2011 drei Mal Rot-Rot?!

Neujahrsempfang der Fraktion DIE LINKE in Sachsen-Anhalt, Magdeburg, 22. 01. 2008
Ansprache von Petra Pau

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1. 

Gern bin ich nach Magdeburg zum Neujahrs-Empfang der Linken gekommen. Zumal Sachsen-Anhalt immer eine Reise wert ist. Zum Beispiel als „Land der Frühaufsteher“, wie man allerorten lesen kann. Die FDP wollte übrigens im Bundestag jüngst die Umstellungen von Winter- auf Sommerzeit und umgekehrt abschaffen und stattdessen die Sommerzeit permanent einführen.
 
Ich habe für DIE LINKE dagegen gesprochen und das Ganze als einen durchsichtigen PR-Gag von Cornelia Pieper enttarnt. Denn wenn die Sommerzeit permanent gilt, dann müsste man immer eine Stunde früher aufstehen. Die FDP wollte also alle Bundesbürgerinnen und Bundesbürger per Gesetz zu Anhaltiner machen. Ich habe erwidert: Besonders freiheitlich ist das nicht. Da ist DIE LINKE weitaus liberaler.

2. 

Das war nun wieder von mir eine mutige Aussage. Denn Insider wissen es: Wir haben in der neuen Linkspartei noch ein paar offene Fragen zu klären. Eine betrifft das Verhältnis von sozialen Rechten zu Bürger- und individuellen Freiheitsrechten. Meine Lehre aus der Geschichte besagt: Man darf diese Rechte weder gegeneinander aufrechnen, noch hierarchisieren. Und ich weiß: Viele hier im Saal sehen das ebenso.
 
Damit bin ich bei einer Kuriosität aus der Bundestagsfraktion. Einerseits habe ich erlebt, wie unsere linken Schwestern und Brüder aus dem Westen uns Ossis erklären wollten, wie die Wende 1989/90 wirklich war. Andererseits müssen wir Ossis so manchem Wessi erklären, warum Bürgerrechte nicht nur ein Zubrot bei Schönwetter-Perioden sind. Sie merken also: DIE LINKE ist immer noch für Überraschungen gut.

3. 

Für viele schien im Früh-Sommer 2007 ohnehin die größte Überraschung zu sein, dass die WASG und die PDS wirklich den Sprung zu einer neuen Linkspartei geschafft haben. Ich hatte am 16. Juni gerade die Parteitagsleitung inne und somit konnte ich Punkt 9.20 Uhr verkünden: „DIE LINKE hat das Licht der Bundesrepublik erblickt!“ Das war schon ein beeindruckender Moment. Und er zeigte auch sofort Wirkung.
 
Parallel hatte die FDP einen Bundesparteitag. Worüber wurde dort geredet? Über die Linkspartei. Tags darauf gab es die üblichen Pressekonferenzen. Phönix übertrug sie. Erst sprach die SPD - über die Linkspartei. Dann sprach die Union über die Linkspartei. Danach sprach DIE LINKE über die Linkspartei, später sprachen noch die FDP und die Grünen über die Linkspartei. So viel Linkspartei, wie in diesen Tagen, war nie.

4. 

Gleichwohl gebe ich zu bedenken: Wir können nicht jedes Jahr eine neue Partei gründen, um so etwas zu bewirken. Nach meiner Hochrechnung ist die nächste Linke ohnehin erst 2029 fällig. Denn die Parteien, denen ich bisher angehörte, haben es immer bis zum 11. Parteitag geschafft. Dann war Schluss. Und beim nächsten Mal, 2029, werde ich mit Wulf Gallert und Petra Sitte im Rat der Alten sitzen und weise Ratschläge geben.
 
Bis dahin aber bleibt noch Einiges zu tun - auch damit Guido Westerwelle doch noch Recht bekommt. Er hatte auf dem Dreikönigstreffen der FDP am 6. Januar einen Linksruck in Deutschland beklagt und dafür die CDU/CSU und die SPD als Neo-Sozialisten beschimpft. Ich finde, da hat der FDP-Chef ein wenig übertrieben. Aber seien wir optimistisch: Was nicht ist, kann ja noch werden. Und auf DIE LINKE sollte Verlass sein.

