Ein authentischer Ort und ein authentisches Schicksal

Rede von Petra Pau zur Benennung eines Platzes und einer Straße nach Otto Rosenberg in Berlin-Marzahn
16. Dezember 2007

1. 

Unser aller Fanatasie dürfte nicht ausreichen, um das nachzuvollziehen, was an diesem Ort in Marzahn seinen Anfang nahm. Tausende Sinti und Roma wurden hier interniert und zur Arbeit gezwungen, ehe sie ihre Odyssee in die faschistischen KZ' antreten mussten. Die meisten überlebten das nicht. Sie sollten es nicht überleben.
 
Sie wurden umgebracht, nur weil sie Sinti und Roma waren. So wie Jüdinnen und Juden umgebracht wurden, eben weil sie Jüdinnen und Juden waren. So wie Menschen mit Behinderungen umgebracht wurden, weil auch ihnen erst das Deutschsein und dann das Menschsein abgesprochen wurde.
 
Otto Rosenberg hat die Tortour durch die Vernichtungslager der Nazis - wie durch ein Wunder - überlebt. Er war ein Bub, 9 Jahre alt, als sie begann. Und er war ein seelisch abgestumpfter und körperlich gebrochener Mensch, als er 1945 befreit wurde. Äußerlich befreit. Denn die Wunden im tiefsten Inneren blieben.
 
Erst 40 Jahre danach fand er die Kraft, seine Geschichte, die 1936 auf dem so genannten Zigeuner-Rastplatz Marzahn begann, zu erzählen. So bleibt sie lesbar, aufgeschrieben von Ulrich Enzensberger und als Buch „Das Brennglas“ vom Eichborn-Verlag herausgegeben. Otto Sander wird nachher im Schloss Biesdorf daraus lesen.

2. 

Niemand, der hier geschäftig vorbei eilt, ahnt, was dereinst geschah. Es hätte auch keinen Sinn, wenn die Nachgeborenen gebückten Hauptes über diesen Platz hinweg des Weges schritten. Aber in einer Stunde der Muße sollen sie wahrnehmen können, was alles möglich wurde und werden kann, wenn der Mensch kein Mensch mehr ist.
 
Auch deshalb benennen wir heute diesen Platz nach Otto Rosenberg. Es ist ein authentischer Ort und es ist ein authentisches Schicksal. Für mich ist es auch eine Erinnerung an ein Versprechen der Gegenwart, das noch immer nicht eingelöst ist. Wir haben im Herzen Berlins noch immer kein Denkmal an die systematische Ermordung der Sinti und Roma.
 
Und es droht Ungemach. Derzeit wird im Bund und in mehreren Bundesländern an Gedenkstätten-Konzepten gearbeitet. Vor Kurzem gab es dazu im Bundestag eine Anhörung. Der Ton, den ich dabei wahrnahm, und die Gewichtungen, die dabei deutlich wurden, die ließen bei mir und anderen die Alarm-Glocken läuten.
 
Nicht nur unterschwellig war zu vernehmen: Für das Gedenken an die Gräuel der NS-Zeit habe die Bundesrepublik Deutschland viel und hinreichend getan. Nun müsse man sich stärker dem DDR-Unrecht widmen. Im Freistaat Sachsen hat der Zentralrat der Juden deshalb bereits die weitere Mitarbeit am Gedenkstätten-Konzept aufgekündigt.

3. 

Otto Rosenberg hatte und auch Petra und Marianne Rosenberg dürften etwas andere Erfahrungen haben, als jene, die "viel und hinreichend getan" haben wollen. Und meine Erfahrung als Innenpolitikerin spricht ebenso klar gegen dieses vergiftete Selbstlob. Wir dürfen der Relativierung der NS-Verbrechen nicht einmal ein Türchen öffnen.
 
Dazu gehört auch: Wer DDR-Unrecht mit dem NS-Regime gleichsetzt, der klärt nicht auf, der verklärt und verharmlost. Ich gelte für viele meiner Parteifreundinnen und -freunde als scharfe Kritikerin der DDR. Dafür werde ich zuweilen harsch und prominent angeprangert. Das halte ich aus, weil ich als Demokratische Sozialistin Ideale habe.
 
Zu meinen Erfahrungen gehört auch, dass der geplante und weitgehend praktizierte Völkermord des NS-Regimes an den Sinti und Roma in der DDR-Erinnerungs-Kultur kaum vorkam. Das legitimiert aber keine Gleichsetzung der DDR mit der NS-Zeit. Das provoziert vielmehr einen Vergleich der historischen Versäumnisse der DDR und der BRD.
 
In Marzahn und in Hellersdorf wurde seit 1990 versucht, Erinnerungs-Lücken zu schließen. Victor Klemperer, Nikolai Bersarin und nun heute Otto Rosenberg sind nur einige Namen, die jüngst ins Stadtbild des Bezirkes aufgenommen werden. Es möge helfen, sie, unsere Geschichte und Zukunft tausendfach in nachdenkliche Erinnerung zu bringen.
 

 

 

16.12.2007
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

 

Lesbares

 

Startseite