Sie feixten wie Kinder

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Auf meinem Schreibtisch im Bundestag stehen zwei Figuren, kunstvoll gearbeitet, jüdische Musiker, einfach schön. Frank Meisler hat sie mir geschenkt, als ich ihn in Jaffa besuchte. Er führte mich damals durch sein Atelier. Danach spazierten wir ans Ufer und genossen, wie die Sonne im Mittelmeer verschwand.
Erstmals waren wir uns 2008 in Berlin begegnet. Am Bahnhof Friedrichstraße wurde eine Skulptur von ihm eingeweiht. Sie erinnert an die „Kindertransporte“ 1938/39. Damals konnten Tausende jüdische Kinder noch nach England ausreisen - aus Deutschland, aus Polen, aus Österreich. Sie wurden so vor dem sicheren Tod durch die Nazis gerettet, vor dem Holocaust. Frank Meisler war einer von ihnen.
Etliche dieser „Kinder“ waren nun - 70 Jahre später - zur Einweihung nach Berlin gekommen, alle längst hoch betagt. Ich hatte sie danach als Vizepräsidentin in den Deutschen Bundestag eingeladen. Es war Zufall, aber zur selben Zeit gab es dort eine Foto-Ausstellung mit Namen von Gassen, Straßen oder Plätzen, die dereinst in Deutschland auf jüdisches Leben verwiesen. Sie war schlicht und deshalb beeindruckend, weil sie zeigte, wie viel jüdisches Leben im Alltag vor dem faschistischen Völkermord pulsiert haben muss.
Danach stellten wir uns draußen zum obligatorischen Gruppenfoto auf. Wir versuchten es jedenfalls, mehrfach. Aber zwei oder drei der „Kinder“ waren immer mit sich beschäftigt, sie lachten einfach und feixten wie Kinder, anstatt wichtig in die Kameras zu gucken. Sie genossen ihren Tag. Dieses fröhliche Erlebnis hat mich sehr bewegt. Bis dato kannte ich die Geschichte der „Kindertransporte“ übrigens nicht. Nun endlich doch und das habe ich wesentlich auch Frank Meisler zu verdanken.
Seither trafen wir uns häufiger. Klar in Israel, aber auch in Polen, in Holland, in Österreich und erneut in Deutschland, Hamburg und Berlin.
Und er ist „noch immer voller Pläne“. Das beteuerte mir jüngst ein Berliner Polizeibeamter. Frank Meisler, ein Fall für die deutsche Polizei? Ja! Denn als 2008 die Berliner Skulptur eingeweiht wurde, hatten Anwärterinnen und Anwärter auf den Polizeidienst Patenschaften übernommen, um die Geschichte noch lebender „Kinder“ zu erfragen, aufzuschreiben und so zu bewahren. Ganz im Sinne von Frank Meisler, glaube ich. Die schlechteste Polizeiausbildung ist das gewiss nicht. Sie möge fruchten und mahnen.

PS: „Sie kennen Frank Meisler?“ Auf diese Frage hätte ich vor kurzem noch mit einem erfreuten „Ja, klar“ geantwortet. Nun habe ich sein Buch gelesen und würde einschränken: „Gewiss, ein wenig, aber mehr wäre sicher besser.“

Petra Pau

Buchvorstellung, Berlin, 8. Dezember 2016
 
 

 

 

8.12.2016
www.petra-pau.de

 

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