Bezirke Mitte und Prenzlauer Berg von Berlin
Machtvolle Demo
Prenzlauer Berg und insbesondere der Kollwitzplatz gilt als Areal, das von vielen Altbundis zur neuen Heimat erkoren wurde, und sei es nur zum allwöchentlichen Kneipentreff. Grund genug, die Prenzlauer Berger Schwaben, Bayern oder Niedersachsen darüber aufzuklären, wen und warum richtige Prenzlauer Berger wählen.
Die Berliner PDS „besuchte“ daher am 20. September die NeuberlinerInnen mit einer machtvollen Demo, nebst kraftvoller Ansprache der PDS-Direktkandidatin und Landesvorsitzenden, Petra Pau:
Bürgerinnen und Bürger, Prenzlauer Bergerinnen und Prenzlauer Berger, Ur-Einwohner und Angekommene, Genossinnen und Noch-nicht-Genossen!
Es gibt ein Grundrecht auf Sonntagsruhe. Aber es gibt ein höheres Recht: Das der freien Rede- und Versammlungsfreiheit (insbesondere der Partei des Demokratischen Sozialismus).
Auch wenn Sie sich am Kollwitzplatz und daher ungestört wähnten, so sei Ihnen doch zweierlei gesagt:
1. Der Kollwitzplatz ist Prenzlauer Berg und Prenzlauer Berg gehört zum neuen Osten.
2. Der Satz: „Stell Dir vor, es ist Wahlkampf und wir gehen nicht hin“, gilt in Prenzlauer Berg nicht. Denn Prenzlauer Berg ist Avantgard oder nichts! Deshalb sind wir hier und deshalb spreche ich zu Ihnen. Sofern man Medien überhaupt glauben kann, sollen sich unter Ihnen zahlreiche Neubürger und Unentschlossene befinden: Wankelmütige zwischen Wählen und Nichtwählen, Zuhälter zwischen CDU und FDP, Pseudo-Linke zwischen SPD und Grünen, Haltlose zwische n weiß-nicht und kann-nicht. All das ist, gerade in Prenzlauer Berg - extrem rufschädigend. Auch wenn Sie dem Grundwiderspruch unserer Epoche erliegen sollten, nämlich dem Widerspruch zwischen Durst und Wissendurst, so sollten Sie doch eines wissen: Prenzlauer Berg war und bleibt immer ein Hort intelligenter Aufmüpfigkeit und rebbellierender Größe.
Oder warum – glauben Sie – wurde Prenzlauer Berg mit der bürgerfeindlichen Bezirksreform des Senats nicht Berlin-Mitte zugeschlagen?
1. Weil die Mitte durch die Bundesregierung und das Kapital okkupiert wird.
2. Weil Regieren und intelligente Aufmüpfigkeit ein Antagonismus sind.
Zwei schlagende Beispiele, zwei Fragen dafür: Kohl hat 16 Jahre regiert – aber was hatte das mit Intelligenz zu tun? Einstein hingegen war intelligent – aber hat er je regiert?
Deshalb sollten Sie auch genau hinsehen, welche Partei unbedingt regieren will, und genau hinhören, wie sich deren Vorsprecher vom Intellekt verabschieden.
Machen wir die Nagelprobe: Kanzlerkandidat Schröder (SPD) will – Zitat – nicht alles anders machen als die CDU, aber vieles besser. Was aber heißt das? Will Schröder eine bessere CDU sein? Oder: Thierse stellt wie Schröder alles unter einen Finanzierungsvorbehalt.
Liebe Leute – das heißt doch nichts anderes, als SPD-Politik in Waigels Grenzen.
Und so frage ich Sie: Wollen Sie Prenzlauer Berg, wollen Sie den Kollwitzplatz, wollen Sie Ihren Milchkaffe wirklich verwaigeln, verschrödern oder verthiersen lassen? Haben Sie von Schönbohm nicht schon genug? Und von der großen Berliner CDU-SPD-Koalition, die Kanzler-Kandidat Schröder ernsthaft als Regierungsoption im Munde führt? Ich sage: Wer nicht vieles anders machen will, macht nichts besser!
Oder nehmen wir die Bündnisgrünen und deren Parole: Wer PDS wählt, wählt Kohl! Welcher Schwachsinn, welch trübe Fischerei, welch demagogischer Tritt-in: Selbst Taz-Leser wissen: Der kürzeste Weg, Kohl in die Rente zu schicken, heißt – FDP abwählen und schon wird die gesamte CDU mit der Westerwelle ins Abseits gespült.
