Mein Tagtäglich-Land basiert auf Artikel 1 GG

Demo gegen PEGIDA, Islamfeindlichkeit & Antisemitismus
Türkische Gemeinde, Berlin, 5. Januar 2015
Rede von Petra Pau

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1. 

Anfang September vorigen Jahres fand hier am Brandenburger Tor eine Kundgebung „Steh auf! Nie wieder Antisemitismus!“ statt.
 
Tage später gab es in zahlreichen Städten Deutschlands, auch in Berlin, Aktionen „Muslime gegen Gewalt, Rassismus und Unrecht“.
 
Ich war beide Male dabei, auch als Mitglied im „Berliner Ratschlag für Demokratie und Toleranz“.
 
So weit, so klar.
Zugleich habe ich Dreierlei bedauert:
 
Erstens, dass die jeweiligen Veranstalter, der Zentralrat der Juden und der Koordinationsrat der Muslime, nicht zueinander gefunden hatten.
 
Zweitens, dass die Opfer von Hass und Gewalt zu den Kundgebungen aufgerufen hatten und nicht Initiativen aus der Mitte der Gesellschaft.
 
Drittens, dass die Resonanz auf beide Veranstaltungen marginal war, bestenfalls 10.000 in einer 3,5 Millionen-Metropole wie Berlin.
 
Ich meine: Wenn Menschen aus rassistischen Gründen angefeindet werden, dann ist das unser aller Problem und deshalb sind wir hier.

2. 

Seit Monaten mobilisiert PEGIDA in Dresden und anderswo. Zudem finden PEGIDA und seine Nachahmer Zuspruch.
 
„Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ - auf so eine paranoide Parole muss man erst einmal kommen.
 
Mein Morgen-, Abend- und Tagtäglich-Land basiert auf Artikel 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, aller Menschen!

3. 

Doch die Verhältnisse sind nicht so, meinte dereinst schon Bert Brecht. Menschen in Not gelten vielen als Störenfriede, den Frieden störend.
 
Welchen Frieden? Die Kriege in der Welt, deren Opfer sie sind?
Den Krieg zwischen arm und reich, den sie nicht verschuldet haben?
 
Ich kenne viele sozial erniedrigte Bürgerinnen und Bürger, auch in meinem Wahlkreis. Aber Ersatzschuldige suchen ist feige und dumm.

4. 

Seit Wochen sind PEGIDA & Co nun auch Thema der Parteien.
Ich sage: prinzipiell war das überfällig.
 
Aber nicht so, wie es läuft. Mein Anschein sagt: Es gibt offenbar einen Wettlauf zwischen CSU, AfD und FDP um PEGIDA-Anhänger.
 
Ähnliches gab es Anfang der 1990er. Ein ausländerfeindlicher Mob tobte und die herrschende Politik schleifte darob das Asylrecht.
 
Eine solche Schmach und Schande darf sich nicht wiederholen.
Auch deshalb demonstrieren wir hier.

5. 

Gleichwohl bleibt die Frage: Warum laufen so viele der PEGIDA-Bewegung und ihren rassistischen Parolen hinterher?
 
2011 hatten Professor Heitmeyer und sein Team die Ergebnisse ihrer Langzeitstudie über „Deutsche Zustände“ vorgestellt.
 
Ihr Fazit: Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu, ebenso die Akzeptanz von Gewalt als Problemlösung.
 
Als Ursache dafür benannten sie: Das Soziale wird ökonomisiert, die Demokratie wird entleert. Politdeutsch heißt das Neoliberalismus.
 
Das alles entschuldigt keinerlei Menschenfeindlichkeit. Es sollte nur mitbedacht werden: im Interesse der Würde aller Menschen!

6. 

PEGIDA fragt nicht, warum immer mehr Menschen auf der Flucht sind. Die offizielle deutsche Politik blendet das auch gern aus.
 
PEGIDA interessiert nicht, wer Kriege ausrüstet. Die offizielle Politik blendet das ebenso gern aus. Wir sind stolze Waffenexporteure.
 
PEGIDA disqualifiziert Flüchtlinge als Gefahr. Zugleich wägt die offizielle Politik Menschen zwischen nützlich, unnütz oder schädlich.
 
Ich finde: Wer PEGIDA falsch findet, darf PEGIDA nicht nach dem Mund reden, sondern muss ihnen die Wurzeln abgraben.

7. 

Nun habe ich die Neujahrsansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel vernommen, insbesondere ihre Ablehnung von PEGIDA.
 
Ich wünschte, das ist in allen demokratischen Parteien Konsens.
Aber eine Neujahrsansprache allein löst nichts.
 
Ich war Mitglied im Untersuchungsausschuss zur NSU-Nazi-Mord-Serie und zum Totalversagen des Rechtsstaates.
 
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einer heißt Rassismus, alltäglicher Rassismus und institutioneller Rassismus.
 
Deshalb unterstütze ich die Forderung der Türkischen Gemeinde in Deutschland: Wir brauchen einen Rassismus-Gipfel.

8. 

Noch ein Abschlussgedanke, er geht über PEGIDA, Dresden, Leipzig und Berlin hinaus, nach Griechenland.
 
Ich finde es unglaublich und nicht hinnehmbar, wie die deutsche Regierung und EU-Behörden das Land unter Diktat nehmen.
 
Es wird versucht, den Griechinnen und Griechen vorzuschreiben, wen sie zu wählen haben und wen nicht, anderenfalls drohen Sanktionen.
 
Und zugleich wird Stimmung gegen vermeintlich faule und unzuverlässige Griechen gemacht.
 
„Nehmt den Griechen unseren EURO weg!“, titelte BILD schon vor Jahren. Diese Arroganz schützt Finanzhasardeure und schürt Rassismus.
 
Ich meine: Diese Griechinnen und Griechen verdienen unsere Solidarität ebenso, wie die Menschen in Not, die hierzulande Schutz suchen.
 

 

 

5.1.2015
www.petra-pau.de

 

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