5. 

Richtig ist allerdings: DIE LINKE wirkt in der Tat. Als Gesine Lötzsch und ich allein im Bundestag waren und einen gesetzlichen Mindestlohn forderten, da wurden wir ausgelacht. Heute tut die SPD so, als hätte sie das Thema erfunden. Ich finde das übrigens historisch gerecht. 1990 nahm die PDS Anleihen bei der SPD zum Thema „Demokratie“. Heute beleihen wir die SPD gerne bei Themen wie „soziale Gerechtigkeit“ und „Frieden“.
 
Derzeit bin ich in Landtags-Wahlkämpfen unterwegs. Und wie früher auch, küre ich dabei meine Lieblingsplakate. 2004 war es eins der FDP. Im Bundestag hatte sie für „Hartz IV“ gestimmt und in Sachsen hatte sie plakatiert „Herz statt Hartz!“ Nun hat die SPD in Niedersachsen geklebt: „Gerechtigkeit kommt wieder!“ Da frage ich mich natürlich: Wo war sie die ganze Zeit? Und wer hatte sie außer Landes getrieben?

6. 

Wir, DIE LINKE, müssen dafür sorgen, dass die soziale Gerechtigkeit hier nicht nur Asyl auf Zeit erhält, sondern sich dauerhaft entfalten kann, so, wie es das Grundgesetz vorschreibt. Und dazu gehören nicht nur Löhne, von denen man Leben kann. Dazu gehören auch gute Bildung für alle, Altern in Würde, Kindheit ohne Armut und gleiche Rechte für alle, mit und ohne deutschen Pass, um nur Einiges zu nennen.
 
Und nebenbei müssen wir etwas leisten, was für die Zukunft der Linkspartei wichtig ist: Wir müssen in den alten Bundesländern zulegen, ohne in den neuen einzubüßen. Das ist eine kulturelle Frage, das ist eine politische Frage, das sind eine strategische Frage und damit auch eine weitere Herausforderung für DIE LINKE in Sachsen-Anhalt. Ich bin überzeugt, ihr werdet das - selbstbewusst wie bisher - meistern.

7. 

Ich will noch etwas sehr Ernstes ansprechen: den zunehmenden Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Das Thema beschäftigt mich seit Jahren, auch im Bundestag. Im statistischen Schnitt werden bundesweit Stunde für Stunde 2 ½ rechtsextreme Straftaten und Tat für Tag 2 ½ rechtsextreme Gewalttaten registriert. Das sind die offiziellen Zahlen. Sie sind geschönt, auch in Sachsen-Anhalt.
 
Das Problem lässt sich nicht auf die NPD reduzieren, es ist ein gesellschaftliches. Rechtsextremismus ist hierzulande längst wieder eine Gefahr für Leib und Leben. Ich weiß, ich trage hier Eulen nach Athen. Aber ich möchte auf ein weiteres, auch Bundes-Problem hinweisen. Bei aller Konkurrenz darf nie eine Schwelle überschritten werden, bei der parteiübergreifende demokratische Bündnisse unmöglich werden.

8. 

Bei meinem nächsten Gedanken nehme ich gern eine Anleihe bei Günter Herlt, früher war er DDR-Reporter in Bonn. Heute ist er politischer Kleinkünstler mit Tiefgang. Entscheidend ist, was hinten raus kommt. Das meinte Ex-Kanzler Kohl. Entscheidend ist, was unten ankommt. Das meinte nun Bundeskanzlerin Merkel. Wenn nun aber unten ankommt, was hinten raus kommt, dann kann es wirklich be.. schissen werden.
 
Dahinter steckt aber ein tieferes Problem. Früher gab es die oberen Zehntausend, das untere Drittel und dazwischen die alte oder neue Mitte. Inzwischen werden die Unten immer mehr und die Mitte wird immer leerer: im Osten offensichtlich, im Westen zunehmend. Wer heute noch Computer-Experte ist, kann morgen schon Hatz-IV-Opfer sein. Das ist ein soziales und das ist zugleich ein Demokratie-Problem.

