Mit einem traurigen und einem hoffenden Auge

Gründung des „Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus“, Berlin, 30. April 2008
Rede von Petra Pau

1. 

Einige der Anwesenden heute hatten sich erst gestern getroffen. Wir gedachten im Gemeindehaus Fasanenstraße der 6 Millionen Jüdinnen und Juden in Europa und des Aufstandes im Warschauer Ghetto 1943.
 
Vordem wurde bekannt, dass der Jüdische Friedhof in Weißensee geschändet wurde. Es wird ermittelt wegen Störung der Friedhofsruhe und Sachbeschädigung. Das schnell ermittelt wird, ist gut und wichtig.
 
Im statistischen Schnitt wird bundesweit Woche für Woche ein jüdischer Friedhof geschändet. Allerdings fast nie wird wegen Antisemitismus ermittelt. Ich hingegen finde: Man muss das Übel beim Namen nennen.

2. 

Zumal es sich ganz offensichtlich nicht um Zufälle betrunkener Wirrköpfe handelt. Denn vergangene Nacht wurden erneut Grabsteine umgeworfen. Das ist eine bewusst gesetzte antisemitische Provokation.
 
Vor Jahresfrist hatte ich übrigens die Bundesregierung gefragt, wie viele derartiger Schändungen in den zurück liegenden Jahren registriert wurden. Die Antwort ist alarmierend: Im statistischen Schnitt jede Woche eine.
 
Dann wollte ich wissen, wie sich dies Zahlen auf die einzelnen Bundesländer verteilen. Die Bundesregierung antwortete: Der Aufwand, das zu ermitteln, sei ihr zu hoch. Das finde ich ebenso alarmierend.

3. 

Nun sind wir also hier, weil heute ein „Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus“ gegründet wird. Ich sehe das mit einem traurigen und mit einem hoffenden Auge.
 
Traurig, weil dieses Forum überhaupt nötig ist. Antisemitismus ist ein gesellschaftliches Problem. Das neue Forum verstehe ich daher durchaus auch als Kritik an den Zuständen und an den Zuständigen.
 
Hoffend, weil ich mir natürlich von diesem Forum auch Anregung und Ansporn verspreche. Insofern möchte ich gern eine gute Partnerin des Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus sein.

4. 

Vor zehn Tagen meldeten die Medien, Gregor Gysi habe sich klar zum Existenzrecht Israels bekannt. Das war allerdings so neu nicht. Er hatte es schon 1990 getan und später auch.
 
Dass seine aktuelle Rede dennoch mediale Beachtung fand, hat einen handfesten Grund. Antisemitismus gibt es nicht nur unter Rechten oder militanten Islamisten, sondern auch unter vermeintlich Linken.
 
Das Spektrum ist noch breiter. Antisemitismus nistet inmitten der Gesellschaft. Deshalb unterstütze ich den Vorschlag, die Bundesregierung möge alljährlich einen Antisemitismus-Bericht vorlegen.

5. 

Noch sind diese und weitergehende Vorschläge im Bundestag nicht mehrheitsfähig. Aber es entwickelt sich langsam und endlich auch fraktions-übergreifend eine Zusammenarbeit.
 
Die will ich gern und weiter unterstützen. Auch aus Erfahrung: Wir hatten im Jahr 2000 einen Aufstand der Anständigen, dem allerdings alsbald die Zuständigen abhanden kamen. Es war ein Strohfeuer.
 
Das hilft nicht weiter. Mein Credo ist seitdem: Wir brauchen partei- und ressortübergreifende Strategien und einen Marathon der Demokraten. Ich wünsche dem neuen Jüdischen Forum auch deshalb viel Erfolg.
 

 

 

30.4.2008
www.petra-pau.de

 

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