Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich heute hier zu sein und bin gespannt auf den Austausch zu diesem wichtigen Thema!
In Zeiten von massiven Fakenews-Kampagnen und einer großen Präsenz von Verschwörungsmythen im Netz stellt sich mehr denn je die Frage nach nachhaltigen Präventions- und Interventionsmaßnahmen. Meine Kleinen Anfragen zu antisemitischen, antimuslimischen und antiziganistischen Straftaten, die ich seit Jahren regelmäßig im Bundestag stelle, zeigen besorgniserregende Zahlen für das letzte Jahr. Die antisemitische Gewalt hat zugenommen und Gewalttaten gegen Sinti und Roma in Deutschland sind auf dem höchsten Stand seit sechs Jahren. Wie sie alle sicherlich der Presse zuletzt entnommen haben, hat auch die sogenannte Reichsbürgerszene ein erschreckendes Mobilisierungspotenzial. All das entsteht nicht im luftleeren Raum.
Social Media Platformen wie TikTok, Twitter oder Instagram, aber auch die verschiedenen Messengerdienste können zwar extrem wichtige Instrumente zur Mobilisierung von politischen Bewegungen, für nötigen demokratischen Austausch und Vernetzung sein – wie man aktuell an der Situation im Iran sieht. Gleichzeitig gehen von solchen Plattformen jedoch auch Hasswellen aus, es werden extrem viele rassistische, antisemitische und anderweitig menschenfeindliche Inhalte verbreitet. Menschenfeindliche Ideologien haben längst mediale digitale Räume erobert und besetzen Diskurse. In Onlineforen wie 4chan und 8chan entstehen rechtsextreme Blasen, die Menschenleben gefährden. In denen sich Attentäter wie die von Christchurch und Halle radikalisieren, sich gegenseitig in ihrer rechtsextremen Ideologie bestärken und schließlich zum Handeln aufgefordert sehen. Die zahlreichen Attentate der letzten Jahre, die Formierung von Online entstandenen Rechtsterror-Gruppen wie der Atomwaffendivision verdeutlichen wie hoch der Handlungsbedarf auf allen gesellschaftlichen Ebenen ist, um der davon ausgehenden massiven Demokratiegefährdung etwas entgegenzusetzen.
Aber auch insbesondere die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben offenbart, wie die Diskurse im Netz sich verschärfen und Verschwörungstheorien den Sprung aus dem schwer kontrollierbaren Online-Raum in reale Lebenswelten finden. Es gibt das geflügelte Wort, dass im Krieg die Wahrheit zuerst stirbt. Besonders deutlich sehen wir das aktuell im Netz. Doch solch extreme Konflikte waren schon immer von Informationskriegen begleitet – ob online oder offline. Im Netzt sind die Quellen von Nachrichten jedoch oft nur schwer zu beurteilen, die Informationsflut ist größer und schnelllebiger, was den Nährboden für Fake-News bildet.
In den letzten Jahren hat sich besonders Telegram zu einem Motor für Verschwörungsideologien entwickelt. Hier organisieren sich die Querdenker, Reichsbürger, Rechtsextreme. Antisemitische wie rassistische Inhalte werden massenhaft verbreitet. Einige dieser Telegram-Kanäle erreichen täglich Hunderttausende. Das nimmt auch über die Grenzen des Messengerdienstes Einfluss auf den politischen und öffentlichen Diskurs.
Was also tun mit den besonderen Chancen und Herausforderungen digitaler Kommunikationsmöglichkeiten? Was bedeuten diese Entwicklungen für unsere Demokratie?
Zunächst einmal ist zu sagen, dass das Problem der Desinformation und nicht ausreichender Medienkompetenz ein generationsübergreifendes ist. Die Vermittlung digitaler Medienkompetenz ist daher eine Querschnittsaufgabe. Medienbildung ist heute angesichts des stetigen Medienwandels ein lebensbegleitender Prozess und muss in Bildungsangebote für alle gesellschaftlichen Gruppen altersgerecht integriert werden. Denn es wird mehr und mehr deutlich, dass eben nicht nur junge Menschen, die verstärkt auf sozialen Medien unterwegs sind, ein Defizit an Medienkompetenz besitzen.
