Die Würde des Menschen: damals, heute und fürderhin

Gedenken an die „Kindertransporte“, Berlin, 8. September 2016
Rede von Petra Pau

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1. Wir erinnern heute an dieser Skulptur von Frank Meisler erneut an die „Kindertransporte“. Genau genommen ging es um neun Monate in den Jahren 1938/39. Damals konnten über 10.000 jüdische Jungen und Mädchen dem tödlichen Zugriff der Nazis entzogen werden.

Unmittelbar vorausgegangen waren die Pogrome ab dem 9. November 1938. Damit war alles Jüdische, waren Jüdinnen und Juden endgültig als undeutsch und nicht zu Deutschland gehörig zum Abschuss freigegeben.

Aber diese Diskriminierungen, die Ausgrenzungen und Verfolgungen hatten eine Vorgeschichte. Einige Stationen werde ich nun aufrufen:

1933
01. April: Über Jüdische Geschäfte wird ein Boykott verhängt;
07. April: Juden werden aus dem Beamtentum ausgeschlossen;
22. April: Jüdische Ärzte dürfen nicht für Krankenkassen arbeiten;
22. September: Juden werden aus dem deutschen Kulturleben ausgeschlossen.

1935
Mai: Juden wird der Besuch von Kinos, Cafés und Bädern untersagt;
15. September: Die „Nürnberger Rasse-Gesetze“ werden beschlossen;
14. November: Juden verlieren das Wahlrecht.

1937
15. April: Juden dürfen keinen Doktor-Grad erwerben;
02. Juli: Die Zahl jüdischer Schülerinnen und Schüler wird beschränkt.

1938
April: jüdische Betriebe werden arisiert (sprich: enteignet);
20. Juni: Juden dürfen keine Behörden mehr betreten;
27. Juli: Alle nach Juden benannten Straßen werden umbenannt;
25. September: Berufsverbot für alle jüdischen Anwälte;
09. November: Juden-Pogrome im ganzen Reich, Synagogen brennen;
03. Dezember: Juden müssen ihre Führerscheine abgeben.

1939
01. Januar: männliche Juden müssen sich „Israel“, weibliche „Sara“ nennen;
30. April: Juden werden in so genannte Judenhäuser eingewiesen;
01. September: Juden dürfen diese Häuser nur noch beschränkt verlassen;
12. September: Juden dürfen nur noch in bestimmten Läden einkaufen;
23. September: Juden müssen alle Rundfunkempfänger abgeben.

Ein Zeitsprung:

1942
20. Januar: Auf der sogenannten Wannsee-Konferenz in Berlin wird die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen. Erklärtes Ziel war damit die Vernichtung von 11 Millionen Jüdinnen und Juden in ganz Europa. Also das, was man später „Holocaust“ oder „Shoa“ nennen wird. Diesem historisch einmaligen Verbrechen fielen 4 ½ Millionen Jüdinnen und Juden zum Opfer.

Wir sehen:
Der Hass und die Sanktionen gegen Jüdinnen und Juden wurde gesteigert, Punkt um Punkt, von Staats wegen und vom Gros der Bevölkerung getragen.

Deshalb gilt die Lehre fort, egal ob es gegen Jüdinnen und Juden, gegen Sinti und Roma, gegen Muslima und Muslime, egal gegen welche Religion, Ethnie oder Kultur es geht: Wehret den Anfängen!

Oder wie der bekannte Schriftsteller Erich Kästner 1956 rückblickend auf die Nazi-Zeit sagte:

„Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf ...“

2. Eine Lehre aus der Barbarei des Faschismus ist das Asylrecht.
Es ist keine Gnade, sondern ein Menschenrecht, unter anderem verbrieft in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951.

Ebenso im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und damit meine ich nicht nur Artikel 16, sondern bereits Artikel 1:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar!
Aller Menschen, nicht nur der Schönen und Reichen
und nicht nur der Deutschen und Weißen.

Gleichwohl erleben wir immer wieder, wie dieses Menschenrecht in Frage gestellt wird. Da werden Benimmregeln für Menschen in Not erfunden, da wird von Obergrenzen geschwafelt, da werden Staaten politisch zu sicheren Herkunftsländern beschlossen, so als würden damit reale Probleme gelöst.

Deshalb noch mal: Menschenrechte sind verbrieft und nicht verhandelbar, nicht an Stammtischen und nicht in Wahlkämpfen.

Wer es dennoch versucht, wer Geflüchtete,
ihre Würde und ihre Obdacht attackiert,
sollte nicht an die „Kindertransporte“ 1938/39 erinnern.

Denn sie gemahnen Menschlichkeit für jede und jeden,
allemal für Unterdrückte und Bedrohte:
damals, heute und fürderhin!
 

 

 

8.9.2016
www.petra-pau.de

 

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