100 Jahre Demokratie in Deutschland - Anspruch und Wirklichkeit
Öffentlicher Diskussionsabend der LINKEN in Teltow am 29. Januar 2019,
Gedanken von Petra Pau
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Vorab
Gestern, spätnachmittags, bin ich gefragt worden, ob ich für Sahra Wagenknecht heute bei Ihnen einspringen kann.
Ich hatte mir Bedenkzeit ausgebeten, denn man springt nicht einfach von heute auf morgen auf ein Podium.
Man sagte mir aber auch, dass weit über 100 Besucherinnen und Besucher erwartet würden. Also bin ich hier.
Gleichwohl, erwarten Sie von mir jetzt bitte keinen durchkomponierten Vortrag. Ich biete Ihnen ein paar aktuelle Gedanken, auch Episoden zum Thema Demokratie an. Über die können wir dann gern diskutieren.
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100. Jahrestage
Ja, wir hatten gerade eine Serie 100. Jahrestage. Dazu gehörte die Novemberrevolution in Deutschland 1918, ebenso die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht Anfang 1919.
Insbesondere Rosa Luxemburg war eine glühende Verfechterin von Demokratie, inklusive Bürgerrechten. Und so ging sie damals auch auf Distanz zu Wladimir Iljitsch Lenin.
Es gehörte zu den Schandmalen der SED-Politik - ich war selbst Mitglied der SED - dass Ende der 1980er Jahre Bürgerrechtler an ein Luxemburg-Zitat erinnerten -
Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden
- und dafür verhaftet wurden.
Das ist übrigens ein Grund, warum ich als Mitglied des Bundestages Innenpolitikerin wurde. Soziale-, Bürger- und Freiheitsrechte dürfen nie mehr gegeneinander aufgewogen werden. Das ist eine meiner zentralen Lehren aus dem Sozialismus sowjetischer Prägung.
Meine Pro-Themen sind seither Bürgerrechte und Demokratie,
meine Kontra-Themen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.
Historisch ist es berechtigt, die Demokratie in Deutschland mit der Novemberrevolution 1918 in Verbindung zu bringen. Die bis dato herrschende Monarchie wurde beseitigt, eine repräsentative Demokratie mit der Weimarer Republik eingeführt. Und auch daran sei erinnert:
Das Frauenwahlrecht.
Zum Frauenwahlrecht, das ja auch etwas mit Clara Zetkin zu tun hat,
noch eine Episode: (Gottlose Type - Ironie der Geschichte)
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Angriffe wider die Demokratie
Richtig ist, und damit verlasse ich den historischen Rückblick:
Bürgerrechte und Demokratie sind zu keiner Zeit vom Himmel gefallen.
Sie mussten immer schwer erkämpft werden.
Das war zur Revolution 1848 so, das war zur Novemberrevolution 1918 so und das gilt weiterhin.
Was im Umkehrschluss heißt: Bürgerrechte und Demokratie müssen permanent verteidigt werden. Angriffe gegen sie kommen aus verschiedenen Richtungen. Einige deute ich an.
Sie kommen aus dem politischen Raum.
Vielleicht erinnern Sie sich an ein Zitat von Angela Merkel.
Sie forderte eine marktkonforme Demokratie.
Das lehne ich konsequent ab. Denn das läuft auf eine noch tiefere Unterwerfung der Gesellschaft unter Begierden der Wirtschaft hinaus,
letztlich unter die großen Monopole und mithin das Kapital.
Vor kurzem wurde ein Freihandelsabkommen der EU mit den USA verhindert. Es trug das Kürzel TTIP. Und sein Wesen bestand genau darin, dass die Demokratie und die Rechtsstaaten den Bedürfnissen machtvoller Monopole untergeordnet werden sollten.
Die Dominanz der Finanzmonopole deute ich nur an. Die verheerenden Folgen haben wir zuletzt in der großen Krise 2008 erlebt, allemal am Umgang mit Griechenland. Das Land war pleite und wurde mit Hilfe der EU und Milliarden Euro gerettet. So lautet die offizielle Lesart.
Die Wahrheit war eine ganz andere. Das Gros der Euro-Hilfen wurde durch Griechenland hindurch geleitet und landete als Gewinn bei Banken, auch bei der Deutschen Bank. Griechenland wurde im Gegenzug gezwungen, Staatseigentum, wie Flug- oder Seehäfen, zu privatisieren. Also das, was dem Land überhaupt noch Einnahmen brachte, musste der Staat zugunsten privater Profite verhökern. Das ist marktkonforme Demokratie,
das ist Finanzdiktatur.