Die europäische Kommission hat sich ambitionierte Ziele in ihrer Kompetenzagenda gesetzt: bis 2025 soll der Anteil der Erwachsenen, die zumindest digitale Basiskompetenzen haben, auf 70 Prozent steigen. In Deutschland vermissen wir solche klaren, messbaren Ziele noch.
Digitale Kompetenz ist jedoch eine Voraussetzung für digitale Selbstbestimmtheit und Teilhabe. Ohne Kompetenzen kann keine souveräne Nutzung stattfinden und die Tendenz zu Verschwörungsmythen und Fakenews steigt. Ca. 1/3 aller Internetnutzerinnen und Nutzer in Deutschland meinen, dass sie Probleme haben seriöse von unseriösen Nachrichten im Internet zu unterscheiden – gleiches gilt für die Unterscheidung von Werbung oder Information.
Medienbildung müssen wir dringend als schulfachübergreifende Querschnittsaufgabe in den Lehr- und Bildungsprogrammen der Bundesländer verankern, d.h. es sollte kein extra Schulfach „Medienbildung“ geben, sondern in allen Fächern mitunterrichtet werden. Wir brauchen auch in der Ausbildung von Erzieher*innen und Lehrkräften verankerte Medienkompetenztrainings, sowie verpflichtende Fortbildungsangebote nach dem Einstieg in den Beruf, um sie mit den vermehrten Herausforderungen im Umgang mit Verschwörungsideologien, Coronaleugnung und Staatsfeindlichkeit, sowie Hate Speech nicht alleine zu lassen. Dafür muss jedoch auch die Zeit geschaffen werden, damit sich weitergebildet werden kann! Die Vermittlung von Medienkompetenz muss sich dabei an der Lebensrealität und Aktivitäten von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen orientieren.
Ich setze meine Hoffnungen auch in das Demokratiefördergesetz. So es denn bald endlich nach langem Warten umgesetzt wird, kann es für stetigere Förderung von politischen Bildungsprogrammen im Bereich der Medienkompetenzförderung sorgen, die durch Demokratie leben! etabliert wurden.1
Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) hat vor kurzem einen Bericht zu digitaler Extremismusprävention herausgegeben. Eine ihrer Umfragen ergab: 53% der befragten Jugendlichen sahen sich mit Hassbotschaften und fast genauso viele mit extremen politischen Ansichten und Verschwörungsideologien konfrontiert – wobei dies diejenigen jungen Menschen sind, die einschlägige problematische Inhalte als solche erkennen; offen bleibt, wie viele junge Menschen Hass, Fake News, Menschenfeindlichkeit und Extremismus im Netz erst gar nicht bemerken und entsprechend einordnen.
Hier wird deutlich: Wir brauchen dringend mehr kritische Medienkompetenz für Jugendliche!
Angebote der digitalen Präventionsarbeit sind nach wie vor selten. Das gilt vor allem dann, wenn sie über mittlerweile etablierte Formen der digitalen Wissensvermittlung zu Extremismus hinausgehen. Wichtig wäre die verstärkte Förderung interaktiver und partizipativer digitaler Bildungsformate, in denen nicht nur Bildungsinhalte abrufbar gemacht werden, sondern sich die Zielgruppen selbst beteiligen und miteinander interagieren können.