Bleibt eine einzig wahre Alternative: Wir!
Wir haben tonnenweise „Cool“ und „Geil“ geleimt. Wir haben einen nach der anderen ins Rennen geschickt. Wir haben sogar Konzepte vorgelegt. Aber: Wir können auch anders! Deshalb will ich Ihnen ein paar Grundregeln in Erinnerung rufen:
1. Prenzlauer Berg ist und bleibt Osten.
2. Der Osten wählt rot.
3. Wer Rot wählt,will Gerechtigkeit.
4. Wer Gerechtigkeit will, fordert Politikwechsel.
5. Wer deshalb PDS wählt, erwirbt Bleiberecht in Prenzlauer Berg.
Deshalb: Wer sich schon für den Osten entscheidet, wer hier eine neue Heimat sucht, wer ein echter Prenzlauer Berger werden oder sein will, der darf auch nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Die CDU können Sie in jeder Bank kaufen, die SPD finden sie heute hier und morgen da, die FDP ist museumsreif, und um die grünen Bürgerrechtler sorgt sich bereits der Artenschutz.
Was für eine Wahl bleibt Ihnen also am 27. September?
Wenn Sie sich nicht blamieren wollen, wenn Sie vor den bohrenden Fragen Ihrer Enkel oder Nachbarn bestehen wollen, dann haben Sie nur eine Wahl – PDS. Und ich sage Ihnen ein Letztes: Wer wählt, hat Erwartungen. Fragen Sie sich selbst: Was können Sie von wem erwarten? Bei der FDP weiß man, wen und was man wählt: CDU Bei der CDU weiß man, was man wählt, aber nicht wen. Bei den Grünen weiß man, wen man wählt: SPD. Bei der SPD weiß man wen man w&a uml;hlt, aber nicht was. D.h.: Entweder man weiß nicht recht, was man kriegt, oder man bekommt etwas anderes.
Deshalb auf Nummer sicher gehen: 1. und 2. Stimme PDS, denn wer PDS wählt, bekommt PDS, wer PDS wählt, wählt linke, sozialistische Opposition, wer PDS wählt, wählt den Politikwechsel.
Zumal: Ein starkes Rot in der künftigen Regierungsstadt – das hat doch was – oder? Also begrüßen Sie meine Helfershelfer, unsere Agitatoren und Propagandisten, die Sentimentalen Transportarbeiter-Freunde, kurz: alle wahren Prenzlauer Berger und Sozialisten, mit Freibier und revolutionärem Beifall. Und seien Sie versichert: Wir kommen gern und beharrlich wieder!
Denn Prenzlauer Berg ist Avantgard oder nichts!
PDS stört? Wobei?
Zuviel Unaufrichtigkeit, Genosse Thierse.
(Offener Brief an Wolfgang Thierse)
Sehr geehrter Genosse Thierse,
mich ärgern Ihre unaufrichtigen Rechenkünste, wie sie durch das „Berliner Abendblatt“ dieser Tage wiedergeben wurden. Sie werden dort mit der Behauptung zittiert, daß wenn die PDS draußen bliebe, SPD/Grüne einen Vorsprung von ca. 30 Sitzen gegenüber der CDU/CSU/FDP Koalition bekämen. Wenn die PDS rein käme, müßte die SPD in die von Ihnen nicht gewünschte große Koalition.
Die Mandatsverteilung im Bundestag erfolgt, wie Sie wissen, aber grundsätzlich nach dem Zweitstimmenergebnis, d.h. an den Relationen zwischen Rot-Grün einerseits und Schwarz-Gelb andererseits ändert ein Einzug der PDS gar nichts.
Eines änderte ein Einzug der PDS in den Bundestag allerdings: Eine Rot-Grüne-Regierung könnte Politik nicht gegen die PDS gestalten, d.h.:
nicht gegen die Schwachen,
nicht gegen die Unten,
nicht gegen die Armen,
nicht gegen den Osten.
Wenn Sie, die SPD und die Grünen so vehement gegen einen Wiedereinzug der PDS in den Bundestag kämpfen, was soll da der Wähler von Ihnen für eine Politik erwarten? – Offenbar eine Politik, bei der die PDS hinderlich sein würde!
Folgt: Die PDS muß rein!
Ohne PDS im Bundestag wird es keinen Politikwechsel geben.
Folgt: Die Erststimme für Petra Pau!
Mit freundlichen Grüßen
M. Nelken
Prenzlauer Berg, 24.09.1998
Briefe: