Dem Oberstufenzentrum Handel II gilt mein Glückwunsch. Sie werden den Namen Oscar Tietz tragen und damit einen außerordentlichen Ruf.
Den Angehörigen und Nachfahren von Oscar Tietz wiederum danke ich, dass sie diesem Anliegen zustimmen, gerade hier, in Berlin. Ich finde es übrigens überfällig, dass Oscar Tietz in Berlin wieder präsent ist. Und ich finde es gut, dass dies hier in meinem Heimatbezirk geschieht.
Fragen Sie Berlinerinnen oder Berliner, am besten ältere, ob Ihnen der Name Oscar Tietz etwas sagt. Ich wette: Die meisten werden mit dem Kopf schütteln. Einige werden vielleicht sagen: Hermann Tietz, ja, von dem habe ich schon mal was gehört. War das nicht der mit dem Herti- Kaufhaus? Und da liegen die gefragten Berlinerinnen und Berliner gar nicht so falsch. Aber der nimmermüde Motor war Oscar Tietz, der Neffe von Hermann Tietz.
Es waren wohl drei Eigenschaften, die Oscar Tietz besonders auszeichneten.
Er war sehr wissbegierig und belesen, schon in jungen Jahren. Er hatte eine soziale Ader und ein Gespür für Gerechtigkeit. Und er war im besten Sinne ein Pionier seiner Zeit, offen für Neues. Er gilt als Schöpfer einer neuen Handelskultur, als Erfinder des Warenhauses, als Betreiber von Volkskaufhäusern mit erschwinglichen Preisen.
Die Familie Tietz war jüdisch, auch Oscar. Juden wurde gern nachgesagt, sie würden vor allem schachern, mauscheln und raffen. Ja, Oscar Tietz war allen Widerständen zum Trotz sehr erfolgreich. Als er 1923 im Alter von 64 Jahren starb, hinterließ er ein Kaufhaus-Netz, auch in Berlin. Die wirklichen und bleibenden Leistungen aber schuf Oscar Tietz für die Bildung, die Mitbestimmung und die soziale Sicherheit seiner Beschäftigten.
Er war damals der erste, der für seine Warenhäuser eigene Berufsschulen schuf, damit das Personal gut ist und die Kunden zufrieden sind. Oscar Tietz ließ damals - völlig unüblich - so etwas wie einen Betriebsrat wählen. Damit war er einigen Billig-Discountern von heute um Meilen voraus. Und er richtete Sozialkassen für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein, damit sie auch im Alter nicht in Armut fallen.
Wer übrigens mehr über das Leben und Werk Oscar Tietz erfahren möchte, dem empfehle ich die Reihe Jüdische Miniaturen mit einem Band über ihn. Im Anhang des Büchleins findet sich zudem eine Liste, über welche Persönlichkeiten ebensolche Jüdische Miniaturen erschienen sind. Viele von ihnen wurden verfemt, verfolgt, vertrieben, vergast. Ein Schicksal, das ab 1933 in Deutschland auch die Familie Tietz traf.
Die so genannten Juden-Kaufhäuser wurden arisiert. Den Anfang machten die Banken, indem sie den Inhabern laufende Kredite verweigerten. Dann riefen die Nazis zum offenen Boykott auf. Kauft nicht bei Juden, hieß es allenthalben. Der geschürte Hass gegen Juden schlug in Gewalt um. Die Familie Tietz konnte mühsam entkommen. Ihr Kampf um Entschädigung für erlittenes Nazi-Unrecht reichte bis in die Jetzt-Zeit.
Übrigens: Das erste kleine Handelshaus richtete Oscar Tietz mit Hilfe von Hermann Tietz ein. So wurde Hermann, der Onkel, zum Namensgeber. Später wurden spezielle Waren des Kaufhauses mit dem Kürzel Herti beworben. Das machten sich die Nazis zu Nutzen. Aus dem Hermann-Tietz-Kaufhaus wurde das arisierte Herti, so als wäre nichts geschehen. Die Juden mussten weg, der Markenname blieb. Kurzum: Die Nazis haben geschachert, gemauschelt und gerafft - um im antisemitischen Jargon zu bleiben. Auch das belegt die Geschichte.
Um Ihnen ein Gefühl zu geben, mit welcher barbarischen Akribie oder akribischen Barbarei damals gegen Jüdinnen und Juden vorgegangen wurde, will ich Ereignisse und Daten aufrufen. Sie sind nicht vollständig:
1933
01. April: Über Jüdische Geschäfte wird ein Boykott verhängt;
07. April: Juden werden aus dem Beamtentum ausgeschlossen;
22. April: Jüdische Ärzte dürfen nicht für Krankenkassen arbeiten;
22. September: Juden werden aus dem deutschen Kulturleben ausgeschlossen.
1935
Mai: Juden wird der Besuch von Kinos, Cafés und Bädern untersagt;
15. September: Die Nürnberger Rasse-Gesetze werden beschlossen;
14. November: Juden verlieren das Wahlrecht.
1937
15. April: Juden dürfen keinen Doktor-Grad erwerben;
02. Juli: Die Zahl jüdischer Schülerinnen und Schüler wird beschränkt.
1938
April: jüdische Betriebe werden arisiert (sprich: enteignet);
20. Juni: Juden dürfen keine Behörden mehr betreten;
27. Juli: Alle nach Juden benannten Straßen werden umbenannt;
25. September: Berufsverbot für alle jüdischen Anwälte;
09. November: Juden-Pogrome im ganzen Reich, Synagogen brennen;
03. Dezember: Juden müssen ihre Führerscheine abgeben.
1939
01. Januar: männliche Juden müssen sich Israel, weibliche Sara nennen;
30. April: Juden werden in so genannte Judenhäuser eingewiesen;
01. September: Juden dürfen diese Häuser nur noch beschränkt verlassen;
12. September: Juden dürfen nur noch in bestimmten Läden einkaufen;
23. September: Juden müssen alle Rundfunkempfänger abgeben.
Ich mache jetzt einen Zeitsprung.
1942
20. Januar: Auf der so genannten Wannsee-Konferenz in Berlin wird die Endlösung der Judenfrage beschlossen. Erklärtes Ziel war damit die Vernichtung von 11 Millionen Jüdinnen und Juden in ganz Europa. Also das, was man später Holocaust oder Shoa nennen wird. Diesem historisch einmaligen Verbrechen fielen 4 ½ Millionen Jüdinnen und Juden zum Opfer.
Daran, an die Tat und an die Täter und nicht an die Toten und Opfer, erinnert das Holocaust-Mahnmal südlich vom Brandenburger Tor in Mitte. Es soll nicht Schuld sprechen, sondern zur Verantwortung mahnen. Und es soll erinnern: Das alles geschah nicht, weil die Nazis so stark waren, sondern weil die Demokraten und die Demokratie zu schwach waren. Also hüten wir die Demokratie.
Der Name Oscar Tietz indes erinnert an etwas anderes. Nämlich an einen findigen Unternehmer, der in jungen Jahren Heine, Marx und Bebel gelesen und vielleicht auch deshalb immer ein Herz für seine Angestellten hatte. Und so kann ich mir kaum einen Namen für das Oberstufenzentrum Handel II vorstellen, der spannender ist, als Oscar Tietz. Deshalb wiederhole ich meinen Glückwunsch. Heute ist ein guter Tag. Machen Sie alle das Beste daraus.
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