1. Man könnte verzweifeln: Soweit man in die Geschichte zurückschaut
und so klar man die Gegenwart sieht: Antisemitismus scheint unausrottbar.
Ich streite mich heute nicht um Definitionen. Antisemitismus ist schlicht menschenfeindlich, feindlich gegen Juden, nur weil sie Juden sind.
Doch dagegen hilft weder zweifeln, noch verzweifeln. Ich jedenfalls lehne Antisemitismus strikt ab und ich ermutige alle, dagegen anzukämpfen.
2. Für Neo-Nazis ist Antisemitismus konstituierend. Das weiß man.
Sie stellen sich damit in eine Kontinuität zum tödlichen Nationalismus.
Normal-Bürger, wer oder was sie auch seien, sollten zumindest ins Grübeln kommen, an Stammtischen, auf Schulhöfen, auf Sportplätzen.
Antisemitismus ist, wie Rassismus überhaupt, ein Alltagsproblem.
Deshalb muss auch der gesellschaftliche Widerstand alltäglich sein.
3. Mir jedenfalls hat sich die Mahnung von Imre Kertesz - Ungar, Jude, Holocaust-Überlebender, Literatur-Nobelpreisträger - tief eingeprägt:
Das vordem für unvorstellbar gehaltene, nämlich der Holocaust, hat stattgefunden. Und was einmal geschah, kann wieder geschehen.
Es darf sich nie wiederholen, nicht der Völkermord an Jüdinnen und Juden, nicht der an Sinti und Roma. Jede Pauschalverdammnis ist unsäglich.
4. Nun gibt es Antisemitismus nicht nur am extremen Rand, sondern inmitten der Gesellschaft, quer durch alle Schichten und alle politischen Richtungen.
Parteipolitischer Streit ist daher fehl am Platz. Antisemitismus ist eine gemeinsame Herausforderung, der zunehmende Rassismus ebenso.
Wir brauchen breiteste Bündnisse, allen anderen Unterschieden zum Trotz.
Wir brauchen sie unter demokratischen Parteien, noch mehr in der Gesellschaft.
5. Damit bin ich bei der Flüchtlingsfrage. Es ist verlogen, ein vermeintlich christlich-jüdisches Abendland gegen Menschen in Not verteidigen zu wollen.
Und es ist a-historisch, erneut das Asylrecht zu attackieren. Es wurde im Grundgesetz gerade auch ob der Pogrome gegen Juden manifestiert.
Kurzum: Nicht Menschen in Not sind unser Problem, sondern jene, die sie in unsägliche Not drängen. Sie gehören in den Fokus des Widerstandes.
6. Ich kenne Holocaust-Überlebende, die sich aktuell an ihre Erfahrungen aus den Jahren 1930 bis 1933 erinnern, zum Beispiel Esther Bejarano.
Ich kann das als Nachgeborene nur wahrnehmen, bin aber höchst alarmiert.
Und deshalb rufe ich zwei Lehren in Erinnerung:
Die erste Lehre:
Der bekannte Schriftsteller Erich Kästner hatte 1958 rückblickend gemahnt:
Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten.
Die Lawine hält keiner mehr auf ...
Die zweite Lehre:
Die Faschisten kamen 1933 nicht an die Macht, weil die NSDAP so stark war, sondern weil die Demokraten zu zerstritten waren.
Beide Lehren mahnen drängend, finde ich!
Abschließend:
Hass beginnt in Köpfen, er wird im Internet massiert und er entlädt sich im wahren Leben. Diese Spirale der Gewalt muss durchbrochen werden.
Seit Donnerstag gibt es eine deutsche Kampagne der EU-Initiative No Hate Speech. Ich war beim Start dabei und lade alle ein:
Bekämpfen wir Gewalt, indem wir Hass nicht unwidersprochen lassen: gegen Juden, gegen Muslime, gegen Flüchtlinge, gegen Arme, gegen niemanden!
Für uns gilt Artikel 1 Grundgesetz:
Die Würde des Menschen ist unantastbar!
Aller Menschen! Nicht nur der Schönen und Reichen,
nicht nur der Deutschen und Weißen.
|