Rückblick 2007 – 12 x drei

Auf allen Sendern und in allen Zeitungen gibt es Jahresrückblicke. Trotzdem oder gerade deshalb: Ich biete ihnen erneut alternativ meine komprimierte Sicht auf 2007 an. „12 x 3“, drei ausgewählte Ereignisse je Monat.

Januar

Vor Ende des II. Weltkrieges wurde auch Magdeburg von Alliierten Truppen bombardiert. Neo-Nazis wollten nun aus diesem Anlass ein „Deutsches Helden-Gedenken“ zelebrieren. Ein „Bündnis gegen Rechts“ in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts bildete dagegen vor dem Westfriedhof eine Menschenkette. Ich fuhr in die Stadt an der Elbe und reihte mich in die Protest-Kette ein.

Bulgarien gehört zu den neuen EU-Mitgliedsstaaten. Als Vize-Präsidentin des Bundestages nahm ich an der ersten Sitzung der Nationalversammlung im neuen Jahr teil. Ich sprach mit Repräsentanten des Balkan-Staates und mit Vorsitzenden mehrerer Parteien. Auf dem Programm stand außerdem der Besuch in einem deutschsprachigen Gymnasium und beim Goethe-Institut.

Ein Teil der Koch-Straße in Berlin-Kreuzberg sollte nach Rudi Dutschke benannt werden. Er war eine Symbol-Persönlichkeit der „68er Bewegung“. Für den neuen Namen warb ein Bürgerbegehren. Ich habe es unterstützt. Dagegen machte die örtliche CDU gemeinsam mit dem dort ansässigen Axel-Springer-Verlag mobil. Die Bürgerinnen und Bürger gewannen - für Rudi Dutschke.

Februar

Der Bundestag beschloss die nächste Stufe der „Gesundheitsreform“ - mit der Mehrheit der CDU/CSU und der SPD - und mit allen Nebenwirkungen, Risiken und Ungerechtigkeiten für die Betroffenen. DIE LINKE votierte geschlossen mit Nein. Die Gegenrede zum Koalitions-Gesetz hielt übrigens die neue Gesundheits-Senatorin des Landes Berlin, Katrin Lompscher (DIE LINKE).

Der Politische Aschermittwoch führte mich nach Stuttgart. Ulrich Maurer, Jan Korte und ich waren angekündigt. Meine Rede drehte sich um den nahenden Abschied oder Abschuss von Bayerns Minister- Präsident Edmund Stoiber. Er war ein verlässlicher Wahlhelfer der Linkspartei im Osten. Und er war ein prima Stichwortgeber für Kabarettisten aller Couleur. So - nur so - fehlt er schon jetzt.

Im so genannten BND-Ausschuss des Bundestages ging es erneut um den Bremer Murat Kurnaz und dessen jahrelange Internierung im US-Folterlager auf Guantanamo. Seine Erinnerungen wurden im Rohwolt-Verlag unter dem Titel „Fünf Jahre meines Lebens“ veröffentlicht. Viele Entscheidungs-Wege über sein Schicksal führten ins Bundeskanzleramt, damals zu Frank-Walter Steinmeier.

März

Ein Jüdischer Kindergarten in Berlin wurde mit antisemitischen Parolen besudelt. Spielzeug wurde mit SS-Runen beschmiert. Die Jüdische Gemeinde hatte zu einem „Gebet der Solidarität“ geladen. Ich war dabei. Später besuchten ich und mein Team den Kindergarten und die jüdische Traditions-Schule. Ihr Leben bestätigt den Befund: Antisemitismus gehört zum deutschen Alltag.

Seit 15 Jahren kämpfen mehrere Bürgerbewegungen gegen eine Re-Aktivierung des Bomben-Abwurfplatzes durch die Bundeswehr und die Nato in der Kyritz-Ruppiner Heide. Die Initiative FREIeHEIDe wurde dafür nun mit dem Göttinger Friedenspreis ausgezeichnet. Die Landesparlamente in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sind gegen das „Bombodrom“, der Bund ist dafür.

Im Bundestag wurde die „Rente ab 67“ beschlossen. Auch Bündnis 90/Die Grünen waren dafür, die Union und die SPD ohnehin. DIE LINKE stimmte dagegen. Am Brandenburger Tor, nahe dem Bundestag, demonstrierten rund 200 Leute dagegen. Sie waren dem Aufruf des DGB gefolgt. Hätte man gesagt: Hauptamtliche und Linke wegtreten, dann wäre der Platz leer gefegt gewesen.

