Der Unschuldigen Schuld
1. September 2015, Gedenkveranstaltung zu den Kindertransporten am Bahnhof Friedrichstraße,
Berlin-Mitte
Rede von Petra Pau
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1. |
Seit Monaten toure ich mit meinem Anekdoten-Buch durch die Lande.
Es enthält 52 Geschichten aus 25 Jahren.
In einer Episode erinnere ich an die Kindertransporte 1938/39
und an die Einweihung dieser Skulptur 2008.
Gelegentlich melden sich Leserinnen und Leser bei mir und bedanken sich.
Auch für die Geschichte über die Kindertransporte.
Sie war ihnen bis dato unbekannt.
Wir alle wollen sie aufheben und weiter erzählen.
Auch deshalb sind wir heute wieder hier.
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2. |
Aber nie geht es nur darum, Geschichten aus der Geschichte zu erzählen,
oder darum, an die Zeit des Faschismus zu erinnern.
Immer geht es auch um heute und morgen,
um Verantwortung, um unsere Verantwortung.
Und gerade deshalb will ich angesichts aktueller Entwicklungen,
hierzulande und international, Klartext reden.
Mit Sorge beobachte ich, wie Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sich immer enthemmter entladen.
Mit Wut registriere ich, dass Verantwortliche, ob Politiker oder Medien derartige Stimmungen aufnehmen, bedienen und aufladen.
Zugleich stellen sich viele engagierte Bürgerinnen und Bürger derartigen Tiraden entgegen. Ihnen gebührt mehr Dank als bislang.
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3. |
Zugleich werden aktuell Stimmungen geschürt:
gegen Russen, gegen Griechen und wieder gegen Sinti und Roma.
Jüdinnen und Juden erleben offene Anfeindungen.
Über Muslime schwebt ein Generalverdacht. Es läuft etwas total falsch.
Bei Asylsuchenden aus dem Balkan wird über Sonderlager nachgedacht, nachdem ihre Fluchtgründe politisch wegbeschlossen wurden.
Die Not der einen wird gegen die Not anderer in Stellung gebracht.
Eifrig gelobte westliche Werte erleiden ein Tief.
All das sorgt mich ernsthaft.
Deshalb spreche ich es an,
auch hier!
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4. |
Und ich will abschließend an ein kleines Gedicht über Schuld und Unschuld von Gerty Spies erinnern.
Die jüdische Autorin gehörte zu den wenigen,
die das KZ Theresienstadt der Nazis überlebte.
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Was ist des Unschuldigen Schuld -
Wo beginnt sie?
Sie beginnt da,
wo er gelassen, mit hängenden Armen
schulterzuckend daneben steht,
den Mantel zuknöpft, die Zigarette
anzündet und spricht:
Da kann man nichts machen.
Seht, da beginnt des Unschuldigen Schuld.
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