Historische Lehren leben

Berlin, 21. April 2016, Gedenkveranstaltung am „Haus des 21. April“
Rede von Petra Pau

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Vor Jahresfrist hatte ich hier an die Rede von Richard von Weizsäcker aus dem Jahre 1985 erinnert. Er war damals Bundespräsident und hatte den 8. Mai als „Tag der Befreiung vom Faschismus“ bezeichnet.

Das war für westdeutsche Verhältnisse bemerkenswert.

Heute werde ich drei jüngere Erlebnisse schildern.

Das erste:
Vor knapp drei Wochen lief in der ARD ein 3-Teiler über den NSU-Komplex.
Teil 1 zeigte, wie Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe immer tiefer in die Nazi-Szene eintauchten und sich radikalisierten.
Dank Teil II ließ sich nachvollziehen, wie sich das NSU-Desaster aus Sicht der Opfer und ihrer Hinterbliebenen anfühlte.
Im Teil III wurde das Staatsversagen plastisch, allemal der Ermittlungsbehörden, insbesondere der Ämter für Verfassungsschutz.

Danach bekam ich etliche Anrufe, andere sprachen mich direkt an.
Sie wussten, dass mich das NSU-Debakel seit langem umtreibt.

Nun war ihre Botschaft:
Wir verstehen jetzt besser, warum Du so häufig über die Opfer der Nazi-Mord-Serie und die Perspektive ihrer Angehörigen sprichst.
Und wir sehen jetzt klarer, warum Du immer wieder mahnst: NSU war nicht gestern, sondern kann sich heute wiederholen.

Ja, genau so ist es: Die Gefahr von rechts ist aktueller und größer denn je in den letzten zwei Jahrzehnten. Die Alarmglocken schrillen!

Das zweite Erlebnis:
Esther Bejarano ist eine bewundernswerte Frau. Wir sind uns mehrfach begegnet - in Gedenkstätten, auf Konferenzen, im Alltag.

Auf Facebook wird die engagierte Antifaschistin als Künstlerin ausgewiesen, las ich. Das erstaunte mich schon - auf den ersten Blick.

Aber warum nicht. Als junge Frau spielte sie im KZ Auschwitz im Mädchen-Orchester. Und jüngst ging die über 90-Jährige als Rapperin durch die Medien.

Vieles, so sagte sie nun, erinnere sie fatal an die Jahre 1930 - 1933.
Und sie ist nicht die Einzige älterer Jahrgänge, die so mahnt.

Es brennt hierzulande und in Europa, nicht nur in Flüchtlingsheimen.
Rassismus grassiert und Hass entlädt sich, menschenfeindlich.

Deshalb erinnere ich erneut:
Die Nazis kamen 1933 nicht an die Macht, weil die NSDAP so stark war, sondern weil die Demokraten so zerstritten waren.

Das darf sich nicht wiederholen!
Und das ist mein Appell an diesem historischen Ort.

Und zwar gesellschaftlich und mitnichten nur parteipolitisch.
Obwohl es gerade auf Partei-Ebene immer wieder finster zugeht.

Und damit zur dritten Anmerkung:

In Sachsen-Anhalt hat die CDU gerade einen AfD-Kandidaten als Vize-Präsidenten des Landtages hofiert und einen Kandidaten der Linken düpiert.

Das kotzt mich an. Aber allen, die mir daraufhin superlinks schrieben, „Ja, hast du denn was anderes erwartet“, sage ich zugleich: Ja!

Es gibt im Bundestag zahlreiche Kunstwerke. Viele erinnern an die Geschichte, andere illustrieren Ansprüche an eine multikulturelle Gesellschaft.

Ein Beitrag heißt „Archiv der Parlamentarier“. Aufgelistet werden dabei alle frei, gleich und geheim gewählten Abgeordneten von 1919 bis 1999.

Bei vielen gibt es eine Markierung, eine schwarze. Sie wurden alle durch Nazis ermordet - Abgeordnete aller Parteien, Gegner und Dulder der NSDAP.

Ich könnte weitere Erinnerungen an finsterte Zeiten anführen.
Nur, es reicht nicht, historische Lehren zu loben.

Alle Demokratinnen und Demokraten müssen sie endlich gemeinsam leben.
Genau dafür ist es höchste Zeit - im Bezirk, im Land, in Europa!
 

 

 

21.4.2016
www.petra-pau.de

 

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