April

Im April 1945 wurden die Überlebenden des KZ Buchenwald befreit. Eine Veranstaltung in Weimar erinnerte daran - mit Protest. Denn vordem hatte Baden-Württembergs Minister-Präsident, Oettinger (CDU), aktuell versucht, seinem Parteifreund Fillbinger zum „NS-Widerstands-Kämpfer“ zu verklären. Filbinger hatte noch „fünf nach zwölf“ als NS-Richter Todesurteile verhängt.

Der Berliner Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Eberhard Schönberg, besuchte mich im Bundestag. Wir sprachen über die Auswirkungen der Föderalismusreform I auf die Polizei in den Bundesländern und über weitere Antiterror-Vorhaben von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Außerdem überreichte er mir meine Mitgliedskarte als Fördermitglied der GdP.

In Berlin führte das europäische Netzwerk gegen Rassismus, ENAR, einen mehrtägigen Strategie-Kongress durch. Als Vize-Präsidentin des Bundestages hatte ich die Schirmherrschaft über die Tagung übernommen. Gemeinsam mit Rita Süßmuth eröffnete ich die Beratung. Später empfing ich die rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus über 20 Staaten im Bundestag.

Mai

In Rostock eröffnete ich mit einer Plakataktion die Proteste der Linkspartei gegen den bevorstehenden G8-Gipfel in Heiligen-Damm. Derweil nahmen bundesweit die Versuche zu, G8-Kritiker zu kriminalisieren. Während des Gipfels wurde die Bundeswehr ohne rechtliche Grundlage massiv im Innern eingesetzt. Ein „Tornado“ raste im Tiefflug über ein Protest-Camp.

Im Bundestag gab es eine Anhörung zur Opfer-Rente für politisch Verfolgte zu DDR-Zeiten. Zahlreiche Experten kritisierten den Gesetzentwurf von Union und SPD scharf. Die große Koalition beschloss ihn später dennoch kaum verändert. Demnach bekommen nur noch diejenigen Betroffenen eine Rente von 250 Euro, die derzeit arm sind. Ich sprach auch deshalb für DIE LINKE gegen das Gesetz.

Eine Woche lang war die Wanderausstellung des Bundestages bei mir im Wahlkreis in Berlin, Marzahn-Hellersdorf. Im Einkaufszentrum EASTGATE konnten sich so die Kundinnen und Kunden über die Arbeit des Parlaments informieren. Täglich boten wir zudem Gesprächsrunden an, unter anderem mit Gregor Gysi, Kerstin Naumann oder Katrin Lompscher (alle DIE LINKE).

Juni

Erstmals fanden in Berlin Deutsch-Russische Festtage statt. Sie ergänzen nun im Osten der Stadt die traditionsreichen West-Berliner Volksfeste, die es seit langem mit den ehemaligen West-Alliierten Frankreich, Großbritannien und den USA gibt. Ich nahm an der Eröffnung in der Trabrennbahn Karlshorst teil, ebenso die Bürgermeister von Moskau, Kaliningrad und weiterer Städte.

Im Berliner Hotel „Estrel“ gründeten rund 800 Delegierte der ehemaligen PDS bzw. der WASG auf einem gemeinsamen Parteitag offiziell die DIE LINKE. Als Tagungsleiterin konnte ich den Vollzug verkünden. Sie ist seither im bundesdeutschen Parteien-Spektrum die drittgrößte Partei. Zu gleichberechtigten Vorsitzenden wurden Lothar Bisky und Oskar Lafontaine gewählt.

1907 fand in Stuttgart ein namhaft besetzter internationaler Sozialisten-Kongress statt. Aus diesem Jubiläums-Anlass hatte ein linkes Bündnis nun, 100 Jahre später, erneut zu einem Sozialisten-Kongress am historischen Ort geladen. Als Schirmfrau eröffnete ich das Ereignis vor rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Saal des Rathauses. Bis September folgten weitere Tagungen.

Juli

Absolventinnen und Absolventen des Touro Colleg Berlin erhielten im Roten Rathaus in Berlin nach erfolgreichem Studium ihre Abschlüsse. Ich war als Vizepräsidentin des Bundestages gebeten worden, die Festrede zu halten. Das Touro-Colleg wurde in den USA als jüdische Schule mit interreligiösem und multikulturellem Anspruch gegründet. Seit 2003 ist es auch in Berlin ansässig.

Gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung führte die Fraktion DIE LINKE ein Kolloquium über die „neue Hauptstadt-Frage“ durch. Berlin wurde mit der Föderalismusreform I im Grundgesetz als Hauptstadt ausgewiesen. Nach wie vor aber ist unklar, was das politisch, kulturell oder finanziell bedeutet. Ich gab einen historischen Überblick über die deutschen Hauptstadt-Debatten seit 1949.

Im Bundeskanzleramt fand der II. Integrations-Gipfel statt. Zuvor stellte ich gemeinsam mit meiner Kollegin Sevim Dagdelen (DIE LINKE) das Integrations-Konzept unserer Fraktion „Für ein gleichberechtigtes und solidarischen Miteinander“ vor. Erneut lehnte ich das Unions-Konstrukt einer deutschen Leitkultur ab und forderte stattdessen eine neue Einwanderungskultur.

August

Zum 10. Mal fand im Berliner 6#132;Volkspark Friedrichshain“ das „lesbisch-schwule Parkfest“ statt. Ein kleines Jubiläum und so feierten Tausende rund um die Freilichtbühne. DIE LINKE-Berlin und die linke Arbeitsgemeinschaft „Queer“ waren erneut mit einem Informationsstand vor Ort. Auch ich hatte wieder zahlreiche Gespräche mit Teilnehmern, Verbänden und Vereinen.

Seit 1969 lädt der Senat ehemalige Berlinerinnen und Berliner nach Berlin ein, die in der NS-Zeit zwischen 1933 und 1945 emigrieren mussten, um ihr Leben zu retten. Als Vizepräsidentin des Bundestages empfing ich 50 dieser Gäste im Parlaments-Viertel. Leider lieferten wieder auch ausländerfeindliche Ereignisse in der Bundesrepublik Deutschland aktuellen Gesprächsstoff.

Eine Regierungsdelegation unter Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und eine Gruppe Abgeordneter reisten gemeinsam in die Volksrepublik China und nach Japan. In beiden Ländern führte ich Gespräche mit Parlamentariern bzw. Parteivorsitzenden. Peking, Nanjing, Tokio, Kyoto und Osaka waren die einzelnen Stationen, inklusive ein Kurzbesuch bei der Leichtathletik-WM.

September

Das American Jewish Commitee hatte mich in sein Berliner Büro eingeladen, um über Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu sprechen. Ich erläuterte den Damen und Herren, einige waren aus New York angereist, meine Sicht. Dazu gehört, dass im bundesweiten Schnitt stündlich 2 ½ rechtsextreme Straf- und täglich 2 ½ rechtsextreme Gewalttaten registriert werden.

In Berlin demonstrierten 18.000 Leute für „Freiheit statt Überwachung“. Es war die größte Bürgerrechts-Demonstration seit der Wende in der DDR. Aktuellen Anlass bot die geplante Vorratsspeicherung aller Telekommunikations-Verbindungsdaten. Die Unions-Parteien und die SPD beschlossen sie dennoch. Dagegen wird derzeit eine Klage beim Bundesverfassungsgericht vorbereitet.

„Ungleich und dennoch gleich“ war ein Verfassungs-Kolloquium der Links-Fraktion im Brandenburger Landtag überschrieben. Ich sprach über das Verhältnis von sozialen Rechten zu Bürger- und individuellen Freiheits-Rechten. Ein Thema, das innerhalb der Partei DIE LINKE als strittig gilt und auch als ungeklärt in ihren programmatischen Eckpunkten ausgewiesen wird.

Oktober

Rund 50 Unternehmerinnen und Unternehmer kamen zum Unternehmer-Frühstück der Linkspartei Marzahn-Hellersdorf ins Schloss Biesdorf. Ich hatte dazu eingeladen. Mit Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf (DIE LINKE) wurden Themen, wie der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor, die Kredit-Politik der Invest-Bank und die Verkehrsanbindung Nord-Berlin diskutiert.

In Hannover fanden die „10. Hannah-Arendt-Tage“ statt. „Die Krise der politischen Repräsentation“, so war die Tagung provokant überschrieben. Ich bejahte in meiner Rede den Befund und ich beschrieb fünf mögliche Ursachen dafür - subjektive und objektive. Es geht sogar um eine Krise der Demokratie und dagegen, so meine These, hilft nur „mehr Demokratie wagen“.

