheits-Adressen gegenüber den globalen Interessen des großen Kapitals, also keine wirkliche Politik.

4. Umsteuern

Sie alle wissen, dass es nicht reicht, hie und da ein Steuerschlupfloch zu stopfen, die eine oder andere Subvention in Frage zu stellen. Das muss sein, aber es reicht nicht. Die PDS fordert grundsätzlich: „Umsteuern!“ - politisch und finanziell.
Ich will jetzt hier gar nicht über die Tobin-Steuer reden, sondern nur über die Wiedereinsetzung der Vermögenssteuer. Den besten Beleg, wie widersprüchlich es bei Rot-Grün zugeht, lieferte ihr neuer Super-Minister, Herr Clement. Als er noch als Landesminister sprach, also wenigen Tagen, war er heftig für die Vermögenssteuer. Nun ist Herr Clement die Bundes-Treppe hoch gefallen. Prompt spricht er dagegen.
Die Nagelprobe wird es im Bundesrat geben. Rot-Rot in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern wollen die Vermögenssteuer. Ich bin gespannt, wie sich die anderen Bundesländer verhalten werden. Und ich füge hinzu: Die Abstinenz der Bundesregierung in dieser Frage ist nicht klug, sondern abwiegelnd und feige.

5. Neue Bundesländer

Eine Anmerkung zu den Neuen Bundesländern: Sie, Herr Bundestags-Präsident, hatten vor zwei Jahren gemahnt: „Der Osten steht auf der Kippe!“ Seither hat sich nicht wirklich etwas zum Besseren gewendet. Und wir alle wissen: Die Vorschläge der viel gepriesenen Hartz-Kommission sind - würden sie in den Neuen Bundesländern eins zu eins umgesetzt - pures Gift. Das gilt übrigens auch für struktur-schwache Regionen in den alten Bundesländern, beispielsweise Ober-Franken.
Ich vermute, Herr Minister Stolpe, dass Sie die Ost-Erwartungen spüren, die auf Ihnen im neuen Amt lasten. Bislang habe ich von Ihnen aber nur eine Botschaft gehört: „Für den Aufbau-Ost werden keine Mittel gestrichen.“ Das ist für einen bestellten Hoffnungsträger arg wenig, bis nichts!

6. Irak-Krieg

Ein hoch-aktuelles Problem will ich noch ansprechen. Die Zusage des Kanzlers und des Außenministers: Die Bundesrepublik wird sich nicht an einem Krieg gegen den Irak beteiligen. Wenn dieses Nein konsequent sein soll, dann schließt das auch logistische Hilfen aus, dann verbietet sich, hoheitliche Rechte der Bundesrepublik an die USA abzutreten, dann erwarte ich eine klare Ansage, dass für Rot-Grün das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland mehr gilt, als ein konstruierter Nato-Bündnis-Fall. Bringen Sie also Wort und Tat in Übereinstimmung. Auch diese Klarstellung habe ich in der Regierungs-Erklärung vermisst. Sie bleibt gleichwohl auf der Tagesordnung. Die PDS wird daran erinnern.

7. EU-Konvent

Sie sind in Ihrer Regierungs-Erklärung auf den EU-Konvent eingegangen. Die PDS begrüßt, wenn dieser endlich aus seinem Schatten-Dasein herauskommt. Sie haben, Herr Bundeskanzler, für ein Europa der Bürger plädiert. Ich ergänze: auch der Bürgerinnen. Dazu gehört dann allerdings auch, die europäische Verfassung per Volksabstimmungen in Kraft zu setzen. Die EU-Wahlen 2004 bieten sich hierfür regelrecht an.
 

[download] Stenographischer Bericht, rtf-Datei

 

 

29.10.2002
www.petra-pau.de

 

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