Um zu erahnen, wie stark die Monopolwirtschaft versucht, die Politik zu dominieren und mithin die Demokratie zu minimieren, hilft ein Blick auf die Spenden, die Parteien im Bundestag jährlich erhalten.
Alle Parteien, mit Ausnahme der LINKEN, denn wir lehnen Großspenden aus Prinzip ab, der Demokratie wegen. Stattdessen kämpfen wir für mehr Transparenz, denn Bürgerinnen und Bürger sollen wissen, welche Partei mit wem unter einer Decke steckt. Transparenz ist eine Voraussetzung der Demokratie.
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Das hohe Gut Datenschutz
Angriffe auf die Demokratie kommen aber auch noch aus einer ganz anderen Richtung. Vor einigen Wochen wurde ein Fall publik und alle Medien hielten drauf. Ein junger Mann aus Hessen hatte hunderttausendfach persönliche Daten ergaunert und im weltweiten Gewebe online gestellt.
Das war ein klarer Verstoß gegen den Datenschutz und mithin gegen die Demokratie.
Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach geurteilt und bekräftigt:
Bürgerinnen und Bürger, die nicht mehr wissen oder wissen können,
wer was über sie weiß, sind nicht mehr souverän.
Eine Demokratie ohne Souveräne aber ist undenkbar.
So berechtigt die mediale Aufregung war, so halbherzig war sie auch.
Was ist mit den Daten, die täglich vom Staat eingeheimst werden?
Und was mit jenen, die Digitalkonzerne, wie Facebook oder Google,
in Reichtum ummünzen?
Zum Staat nur drei Beispiele:
Vor Jahren enthüllte Edward Snowden, in welchem Umfang der US-Geheimdienst NSA persönliche Daten aufsaugt und zur Überwachung einsetzt. Auch das Handy der Kanzlerin soll im Visier gewesen sein. Das macht man nicht unter Freunden hatte sich Merkel daraufhin empört.
Ich weiß nicht, ob sich die NSA-Strategen noch immer die Bäuche vor Lachen halten. Zumal auch der deutsche Auslandsgeheimdienst, der BND, mit von der Partie war.
Meine Grundüberzeugung ist: Geheimdienste sind intransparent und daher von ihrem Wesen her Fremdköper in jeder Demokratie. Trotzdem werden sie allenthalben aufgerüstet, auch in Deutschland.
Aber der staatliche Eingriff in den Datenschutz und damit wider die Demokratie beginnt bereits viel niederschwelliger. Stichwort Hart IV:
Wer einschlägige Leistungen vom Staat erwartet, muss 60 bis 100 ganz persönliche Daten von sich preisgeben. Das würden Superreiche nie machen, müssen sie auch nicht. "Harz IV" ist also asozial und undemokratisch zudem.
Ein abschließendes Beispiel für staatliche Einbrüche in den Datenschutz und mithin wider die Demokratie: Zehntausenden demonstrierten 2018 in München gegen ein neues Polizeigesetz der CSU. In Sachsen gibt es einen ähnlichen Entwurf. Und Bundesinnenminister Seehofer (CSU) hätte gern beide Gesetze als Vorbilder für alle Bundesländer.
Im Kern laufen sie auf mehr prophylaktische Überwachung möglichst aller Bürgerinnen und Bürger sowie weniger Datenschutz hinaus: im öffentlichen Raum, in bislang geschützter Privatsphäre, auf elektronischen Geräten wie Tablets oder Smartphones. Kurzum: Demokratiefeindliche Polizeigesetze.
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Mehr Demokratie wagen
Mehr Demokratie wagen war ein Motto von Willy Brandt. Es ist aktueller denn je und es umfasst mehr denn je.
Gegen Demokratieverdruss hilft nur mehr Demokratie, mehr direkte Demokratie, also Volksabstimmungen auch auf Bundesebene.
Diese Position vertrete ich seit Jahren. Aber selbst der Verweis auf Volksabstimmungen greift zu kurz.
Mein Buch Gottlose Type umfasst 53 Episoden meines politischen Lebens aus gut 25 Jahren, heitere, überraschende auch ernste. Der Epilog spielt an einer Uni in Baden-Württemberg. Wie es dazu kam, war hinreichend skurril, alles nachlesbar.