Im Berliner „Karl-Liebknecht-Haus“, dem Vorstandssitz der Partei DIE LINKE, gründete sich das „Forum Demokratischer Sozialismus“ neu. Das war nötig, da mit der Parteibildung im Sommer 2007 auch eine neue Satzung beschlossen wurde. Ich gehörte zu den Befürwortern eines solchen Gremiums der Partei DIE LINKE. Es ist als Netzwerk auch offen für Nichtmitglieder der Linkspartei.

November

Mein Kollege Bodo Ramelow hat ein Buch „Die Akte Ramelow“ herausgegeben. Es dokumentiert, wie er als Abgeordneter und das DIE LINKE als Bundestags-Fraktion systematisch vom Verfassungsschutz observiert wird. Auch ich bin als Parlamentarierin und Vizepräsidentin des Bundestages weiterhin im Visier deutscher Geheimdienste. Das belegen die mir vorliegenden Akten-Auszüge.

Der Bundestag beschloss, ein Denkmal für „Einheit und Freiheit“ zu errichten. Es soll in Berlin stehen und an die deutsche Einheit 1990 erinnern. Meine Bedenken habe ich - wie öfter - in einer „Aktuellen Notiz“ festgehalten, nachlesbar auf meiner Webseite. Eine baldige Angleichung, z. B. der Renten und Löhne - Ost an West - lehnte der Bundestag indes wenig später ab.

1992 begingen Rechtsextremisten zwei rassistische Brandanschläge in Mölln (Schleswig-Holstein) auf Häuser, in denen Familien türkischer Herkunft wohnten. Zwei Mädchen und ihre Großmutter verbrannten damals. Schlagzeilen überall. Nach 15 Jahre gab es nun eine Veranstaltung des Gedenkens. Ich nahm als Vize-Präsidentin des Bundestages daran teil. Man darf nicht vergessen lassen.

Dezember

Gemeinsam mit Helmut Kuhn habe ich in Berlin sein neuestes Buch „Arm, reich - und dazwischen nichts?“ vorgestellt. Es beschreibt faktenreich, und es illustriert mit nahegehenden Schicksalen: Die Gesellschaft wird polarisiert. Ich gab dem Buch drei Wünsche mit: Alle Abgeordneten mögen es erhalten, obendrein lesen und dann - wie im Märchen - den Zauberspiegel befragen.

Dem Bundestag wurden zwei Petitionen übergeben. Ich nahm sie, gemeinsam mit anderen Abgeordneten, entgegen. Die eine fordert ein erneutes NPD-Verbotsverfahren. Die zweite begehrt die Abschaffung der „Zwangsverrentung“. Zwangsverrentung bedeutet, dass Langzeitarbeitlose vorzeitig in Rente geschickt werden sollen, dafür aber zeitlebens weniger Rente erhalten.

Derzeit ist nur der Landesverband Berlin der Linkspartei in Regierungs-Verantwortung. Das bescherte der Berliner Linken manche innerparteiliche Kritik und auch viele Gerüchte. Erstmals bekannten sich nun in einem gemeinsamen Brief an alle Partei-Mitglieder Lothar Bisky, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine kritisch-positiv zu den Ergebnissen der Berliner Linkspartei.

PS: Auch zu diesem Neujahr (Ost) oder an diesem Neujahr (West) ermutige ich wieder alle, denen ich bei meinen politischen „Ausflügen“ nach Nord und Ost und Süd und West 2007 begegnet bin: bitte weiter einmischen:

also in Bernau, Bernburg, Bremen, Dahlewitz, Dessau, Dortmund, Erfurt, Frankfurt a. M., Fretzdorf, Gadebusch, Gießen, Göttingen, Hamburg, Hannover, Hermsdorf, Joachimstal, Karlsruhe, Kleinow, Klosterfelde, Köln, Lauterbach, Lindau, Lübeck, Magdeburg, Mölln, München, Neustrelitz, Potsdam, Rostock, Schwerin, Stuttgart, Weimar, Wittstock und natürlich in Berlin und allemal in Marzahn-Hellersdorf.
 
Mit solidarischen Grüßen
Petra Pau,
30. 12. 2007

 

 

30.12.2007
www.petra-pau.de

 

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