Anrede,
Als Innenpolitikerin sind meine Pro-Themen Bürgerrechte und Demokratie,
meine Contra-Themen sind Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.
Und so will ich Ihnen drei Gedanken zur Demokratie nahe bringen,
zumal Toleranz und Demokratie miteinander korrespondieren:
einen Gedanken im Rückblick, einen in die Gegenwart und einen in die Zukunft.
1. Mehr Demokratie wagen war das Motto von Willy Brandt,
mit dem der SPD-Politiker im Herbst 1969 eine Regierungserklärung als
frisch gewählter Kanzler der Bundesrepublik Deutschland abgab.
Hernach wurde das Wahlalter von vordem 21 Jahre auf 18 Jahre gesenkt.
Viel mehr Demokratie-Wagnis schaffte es allerdings nicht ins politische Leben.
Ich werbe weiter für ein Wahlalter von 16 Jahren und für Volksabstimmungen auch auf Bundesebene, also für mehr parlamentarische und direkte Demokratie.
2. Nun ein Blick in die Gegenwart. Wir erleben eine rasante Digitalisierung aller gesellschaftlichen Bereiche. Doch was bedeutet das für die Demokratie?
Noch gut erinnere ich mich an den Beginn der 1990er Jahre. Damals wurde das Internet allgemein zugänglich. Die Euphorie war groß. Erstmals wurden Bürgerinnen und Bürger Sender und Empfänger von Nachrichten zugleich, und das auch noch weltweit, in Echtzeit. Das war historisch neu.
Nunmehr konnte man sich vernetzen, aktivieren, mobilisieren, auch eingreifen, über lokale Grenzen hinweg. Die Aktionsplattform www.campact.de ist dafür in Deutschland nur ein Beispiel. Ein anderes digitales Angebot ist www.abgeordnetenwatch.de. Wählerinnen und Wähler können so Parlamentariern auf den Zahn fühlen, deren Tun oder Lassen transparent abbilden.
Keine Frage, das Internet ermöglicht mehr Transparenz und Einfluss für Bürgerinnen und Bürger. Bewirkt die Digitalisierung folglich auch mehr Demokratie?
Die weltweit offene Ära des vordem militärischen Internets war kaum nutzbar, schon begannen neue Monopole das vermeintlich freie Netzwerk zu kapern. Sie dominieren inzwischen weltweit und sie wurden dadurch obendrein steinreich. Sie vermarkten Daten, auch ganz persönliche Daten, Ihre und meine.
Und wir liefern sie ihnen kostenlos frei Haus, indem wir z. B. bei Google suchen oder bei Facebook posten. Nein, ich bin keine Maschinenstürmerin und ich halte mitnichten ein Plädoyer gegen die Digitalisierung. Das wäre nicht links und zudem brotlos.
Nur über drei Punkte sollte man nicht hinweg sehen.
Erstens: Daten gelten als das neue Öl des 21. Jahrhunderts, wenn es um kapitale Geschäfte mit Milliarden-Profit geht. Zugleich hat nicht nur das Bundesverfassungsgericht wiederholt geurteilt: Datenschutz ist ein Grundrecht, unabdingbar für souveräne Bürgerinnen und Bürger, ohne die wiederum jedwede Demokratie unvorstellbar sei.
Zweitens: Die kapitalsten Datensauger empfehlen sich gekonnt als Glücksbringer und so werden sie auch gern genommen. Auch ich nutze Google, Facebook und mehr. Wohl wissend, dass es sich um Konzerne handelt, die uns allen fies ins Herz und schamlos ins Hirn schauen wollen, aber sich selbst nicht in ihre Karten, sprich Algorithmen, gucken lassen.
Drittens: Was den Daten-Imperialisten von Silicon Valley billig ist, ist Geheimdiensten aller Couleur nur recht. Spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden über die NSA weiß man erneut, dass die viel gepriesenen westlichen Werte auch von Staats wegen attackiert werden, auch hierzulande,
dank Digitalisierung massiver denn je.
Alle drei Punkte laufen darauf hinaus, dass Bürgerinnen und Bürger zunehmend durchschaubar, berechenbar, manipulierbar werden. Wie im Horrorbuch 1984 von Georg Orwell.
Yvonne Hofstetter ist IT-Unternehmerin und alarmiert gerade deshalb höchst kompetent, was die Zukunft von Bürgerrechten und Demokratie in Zeiten einer pur-kapitalistischen Digitalisierung betrifft. Zwei ihrer - viel weitergehenden - Gedanken seien kurz skizziert.
Erstens erinnert sie daran, dass Bürgerrechte noch nie vom Himmel gefallen sind oder vom Staat frei Haus geliefert wurden. Sie müssen durch eine engagierte Zivilgesellschaft wieder und wieder erkämpft werden.
Zweitens müssen der Staat und internationale Gemeinschaften gleichwohl verbindliche Regeln und klare Rahmen setzen, um die Digitalisierung und Bürgerrechte verträglich zueinander zu bringen.
Über alledem schwebt allerdings eine noch viel grundsätzlichere Frage:
Was, wenn durch die Digitalisierung künstliche Intelligenz nicht nur punktuell, sondern prinzipiell intelligenter wird, als menschliche? Wer hätte dann das Sagen? Und was wäre dann mit Demokratie und was wäre dann Toleranz?
3. Meinen dritten Gedanken leite ich mit einer biblischen Geschichte ein.
Der Herr eines Weinberges heuerte dereinst Helfer an und vereinbarte mit ihnen für ihr Tagwerk einen Lohn von einem Silbergroschen. Des Mittags stellte er noch mehr Weinwerker an, vor Sonnenuntergang weitere. Dann zahlte er alle aus, jeweils mit einem Silbergroschen. Prompt kam Unbill auf. Die Ersten murrten wider den Herrn und sprachen: Diese haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und die Hitze getragen haben. Er antwortete aber und sagte zu einem unter ihnen: Mein Freund, ich tue dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir eins geworden für einen Groschen? Nimm, was dein ist, und gehe hin! Ich will aber diesem Letzten geben gleich wie dir. Denn auch er habe Frau, Kind und Familie, wie Du! Also werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.
Was für eine wunderbare linke Botschaft, biblisch erzählt. Man kann diese uralte Weinberg-Geschichte aus Matthäus 20 nämlich auch als Plädoyer für ein bedingungsloses Grundeinkommen lesen. Primär zählt nicht, wer wie lange für andere malocht, sondern dass alle vor Gott gleich sind oder nach dem Grundgesetz Mensch sein können. Die Letzten wie die Ersten!
Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens ist umstritten, auch unter Linken. Ich befürworte sie. Demnach bekäme jede und jeder einen Basisbetrag zum Leben in Würde, unabhängig vom Alter oder von Bildung, unabhängig auch davon, ob er oder sie einer Erwerbsarbeit nachgehen kann oder will. Sagen wir aktuell 1.350 Euro im Monat. Ja, das wäre eine kleine Revolution.
Niemand könnte mehr in Arbeit gezwungen werden, die offensichtlich den Stempel Ausbeutung trägt. Menschen könnten wägen und wählen, was auch mehr Demokratie bedeuten würde. Und doch: Wenn es um die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens geht, höre ich letztlich immer zwei Fragen. Die erste: Wer soll das bezahlen? Dafür gibt es verschiedene Modelle. Die zweite: Wer würde dann überhaupt noch arbeiten? Diese Frage ist interessanter. Alle Skeptiker betonen stets: Ich schon, aber die anderen nicht! Alle sagen: Ich würde ja wollen, nur die anderen nicht! Das Problem aller sind so immer die anderen – eigenartig tolerant, oder?
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