Für eine neue Friedensbewegung

Eröffnung der Seniorenwoche Lichtenberg, Berlin, 7. Oktober 2019
Rede Petra Pau

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Eingangs lese ich Ihnen eine Geschichte vor. Ich habe sie überschrieben mit

„Die Letzten und die Ersten
„Riverboat“ ist eine freundliche Talkshow im sächsischen Buntfernsehen. Ende Februar 2015 wurde ich eingeladen. Es ginge um mich und um mein Buch „Gottlose Type - meine unfrisierten Erinnerungen“. Natürlich sagte ich zu. Doch ganz so einfach läuft dies nicht. Zur Vorbereitung bekam ich eine Mail mit zwei Dutzend Fragen, die ich umgehend beantworten möge. Eine hieß: Welche drei Dinge würden sie auf eine einsame Insel mitnehmen? Ich weiß es nicht. Aber ich antwortete trotzdem: Mein Handy, die Bibel und einen Allgäu-Krimi. Die Bibel war offenbar das von der Redaktion erhoffte Stichwort. Die Moderatorin ergriff es dankbar. Flugs waren wir mitten im Plaudern über „Gott und die Linke“. Es lief. Bei mehr Sendezeit hätte ich allerdings auch diese biblische Geschichte erzählen können, ja wollen:
„Der Herr eines Weinberges heuerte dereinst Helfer an und vereinbarte mit ihnen für ihr Tagwerk einen Lohn von einem Silbergroschen. Des Mittags stellte er noch mehr Weinwerker an, vor Sonnenuntergang weitere. Dann zahlte er alle aus, jeweils mit einem Silbergroschen. Prompt kam Unbill auf. Die Ersten murrten wider den Herrn und sprachen: „Diese haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und die Hitze getragen haben. Er antwortete aber und sagte zu einem unter ihnen: Mein Freund, ich tue dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir eins geworden für einen Groschen? Nimm, was dein ist, und gehe hin! Ich will aber diesem Letzten geben gleich wie dir.“ Denn auch er habe Frau, Kind und Familie, wie Du! „Also werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein."“
Was für eine wunderbare linke Botschaft, biblisch erzählt. Man kann diese uralte Weinberg-Geschichte aus Matthäus 20 nämlich auch als Plädoyer für ein bedingungsloses Grundeinkommen lesen. Primär zählt nicht, wer wie lange für andere malocht, sondern dass alle vor Gott gleich sind oder nach dem Grundgesetz Mensch sein können. Die Letzten wie die Ersten! Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens ist umstritten, auch unter Linken. Ich befürworte sie. Demnach bekäme jede und jeder einen Basisbetrag zum Leben in Würde, unabhängig vom Alter oder von Bildung, unabhängig auch davon, ob er oder sie einer Erwerbsarbeit nachgehen kann oder will. Sagen wir aktuell 1.350 Euro im Monat. Ja, das wäre eine kleine Revolution. Eine sehr bekannte Linke wurde jüngst gefragt, ob sie ein bedingungsloses Grundeinkommen befürworten würde. Sie verneinte, gute Löhne für gute Arbeit seien wichtiger. Das eine schließt das andere aber nicht aus, finde ich. Wichtiger ist etwas anderes. Ein bedingungsloses Grundeinkommen bezieht sich auf die Würde des Menschen und zwar ausnahmslos aller. Eine gute Vergütung indes belässt Erwerbsarbeit als Dreh- und Angelpunkt. Preisfrage: Was ist linker, humanistischer, emanzipatorischer?
Ein solches Grundeinkommen wäre auch ein Gewinn an Freiheit. Niemand könnte mehr in Arbeit gezwungen werden, die offensichtlich den Stempel „Ausbeutung“ oder „Hartz IV“ trägt. Menschen könnten wägen und wählen, was auch mehr Demokratie bedeuten würde. Hinzu kommt eine rasante Entwicklung. Die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft wird ganze Berufsgruppen auslöschen. Was dann: Elend oder Freiheit? Ein BGE, so die Abkürzung, böte eine positive Antwort. Und doch: Wenn es um die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens geht, höre ich letztlich immer zwei Fragen. Die erste: Wer soll das bezahlen? Dafür gibt es verschiedene Modelle. Die zweite: Wer würde dann überhaupt noch arbeiten? Die ist interessanter. Alle Skeptiker betonen stets: „Ich schon, aber die anderen nicht!“ Alle sagen: „Ich würde ja wollen, nur die anderen nicht!“ Das Problem aller sind so immer die anderen. Seltsam, nicht?“

So weit die Geschichte aus meinem Ordner „Gottlose Type - ungedruckt“.
Fakt ist: Wir leben in einer Welt, in der Reiche reicher und Arme ärmer werden. Das ist absolut ungerecht. Und wer auf den Markt setzt, der vermeintlich alles regelt, wie die FDP oder die AfD, irrt fundamental. Der Markt ist sozial und ökologisch blind. Ökologisch blind ist sogar noch harmlos ausgedrückt. Greta Thunberg, die 16-jährige Klima-Aktivistin aus Schweden, hat es jüngst vor der UNO auf den Punkt gebracht. Sehr emotional klagte sie an: „Wir stehen am Anfang eines Massenaussterbens, und alles, worüber ihr reden könnt, ist Geld und die Märchen von einem für immer anhaltenden wirtschaftlichen Wachstum.“ Besser hätte ich es auch nicht sagen können.