Jedenfalls hielt ich einen Vortrag über Links sein im 21. Jahrhundert. Darin warf ich die Frage auf: Kann es sein, dass der Kapitalismus im Marx'schen Sinne dabei ist, Produktivkräfte zu entwickeln, die über ihn hinausweisen?
Immer waren es zwei Komponenten, die zu einer höheren Gesellschaftsformation führten: völlig neue Formen der Energiegewinnung und völlig neue Möglichkeiten der Kommunikation. Ohne Dampfmaschine und ohne Telegrafie wäre der Kapitalismus nicht denkbar gewesen.
Was, wenn nun, im 21. Jahrhundert, die Solar- und die Digital-Option zusammen eine Innovationskraft entfalten, die über den Kapitalismus hinausweisen und einen demokratischen Sozialismus ermöglichen.
Dazu ein Auszug aus Links sein im 21. Jahrhundert:
Natürlich ergibt sich noch keine neue Gesellschaft, nur weil man die revolutionären Potenziale einer Solarwende und der Digitalisierung zusammen denkt. Was gleichwohl allein schon Zündstoff birgt. Ich deute das am Beispiel Energiewende nur kurz an. Hierzulande scheint es partei-übergreifend Konsens zu sein: Das unbeherrschbare Atomzeitalter muss beendet werden. Für fossile Energieträger gilt nur noch eine Restlaufzeit. In absehbarer Zeit brauchen wir 100% Solarenergie. Gleichwohl gibt es dazu zwei widerstreitende Strategien:
Die eine: Das Gros der Alternativenergie wird aus Offshore-Windparks in der Nordsee oder aus Riesen-Solar-Feldern in Nord-Afrika geliefert. Die andere: Die Solar-Energie speist sich vor allem aus dezentralen Anlagen, also vor Ort - Sonne, Wind, Wasser, Biomasse usw.
Die erste Strategie mit Riesen-Windparks, Riesen-Solar-Flächen und Riesen-Energie-Trassen, würde die Monopolmacht der großen Konzerne neu begründen, also mehr Profit und weniger Demokratie. Die zweite Strategie (...) würde zur Eigentumswende, zugunsten von Kommunen oder Genossenschaften führen, (...) ergo weniger Profit, mehr Demokratie!
Eine mögliche Konsequenz aus diesen Überlegungen reiße ich nur kurz an.
Denn demnach müssten Linke im 21. Jahrhundert, Rote, Grüne und Piraten zugleich sein.
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Populismus contra Demokratie
Eine MdB-Kollegin von mir wünschte sich im Fernsehen jüngst eine populistische Linkspartei. Ich erschrak und hielt ihr zu Gute, dass sie vielleicht nicht weiß, was Populismus bedeutet.
Wissenschaftler unterscheiden wohlweislich zwischen populär und populistisch. Populär meint allgemeinverständlich. Welcher Politiker und welche Partei wollte das nicht gern sein, bürgernah und verstanden?
Populistisch ist etwas anderes. Populisten teilen strikt in WIR und DIE ein. Wobei das WIR alles vermeintlich Gute vereint, das DIE alles vermeintlich Schlechte. Was logisch bedeutet, dass das WIR das DIE bekämpfen muss. Das aber ist wider die Demokratie. Denn Demokratie basiert auf einer widersprüchlichen Vielfalt und nicht auf einer bornierten Einfalt.
Ich umschreibe es am Beispiel PEGIDA. Ihr Schlachtruf lautet Wir sind das Volk! Bürgerrechtler aus DDR-Zeiten hatten "Wir sind das Volk" emanzipatorisch gemeint, also mehr Demokratie.
In PEGIDA-Lesart bedeutet Wir sind das Volk, wir und nur wir sind das Volk, niemand sonst! Wer anders denkt, anders glaubt, anders lebt, anders liebt, anders aussieht gehört nicht dazu.
So einen Populismus, eine Wir-gegen-Die-Gesellschaft, will ich als Linke nicht. Ich will mehr Demokratie im umfassenden Sinne. Das ist eine riesige und zugleich alltägliche gesellschaftliche Herausforderung, Einige Facetten meiner Überlegungen dazu habe ich angerissen.
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Abschließende Preisfrage
Mehr Demokratie, mehr direkte Demokratie in allen Bereichen;
mehr Datenschutz und weniger Überwachung;
sowie eine demokratiekonforme Wirtschaft,
bei welcher Partei ist all das im Angebot?
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