Gerne möchte ich Ihnen daher kurz zwei Projekte vorstellen, die in meinen Augen beispielhaft für gelungene politische Bildungsarbeit in dem Bereich stehen. Wie bereits erwähnt sind digitale Medien als bedeutender Mobilisierungs- und Rekrutierungsort extremistischer Akteure mittlerweile fest etabliert, so auch in der Gamer-Szene. Insbesondere in Zeiten von durch Incels und andere rechtsextreme Gamer verübten Terroranschlägen ist es wichtig, einen genaueren Blick auf diese Szene zu werfen und mit ihr gemeinsam Strategien gegen Menschenfeindlichkeit im Netz zu entwickeln.
Das Projekt Good Gaming-Well Played Democracy, welches ich letzten Sommer beim Smart Heroes Award auszeichnen durfte, setzt sich mit Workshops und Beratungsangeboten für Gaming-Communities für mehr Demokratie im Gaming ein. Das Pilotprojekt kann die Gamekultur langfristig zu einem vielfältigeren Ort machen und trägt aktiv zur Deradikalisierung in der Szene bei. Projekte wie Good Gaming- Well played Democracy zeigen, wie MIT der Community FÜR die Community an Lösungen zu Radikalisierung im Netz gearbeitet werden kann, von denen am Ende die ganze Gesellschaft profitiert.
Auch das Projekt Streetwork Online begleitet mich schon seit einigen Jahren. Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter von Streetwork online machen aufsuchende virtuelle Jugendarbeit zur Radikalisierungsprävention im Netz. Online Streework heißt quasi auf den „digitalen Straßen“ das Gespräch mit jungen Menschen suchen, die sich in Online-Communities aufhalten, in den rechtsextreme oder islamistische Inhalte verbreitet werden.
Unsere Demokratie stärken heißt auch solche Projekte langfristig und nachhaltig zu unterstützen und zu fördern.
Unsere Demokratie ist aber nicht nur gefährdet durch entsprechende digitale Kommunikationsmittel und -wege. Denn diese können ja wie erwähnt auch eine Chance sein im Kampf gegen menschenfeindliche Ideologien – wenn man sie zu nutzen weiß. Unsere Demokratie ist vielmehr auch durch die reflexhafte und überforderte Reaktion auf die neuen Herausforderungen dieser Kommunikationsmittel in Gefahr. Hier wird häufig nach immer mehr Regulation und Überwachung geschrien. Gerade auch, wenn es beispielsweise das eigentlich sehr wichtige Anliegen des Kinder- und Jugendschutzes betrifft. Oft wird dieser dann als Vorwand genutzt, um weitreichende und grundrechtsverletzende Überwachungsmaßnahmen durchzusetzen. Wir sehen das bei der aktuellen Diskussion um die Chatkontrolle-Verordnung der EU. Doch die Mittel der Wahl können keine Überwachungsinstrumente jedweder Art gestatten oder die Einschränkung von Meinungsfreiheit in Kauf nehmen. Es muss auf aufklärende Mittel, wie Medien- und heute auch notwendige Internetkompetenz gesetzt werden. Die Vertraulichkeit elektronische Kommunikation ist ein hohes Gut für alle – auch für Kinder und Jugendliche.
Daher braucht es Fachtagungen wie heute, wo wir aus verschiedenen Bereichen zusammenkommen und genau solche Punkte miteinander diskutieren und abwägen, damit endlich bessere Handlungsperspektiven geschaffen werden können, um bessere Medienkompetenz für alle zu erzielen und unsere Demokratie vor Desinformation und Radikalisierung im Netz zu schützen.
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1 (Bundesprogramm Demokratie leben! des BMFSFJ seit 2015 Förderung modellhafter Projekte im Themenfeld: Aufruf für Entwicklung der Verschränkung von Online- und Offline-Arbeit mit einstiegsgefährdeten Jugendlichen und mit extremistischen Jugendlichen. ; unterschiedlicher Zugangswege im Netz sowie Entwicklung entsprechender pädagogischer Methoden, (Online-)Beratungsangebote im Umgang mit islamistisch-extremistischer Radikalisierung sowie die (Online-)Schulungen für Sozialarbeiter:innen, (Sozial-)Pädagog:innen )
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