Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau über die digitale Revolution und die Herausforderungen für die Linkspartei. Ein Gastkommentar
Digitalisierung, Big Data und Produktion 4.0 - die Begriffe sind Signale für eine rasant nahende Zukunft. Die Digitalisierung der Gesellschaft wird alles umkrempeln. Doch welche Antwort hat die LINKE darauf?
Ich habe etwas Gutes und zugleich Böses getan. Das Gute: Ich rief im Internet erneut das Erfurter Parteiprogramm der LINKEN auf. Das Böse: Ich habe es nach Stichworten durchsucht. Digitalisierung? Treffer Null. Big Data? Keine Fundstelle. Produktion 4.0? Kommt nicht vor.
Man muss nicht an diesen Stichworten kleben. Aber sie sind Signale für eine rasant nahende Zukunft. Die Digitalisierung der Gesellschaft wird alles umkrempeln, was bislang galt. Von der Produktion bis zum Handel, vom Verkehr bis zur Bildung, von der Medizin bis zur Wohnung, von der Kultur bis zur Politik, ausnahmslos. Und dann: Null-Treffer in einem linken Programm?
Jüngst gab es eine Zukunftswoche der Partei DIE LINKE. Ja, die Digitalisierung der Zukunft fand dort auch statt – am Rande. Dabei steht am Giebel des gastgebenden nd-Hauses ein schönes Karl-Marx-Zitat: Die soziale Revolution ... kann ihre Poesie nicht aus der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft.
Die Menschheit, und mit ihr die Linke, steht vor zwei epochalen Herausforderungen: der sozial-ökologische Umbau aller Lebensbereiche und zugleich deren Digitalisierung. Jahrhundertaufgaben, die in Jahrzehnten zu meistern sind. Der sozial-ökologische Umbau hat Konturen und firmiert in der Partei DIE LINKE unter Plan B. Die Digitalisierung aber trägt noch nicht einmal eine linke Überschrift. Ich bin zunehmend davon überzeugt: Rote im 21. Jahrhundert müssen zugleich Grüne und Piraten sein. Nur aus diesem spannenden Dreiklang lässt sich eine neue linke Geschichte erzählen, die auch andere mitreißen könnte.
Natürlich gibt es in der Linkspartei Expertinnen und Experten für Netzpolitik im weiteren Sinne. Aber sie rackern in Nischen. Die große Parteibühne blieb ihnen bisher verwehrt. Das kann nicht lange gut gehen, zumal alle anderen Parteien auf ihre Weise näher an den Risiken und Chancen der globalen Digitalisierung dran sind, als DIE LINKE.
2013 sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel vom Internet als Neuland. Das Echo war riesig, voller Häme – auch linker. Dabei hat sie Recht. Nichts wird unsere Leben so schnell und so radikal verändern, wie ein universelles Internet. Man braucht sich nur selbst zu fragen: Was wussten wir vor 25 Jahren, also 1990, über die nahende Digitalisierung und mit welch kolossalen Geräten waren wir damals unterwegs? Inzwischen leistet jedes kleine Smartphone mehr, als es seinerzeit ganze Computerblöcke konnten. Und was wird in 25 Jahren, 2040, sein? Ich weiß es nicht.
Aber Fakt ist: Die Zukunft naht unaufhaltsam. Und es zeichnen sich große Linien ab. Allein die Automatisierung der Produktion wird einen nie gekannten Schub bekommen, ganze Berufsgruppen werden verschwinden, en masse. Wahrscheinlich droht auch den bisherigen Steuer- und Sozialsystemen der Kollaps. Kein Politikfeld, kein Ressort wird von alledem unberührt bleiben. Und zugleich wächst die materielle Chance, die Karl Marx dereinst als mögliches Reich der Freiheit umschrieb. Vorausgesetzt, sie wird begriffen und ergriffen. DIE LINKE strebt einen Demokratischen Sozialismus an. Gut und wichtig! Der aber wird entweder sozial-öko-digital sein oder schlicht unreal – offline gesagt.
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