9. 

Ich habe neulich gemeinsam mit dem Autor Helmut Kuhn sein jüngstes Buch vorgestellt. Es heißt „Arm, reich und dazwischen nichts?“ Ich empfehle es. Es erzählt Geschichten aus dem wahren Leben, bewegende Schicksale aus Ost und West, aus Nord und Süd. Und es beschreibt das Dazwischen, das zunehmende Nichts, ein schwarzes Loch, um das sich die CDU und die FDP gerade heftig politisch streiten.
 
Natürlich hat die Union dabei die besseren Karten. Westerwelle sagt zwar: Wir sind die Partei der Mitte. Merkel aber sagt: Wir sind die Mitte und wo auch immer wir sind, da ist die Mitte. Ein CDU-Parteitag hat das obendrein einmütig beschlossen. Das klingt ostalgisch. Und manche erinnern sich sicher auch an den alten Slogan: „Was die Partei beschließt wird sein!“ - Oder eben auch nicht, wie wir inzwischen wissen.

10. 

Ich habe viele, auch Fernseh-Diskussionen, über Mindestlöhne und Manager-Gehälter bestritten. Dabei wurde mir immer der Part zugewiesen, wonach ich eine Neid-Diskussion gegen die Ackermänner & Co zu führen habe. Die führe ich gerne. Wer Tausende entlässt, um Millionen einzustreichen, hat keine Moral. Und kein Manager kann 385 Mal mehr leisten, als ein Normal-Verdiener. Aber auch das ist ein Rand-Problem.
 
Denn von mir aus könnten die Ackermänner, Beckers oder Beckmanns verdienen, was sie wollen. Sie können sich hoch droben trollen, ob auf Sylt oder in Davos. Sie können von mir aus Christiansen spielen oder Blut dopen. Aber solange alleinerziehende Mütter mit zwei Kindern mit 2,50 Euro pro Person und Tag abgespeist werden, solange ist etwas faul im Staate Deutschland. Das ist das eigentliche Problem.

11. 

Und es gibt ein Weiteres, das die neue LINKE nicht aus lauter West-Euphorie entsorgen darf: die anhaltende Ost-Benachteiligung. Das ist bei Löhnen so, das ist bei Renten so, und das ist noch schlimmer. Noch immer gilt ein in Afghanistan zerschossenes Soldatenbein Ost weniger als ein ebenso zerfetztes Soldatenbein-West. Das alles im Jahr 18 der deutschen Einheit. Und das trotz einer Kanzlerin aus dem Osten.
 
Ich war lange Landesvorsitzende in dem einzigen Ost-West-Bundesland, in Berlin. Das waren eine spannende Aufgabe und eine spannende Zeit. Sie endete mit der ersten rot-roten Landesregierung. Umso mehr beklage ich die Bundes-West-Mauer, die noch immer steht - in vielen Regierungs-Köpfen, aber auch in Bundesgremien der Gewerkschaft. Daher meine Bitte: DIE LINKE muss eine Partei wirklicher Einheit bleiben.

12. 

„Gern bin ich nach Magdeburg zum Neujahrs-Empfang der Linken gekommen. Zumal Sachsen-Anhalt immer eine Reise wert ist.“ Damit habe ich vorhin begonnen. Als Episode fällt mir abschließend der letzte Landtags-Wahlkampf ein. Ich fuhr nach Magdeburg und sah Großflächen. Darauf pries sich der SPD-Spitzenkandidat als Spitzen-Ministerpräsident. Wenig später hörte ich ihn reden und das klang plötzlich ganz anders.
 
Er wolle doch nicht SPD-Ministerpräsident werden, er sei jetzt die Kampfreserve der CDU. Das war die Botschaft, die ich hörte. Auch das macht Sachsen-Anhalt einzigartig. Jähe Wendungen sind also nicht ausgeschlossen. Das galt in meinem ersten Leben als Mahnung. Nehmen wir es nun als Ermutigung. Denn warum sollte es 2011 nicht drei rot-rote Regierungen geben: in Berlin, in Thüringen und in Sachsen-Anhalt.
 

 

 

22.1.2008
www.petra-pau.de

 

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