Aktuelle Notiz: Neuland unterm Pflug

von Petra Pau
Berlin, 15. Juli 2013

Sie sprach ein Wort gelassen aus und erntete dafür Hohn, Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hatte „Internet“ und „Neuland“ in einem Satz untergebracht. Flugs wurde ihr Inkompetenz attestiert. Zu Recht oder Unrecht lasse ich im Zweifel und unterstelle ihr einfach mal ungewollte Weitsicht.

Das Internet begann vor rund 15 Jahren meinen Alltag zu bereichern, auch mit einer eigenen Web-Seite. Es gab Vorläufer, elektronische Postfächer, die heute keiner mehr kennt. Die Computer waren damals groß genug fürs Internet und klein genug für das heimische Büro, Super-Kästen mit Röhren-Bildschirm.

Im Bundestags-Wahlkampf 1998 boten wir in Berlin ein Internet-Café an. Das war Avantgarde und galt dem damaligen Bundesgeschäftsführer meiner Partei zu versponnen, um es im „Karl-Liebknecht-Haus“ zu beheimaten. Wir taten es daher im noch Szenebezirk Prenzlauer Berg und waren damit „in“.

Niemand konnte damals ahnen, dass sich heute nahezu jede und jeder mit einem viel leistungsfähigeren „Internet-Cafe“ in Taschen-Größe durchs Leben surft. Und dass mein ehemaliger Bundesgeschäftsführer ebenso wie die Kanzlerin inzwischen emsig durch die Welt twittern. Ich rede von lediglich 15 Jahren.

Nun spendiere ich allen eine Kiste Rotkäppchen-Sekt nebst Spreewalder Gurken, Bautzener Senf und Halloren-Kugeln, die treffsicher voraussagen, wie die „Internet“-Welt in weiteren 15 Jahren aussieht, also cirka 2030. Das Wort „Neuland“ dürfte geradezu tief stapeln, in einem viel weiteren Sinn.

Und mit Fluch und Segen! Es war 2001 oder 2002, da sagte ich auf einer Pressekonferenz: „Jeder, der ein Handy hat, finanziert seine eigene Abhör-Wanze und elektronische Fuß-Fessel.“ Die Journalisten lächelten darob sehr finster. Inzwischen dürften sie aus eigener Erfahrung klüger sein.

Das Überwachungs- und Späh-Potential explodiert. Insofern klingt die aktuelle Empörung über die weltweite elektronische Überwachung durch Geheimdienste, nicht nur durch die NSA der USA, sehr naiv. Zu naiv, um ernst genommen zu werden. Dasselbe trifft auf Äußerungen von Bundesinnenminister Friedrich zu.

Einschub: In Kommentaren lese ich, das sei ja schlimmer als zu Zeiten der Staatssicherheit in der DDR. Ich halte diese Debatte für völlig falsch. Weil ich überzeugt bin, dass das MfS oder der KGB eifrig zugegriffen hätten, wären ihnen seinerzeit derartige elektronische Möglichkeiten zugänglich gewesen.

Zurück: Die aktuelle Empörung ist groß. Wirtschaftsspionage unter Freunden (sic) befürchten die einen. Sogar EU-Behörden wurden belauscht, empören sich andere. Aber nicht das ist der Gipfel, sondern dass Bürgerinnen und Bürger weltweit ausnahms- und anlasslos ihrer Souveränität beraubt werden.

Fakt ist: Ein Bundesverfassungsgericht hat einmal klug und nachvollziehbar geurteilt: Demokratie ohne Datenschutz ist nicht denkbar. Demnach sind die nahezu unvorstellbaren Datenspähprogramme verschiedenster Geheimdienste ein Generalangriff auf die Demokratie als Gesellschafts- und Zukunftsmodell.

Soweit die schlechte Nachricht, die allen Protest rechtfertigt. Gibt es auch eine gute? Ja, unbedingt! Das Internet befreit Bürgerinnen und Bürger aus einer Nachrichten-Hierarchie, mittels der ihnen offiziell zugeteilt wird, was sie für gut oder schlecht halten sollen. Das ist eine mediale Revolution!

Hinzu kommt eine zweite Revolution: Die solare Energiewende. Ein Blick in die Geschichte zeigt: Alle historisch grundlegenden Veränderungen hatten stets zwei Komponenten: neue Möglichleiten der Kommunikation und neue nutzbare Energien. Also im Marxschen Sinne eine höhere materielle Basis.

Wenn das so stimmt, dann muss das auch zwei Konsequenzen für Linke und für DIE LINKE haben: Sie brauchen anerkannte Kompetenzen beim Neuland „Internet“ und für eine soziale „Solarwende“. Nicht länger verschämt als Beipack „die haben wir auch“, sondern als reform-revolutionäres Markenzeichen.

Noch wird das potentiell „gute“ Internet von Konzernen beherrscht und von Geheimdiensten missbraucht. Und die aktuelle Politik boykottiert eine dezentrale Solarwende zugunsten von marktbeherrschenden Monopolen. Kurzum: Es ist also noch viel Neuland unter den Pflug zu nehmen.

PS: In diesem Zusammenhang empfehle ich einen Artikel meiner Kolleginnen Petra Sitte und Halina Wawzyniak bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, siehe:
http://www.zeitschrift-luxemburg.de/nach-der-enquete-kommission-internet-und-digitale-gesellschaft-was-hat-die-digitalisierung-mit-linker-politik-zu-tun/


 

 

 

15.7.2013
www.petra-pau.de

 

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