Aktuelle Notiz: nach der EU-Wahl

von Petra Pau
Berlin, 8. Juni 2009

1. 

DIE (deutsche) LINKE hat hinzugewonnen, verglichen mit der EU-Wahl 2004. DIE LINKE hat verloren, gemessen an den eigenen Ansprüchen. Beide Seiten sollte unaufgeregt analysiert werden. Zumal: nach der Wahl ist vor der Wahl. Und die nächsten Wahlen stehen vor der Tür, am 30. August in drei Ländern und am 27. September 2009 zum Bundestag.

2. 

„DIE LINKE verliert, trotz Krise“, verbreiten die Medien. „Die Medien ignorieren uns“, moniert zugleich DIE LINKE. Beides stimmt - oberflächlich. Die gescholtenen Medien berichteten zugleich über Zoff innerhalb der Linkspartei. Sie konnten das, denn parteiinterne Differenzen wurden ihnen auf offener Bühne präsentiert.

3. 

Ich finde: Wer sich anschickt, als Linke die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland (und weltweit) zum Tanzen zu bringen, sollte wissen, dass „die Verhältnisse“ über eigene Spielregeln verfügen. Man ändert sie nicht, indem man sie beklagt oder ihnen mit der Welt-Revolution droht, sondern nur mit neuen gesellschaftlichen Mehrheiten.

4. 

Die erste Frage sollte daher sein: Warum haben wir nicht mehr Bürgerinnen und Bürger für uns gewinnen können? Wer diese Frage mit schlechten Medien, mit verlogenen Konkurrenten oder bösen Mächten beantwortet, erwirbt vielleicht Zuspruch in zahlreichen Verschwörer-Blogs. DIE LINKE aber bringt das keinen Deut weiter.

5. 

Meine zweite Frage lautet: Wie und als Was nehmen Bürgerinnen und Bürger DIE LINKE überhaupt wahr? Als Hoffnungsträger? Als Duo Gregor & Oskar? Als zerstrittener Haufen, auf dem zahlreiche Hähnchen und Hühnchen weltfremde Flügelkämpfe austragen? Sage niemand: Das behaupten arglistige Medien. Nein, sie verstärken es nur.

6. 

Als dritte Frage bietet sich an: Warum sollten uns mehr Leute wählen, wenn sie nicht wahrnehmen, was sie davon haben? Alle Wählerinnen und Wähler wollen wissen, was es ihnen bringen könnte. Der Gebrauchswert, den DIE LINKE vermittelt hat, hieß: „Wir sind dagegen, weil wir dafür sind!“ Das kann man mit Wahl-Abstinenz billiger haben.

7. 

Keine EU-Wahl ist vergleichbar mit einer Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahl. „Russland ist groß und der Zar ist fern“, sagt ein altes Sprichwort. Also Frage Nummer vier: Haben wir die EU den Bürgerinnen und Bürgern näher gebracht? Nein! Fünfte Frage: Wollten DIE LINKE es nicht oder waren wir nur genauso schlecht wie die anderen Parteien?

8. 

Die CSU hat in Bayern nahezu so viele Wählerinnen und Wähler für sich gewonnen, wie DIE LINKE bundesweit. Das kann man als „typisch Bayern“ abschreiben. Aber das wäre so falsch, wie arrogant. Falschen Propheten glaubt man so lange, bis Bessere glaubwürdiger sind. Also Frage fünf: Warum wurde DIE LINKE nicht als Alternative gewählt?

9. 

Fast alle Parteien bemühen ein Mobilisierungs-Defizit. Das liegt nahe. Aber einer Erklärung aus meiner eigenen Partei widerspreche ich ausdrücklich. Die EU-Wahl sei „traditionell eine Wahl der gebildeten Schichten“, also nichts für die linke Stamm-Klientel. Was bitte soll das? DIE LINKE muss alle ansprechen oder sie verkommt zur Sekte.

10. 

Sechstens eine Preisfrage: Warum gewann ausgerechnet die FDP hinzu, die den wirtschaftlichen Neoliberalismus am reinsten vertritt? Und das inmitten einer weltweiten Krise, die alles neoliberale Gerede ad absurdum führt? Noch mehr Pseudo-Radikalität im Auftreten, wie manche meinen, ist offenbar die falsche Antwort, meine ich.

11. 

Es gibt in der Linkspartei ein Doppel-Defizit: programmatisch und strategisch. Damit verrate ich kein Geheimnis. Das Ungeklärte muss geklärt werden. Das ist die Herausforderung nach der Wahl, nach der Bundestagswahl. Noch kann fast jede und jeder sich als DIE LINKE verkaufen. Im Mini-Markt. Eine moderne LINKE sollte mehr wollen.

12. 

Die EU-Wahl ist gelaufen. Die Statistik weist Sieger und Verlierer aus. Die Medien haben neuen Stoff. Und alle Parteien erklären das ihre. Das alles ändert nichts an meiner weitergehenden Einschätzung: Erneut wurde die Demokratie geschwächt. Die Bedeutung der EU wächst. Der Zuspruch zur EU sinkt. Auch das sollte eine demokratische LINKE umtreiben.
 

 

 

8.6.2009
www.petra-pau.de

 

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