Als Linke stelle ich dieses System in Frage. Ich will es überwinden, zugunsten einer Gesellschaft, die sozialer, gerechter und friedliebender ist. Wir nennen sie Demokratischer Sozialismus. Das ist etwas anderes, als die DDR. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat diesen Juni eine Broschüre mit meinen Gedanken zu „Links sein im 21. Jahrhundert“ herausgegeben. Sie enthält auch einen Rückblick. Und gestützt auf Karl Marx sage ich darin: Der real existierende Sozialismus sowjetischer Prägung ist folgerichtig gescheitert.
Erstens war er wirtschaftlich nicht in der Lage, mit den führenden kapitalistischen Unternehmen Schritt zu halten, geschweige denn, eine höhere Produktivität zu entwickeln. Das aber wäre nach einer zentralen Prämisse von Karl Marx unabdingbar gewesen.
Zweitens wurden verbriefte Bürgerrechte sowie Grundregeln der Demokratie einer vermeintlich besseren Sache wegen zurück- oder ausgesetzt. Das war letztlich ein Rückfall hinter Forderungen der Französischen Revolution 1789.
Drittens lief das Konzept der „führenden Rolle einer Partei“ und der „Einheit und Geschlossenheit“ seiner Mitglieder gesellschaftlich auf Überwachung und Maßregelungen hinaus. Dies wiederum blockierte Vielfalt und mithin lebendige Entwicklungen.
Das Resultat ist bekannt: Immer weniger Menschen folgten den sozialistischen Verheißungen, immer mehr protestierten dagegen. War Marx deshalb wirklich tot und das Ende der Geschichte erreicht, wie hernach behauptet wurde?
Dazu sage ich ganz klar Nein!

Zurück zur aktuellen Politik, zum Hier und Heute, wie es heißt. Sozial fordere ich unter anderem Dreierlei:
Erstens: Die Benachteiligung von Ossis gegenüber Wessis bei Löhnen und Renten muss umgehend überwunden werden.
Zweitens: Gesundheit und Pflege muss den Menschen dienen, nicht irgendwelchen Profiteuren.
Drittens: Dasselbe triff auf Wohnen und Mieten zu. Dazu gibt es gerade in Berlin einschlägige linke Initiativen. Bei alledem lasse ich mich von Artikel 1 Grundgesetz leiten:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Wohl bemerkt: aller Menschen, nicht nur der Schönen und Reichen,
und nicht nur der Deutschen und Weißen.

Schließlich noch das:
Ich sprach über meine Gedanken zum Thema „Links sein im 21. Jahrhundert“. Das 21. Jahrhundert bietet neue Chancen, auch linke, aber auch riesige Gefahren für die Demokratie, ja, für die Menschheit überhaupt. Es sind vor allem drei.
1. Wir erleben weltweit rechte bis rechtsextreme Tendenzen, verbunden mit nationalistischen und rassistischen Dogmen, auch hierzulande.
2. Es droht in der Tat eine Menschen gemachte Klimakatastrophe, die das Ende allen Lebens bedeuten kann.
3. Die atomare Kriegsgefahr ist nicht gebannt, wie nach dem Ende des kalten Krieges erhofft. Sie besteht fort und nimmt wieder zu.

Zu Letzterem noch ein paar Gedanken:
Die USA haben Verträge aufgekündigt, die auf atomare Abrüstung zielten.
Damit fühlt sich auch Russland nicht mehr daran gebunden.
Und längst sind weitere Staaten atomar hoch gerüstet - China, Indien, Israel, Iran und weitere. Jeder militärische Konflikt birgt die atomare Katastrophe.
Auch Deutschland gehört zum Problem. Noch immer lagern hier US-Atomwaffen, die nun auch noch erneuert werden sollen.

Überhaupt ist Hochrüstung angesagt. Deutschland möge endlich 2 Prozent des Brutto-Inland-Produktes, kurz BIP, fürs Militär ausgeben. So die Forderung.
Dazu haben sich deutsche Regierungen unter SPD- und CDU-Führung übrigens schon verpflichtet, da gab es noch gar keinen US-Präsidenten Trump.
2% BIP fürs Militärische würde aktuell rund 40 Mrd. Euro mehr bedeuten, als ohnehin, Tendenz steigend. Für diese Summe könnte man alternativ jährlich
•  10.000 und mehr zusätzliche Pflegekräfte ausbilden und einstellen, außerdem
•  10.000 und mehr zusätzliche Polizistinnen und Polizisten sowie
•  10.000 und mehr zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer.
Zu alledem könnten noch
•  1.000 neue Schulen gebaut sowie
•  100 Theater oder noch mehr Jugendklubs gefördert werden.
Gesundheit, Sicherheit, Bildung und Kultur statt Militär, Rüstung, Konflikte und Krieg - wofür wir uns einsetzen sollten und mehr denn je müssen, dürfte klipp und klar sein!
Kurzum: Eine neue Friedensbewegung ist bitter nötig.

 

 

7.10.2019
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