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Dieses Hamburger ist das sechste Denkmal, das die Geschichte der jüdischen "Kindertransporte" anno 1938/39 wachhält.
Und es ist heute die vierte Einweihung, bei der ich dabei bin.
Mein erstes Mal war am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin 2008.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran und das aus drei Gründen.
Erstens lernte ich damals Frank Meisler kennen, der auch die Hamburger Skulptur schuf. Erst vor wenigen Wochen hatte ich ihn in Israel besucht. Wir verabschiedeten uns in Jaffa mit auf Wiedersehen in Hamburg.
Nun sind wir hier: Herzlich willkommen, lieber Frank.
Grund zwei: Für Beobachter war das Polizeiaufgebot rund um das Berliner Denkmal damals auffällig hoch. Die Auflösung dafür: Anwärterinnen und Anwärter der Polizei hatten Patenschaften über die Skulptur und über noch lebende Kinder der Transporte von 1938/39 übernommen. Eine solche Polizeiausbildung könnte Schule machen.
Drittens waren aus aller Welt noch lebende Kinder angereist, inzwischen hoch betagt. Ich lud sie in den Bundestag ein und war überrascht. Sie nannten sich noch immer Kinder. Sie freuten sich sichtbar über ihr Treffen. Und sie benahmen sich wie Kinder, als es um ein Gruppenfoto ging. Irgendjemand feixte immer oder tanzte aus der Reihe.
Diese fröhliche Atmosphäre war ansteckend, sollte uns aber nie vergessen lassen, was auch die Hamburger Skulptur zeigt. Die Rettung tausender jüdischer Kinder war eine gute kleine europäische Geschichte in einer unsäglich großen deutschen Katastrophe: dem einmaligen Völkermord an Jüdinnen und Juden, dem Holocaust, der Shoa.
Deshalb zitiere ich Imre Kertèzs, ein Holocaust-Überlebender und ungarischer Schriftsteller. Er mahnte uns alle:
Das einst Unvorstellbare ist doch geschehen.
Und was einmal geschehen ist, das kann wieder geschehen.
Ich füge hinzu: Dass es sich nie wiederholt, dafür tragen wir - die Nachgeborenen - die Verantwortung. Das ist der Sinn dieses Erinnerns.
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2. |
Als Innenpolitikerin sind meine Pro-Themen Bürgerrechte und Demokratie und meine Kontra-Themen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.
Nach aktuellen Analysen und Zahlen ist ein Viertel der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland latent antisemitisch ansprechbar und aktivierbar, quer durch alle Schichten und Altersgruppen.
Diese Werte sind seit Jahren relativ stabil. Aber etwas anderes scheint sich geändert zu haben. Immer weniger haben Hemmungen, ihren Antisemitismus verbal oder gar tätlich auszuleben.
Diese und weitere Entwicklungen - übrigens EU-weit - sollten uns alle alarmieren. Wir müssen Stoppzeichen setzen: auf Schulhöfen, auf Fußballplätzen, in Stammkneipen, bei Familienfesten, kurz überall, wo Juden-Hass wieder salonfähig wird.
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3. |
Ein dritter Gedanke:
Eine Langzeitstudie über Deutsche Zustände von Prof. Heitmeyer (Uni Bielefeld) & Team besagt: Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt hierzulande zu, ebenso die Akzeptanz von Gewalt als Problemlöser.
Viel spricht dafür, dass PEGIDA in Dresden und all die IDAs anderswo, praktischer Ausdruck dieser Entwicklung sind. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist mehr als Rassismus. Sie richtet sich in einer selbst erdachten Skala gegen alle, die vermeintlich unter einem selbst rangieren: Arbeits- und Obdachlose, Schwule und Lesben, Menschen mit Behinderungen, Juden oder Muslime, Flüchtlinge usw., usf.
Umso zynischer ist es, wenn PEGIDA-Sprecher behaupten, sie würden ausgerechnet jüdisch-christliche Werte des Abendlandes verteidigen.
Unser wichtigster Wert - auch als Lehre aus der Barbarei des Faschismus - steht in Artikel 1 Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar! Und zwar aller Menschen, nicht nur Urdeutscher oder der Schönen und Reichen!
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Abschließend wünsche ich diesem Hamburger Erinnerungsort an die Kindertransporte das, was ich in Berlin immer wieder erlebe:
Komme ich am Bahnhof Friedrichstraße vorbei, so liegen auf der Skulptur stets frische Blumen:
nicht von Amts wegen, sondern von bewegten Bürgerinnen und Bürgern.
Danke!
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