Wilfriede war eine engagierte Erzählerin

Wissenschaftliches Kolloquium für Dr. Wilfriede Otto
Helle Panke Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin
Beitrag von Petra Pau, 15. September 2015

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Ich freue mich wirklich, dass ich eigene Erinnerungen an Wilfriede Otto beisteuern darf. Obwohl viele hier im Rund sie viel besser kannten als ich.

Aber ich war zehn Jahre lang Landesvorsitzende der Berliner PDS. Und viele Geschichtsdebatten der PDS in den 1990er Jahre wurden in Berlin angestoßen.

Das hatte Gründe. Zwei will ich andeuten. Zum einen war die Berliner PDS, ist die Berliner Linke, der einzige Ost-West-Landesverband, also a priori spannend.

Der zweite Grund erschließt sich, wenn man sich z. B. die Mitglieder der damaligen PDS-Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus anschaut.

Da war das gestandene SED-Mitglied ebenso wie die DDR-Oppositionelle aus der Kirche von unten, der Grüne (West) und der Demokratie-Akademiker (Ost).

Kurzum: Es waren eine Zeit und ein Mix, bei denen widerstreitende Auseinandersetzungen über die DDR unausweichlich waren.

Und dabei waren uns vielen Mitgliedern der historischen Kommission bei der PDS sehr nahe. Ihr Rat war gefragt. Ich habe ihn gesucht.

Die Episode, die ich zur Illustration erzählen will, spielte wenig später. Ich lese sie einfach aus meinem Buch „Gottlose Type“ vor. Sie ist überschrieben mit

„Einheits-Partei“

(aus dem Buch vorlesen!)
 


Es war Ostern, 2001. Das Internet war schon erfunden. Unsere E-Mails kreuzten sich im Stundentakt. Damals war ich stellvertretende Vorsitzende der PDS und mit Gabi Zimmer, seinerzeit Vorsitzende, einig, dass wir als neue Linke mit einer weiteren Geschichtslüge der SED aufräumen müssen. Es ging um die Vereinigung der KPD und der SPD 1946 zur SED. Sie jährte sich zum 55. Mal.
Zu DDR-Zeiten wurde sie als Sieg über die Spaltung der Arbeiterklasse in der Zeit des Faschismus gepriesen. Viele Sozialdemokraten wollten diese Einheit damals. Andere waren dagegen, etliche erlitten darob schlimme Repressalien.
Historiker, die der PDS nahe standen, hatten längst die SED-Legende erschüttert. Aber noch gab es keine offizielle Erklärung der PDS-Spitze dazu. Der Text, an dem wir feilten, musste Kritik aus allen Himmelsrichtungen standhalten. Er durfte auch nicht eine Fehldeutung einer komplexen Geschichte durch eine andere ersetzen. Also gab es diesen E-Mail-Austausch zwischen Gabi Zimmer, Peter Porsch, Thomas Flierl und mir, allesamt Mitglieder des PDS-Vorstandes.
Nach den Feiertagen wollten wir die gemeinsame Erklärung der Presse vorstellen. Möglichst in einer Gesprächsatmosphäre. Also einigten wir uns auf eine kleine Runde mit drei Journalisten: dpa, „Tagesspiegel“, „Neues Deutschland“. Das war gut gedacht, nur schlecht gemacht. Als wir Dienstagmorgen ins „Karl-Liebknecht-Haus“, dem Sitz des Parteivorstandes kamen, war der große Konferenzsaal bereits rappelvoll: Kamerateams, Fotografen, Journalistinnen und Journalisten, alle relevanten Medien waren vertreten. Die Auflösung war simpel. Die Nachrichtenagentur dpa hatte den Pressetermin vorab mit ihrer Tagesvorschau verbreitet.
Unsere vorbereitete Erklärung umfasste eineinhalb DIN-A-4-Seiten, darunter diese Sätze: „Auf dem Sonderparteitag im Dezember 1989 hatte sich die SED beim ‚Volk der DDR' dafür entschuldigt, ‚daß die ehemalige Führung der DDR unser Land in (eine) existenzgefährdende Krise geführt hat'. Dazu stehen wir und wir meinen aus heutiger Sicht: Dies sollte die Vereinigung von KPD und SPD einschließen. Denn die Gründung und Formierung der SED wurde auch mit politischen Täuschungen, Zwängen und Repressionen vollzogen.“
Das schlug ein wie eine Bombe. „Die Welt“ dokumentierte den Text komplett. Aus den eigenen Reihen wurde uns „Klassenverrat“ vorgeworfen. Es ging in den kommenden Wochen hoch her. Wir hatten für viele alte Genossinnen und Genossen, die es stets ehrlich meinten, eine heilige Kuh geschlachtet. Daran änderte vorerst auch wenig, dass der gesamte PDS-Vorstand diese Erklärung übernahm und bekräftigte.
Wenig später war ich in der Jüdischen Gemeinde Berlin zu Gast. Eine ältere Dame erwartete mich. Sie war SPD-Genossin, bereits 1946 und zuvor, und wollte sich nicht mit der KPD vereinigen. Sie kam ob ihrer Verweigerung in Haft und war danach in den Westen übergesiedelt. „Jetzt“, sagte sie mir, „kann ich wenigstens normal mit ihnen sprechen. Sie haben mein politisches Schicksal anerkannt, endlich.“

 


Soweit die unfrisierte Erinnerung aus meinem Buch „Gottlose Type“. Und ein Zusatz. Die Formulierung im Text, „Historiker, die der PDS nahe standen, hatten längst die SED-Legende erschüttert“, meinte besonders Wilfriede Otto
Sie hatte uns damals auch bei der zitieren Presseerklärung beraten.

Nun will ich meinen Beitrag nicht problemlos schließen. Für mich und viele andere gehörte die kritische Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte sowjetischer Prägung zur Suche nach linken Alternativen.

Oder wie Jörn Schütrumpf es formulierte:
Wilfriede „wollte die sozialistische Idee aus dem Gefängnis befreien“.

Doch wer heute 25 Jahre alt ist, 30 oder 35, hatte mit alledem nichts zu tun.
Sie haben diese Geschichte nicht erlebt,
bestenfalls wurde sie ihnen erzählt.

Wilfriede Otto war eine engagierte Erzählerin.
Wir brauchen weiterhin solche Erzählungen,
Gedanken-Freiheit und Freiheits-Gedanken.
 

 

 

15.9.2015
www.petra-pau.de

 

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