Drei Wünsche für ein Buch
Rede von Petra Pau zur Präsentation des Buches Arm, Reich - und dazwischen nichts? von Helmut Kuhn
Berlin, 6. Dezember 2007
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Die Wege von Helmut Kuhn und meine haben sich bereits gekreuzt, bevor wir uns begegnet sind. Helmut Kuhn hat gemeinsam mit Murat Kurnaz dessen Erlebnisse als unschuldiger Insasse im USA-Lager Guantanamo aufgeschrieben. Das Buch heißt Fünf Jahre meines Lebens.
Zur selben Zeit habe ich versucht, im so genannten BND-Untersuchungs-Ausschuss des Bundestages Licht ins Dunkel des Anti-Terror-Kampfes zu bringen. Auch da ging es auch um Murat Kurnaz. Aber vor allem ging es um die Verantwortung deutscher Politiker.
Und bei allem, was ich weiß, hat die Bundesregierung dabei eine sehr unrühmliche Rolle gespielt, namentlich auch Frank-Walter Steinmeier. Er war damals Kanzleramts-Chef. Heute ist er Bundes-Außenminister und er wird inzwischen als Hoffnungsträger der SPD gehandelt.
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Heute geht es um das Buch von Helmut Kuhn Arm, Reich - und dazwischen nichts?. Es ist übrigens die dritte Buchvorstellung binnen sechs Monaten, bei der ich namentlich eine Rolle spiele. Das überrascht mich selbst und ich will ihnen gerne erzählen, warum.
Erst präsentierte Hubertus Knabe sein Buch Die Täter sind unter uns. Als Kronzeugin für seine These, dass die LINKE zu unkritisch mit der Geschichte der SED umgehe, brachte er mich ins Spiel. Ich war bei der Vorstellung nicht dabei. Aber ich taugte offenbar als Werbeträgerin.
Kürzlich stellte Hans Modrow sein Buch In historischer Mission... vor. Diesmal wurde ich als Kronzeugin für einen zu kritischen Umgang mit der DDR benannt. Seither grübele ich, wieso sich die Gegenpole Hubertus Knabe und Hans Modrow ausgerechnet auf mich berufen.
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Das Buch, um das es heute geht, stelle ich indes gerne vor. Schon der Titel hatte mich gereizt. Nicht das Arm und nicht das Reich. Darüber gibt es inzwischen unzählige Bücher. Das dazwischen nichts, das hat mich interessiert, weil mich diese Lücke seit längerem bewegt.
Allerdings: Beim Lesen des Buches stieß ich wieder auf eine Passage, die mich empörte. Sie spielt auf der Insel Sylt. In einem Gespräch zwischen zwei Super-Reichen meint der eine, man müsse Deutschland schnellstens verlassen. Denn alsbald drohe politisch Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün.
Wörtlich: Das nächste mal ziehen die Sozen keinen Schröder aus dem Hut, sondern Nahles und Konsorten. Dagegen ist die Pau ein harmloses Rotkäppchen. Lieber Herr Kuhn, nehmen sie das zurück. Vielleicht gehört Andrea Nahles zu den Konsorten. Aber eine Linke ist sie nicht.
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Nun zu einer Kern-Botschaft des Buches. Dass die Reichen immer reicher und die Armen immer zahlreicher werden, das weiß man. Die Armen sind im Alltag immer mehr erlebbar. Die Reichen bilden ihre eigene Gesellschaft. Auch das wird im Buch gut beschrieben.
Früher, so schreibt Helmut Kuhn, gab es eine geheiligte Rangfolge: Kaiser, König, Edelmann, Bürger, Bauer, Bettelmann. Kuhns Bild und seine These: Die Bürger und Bauern verschwinden. Es gibt heute, im 21. Jahrhundert, immer weniger die Bürger-Bauer-Mittelschicht.
Früher sprach man auch von den oberen Zehntausend und vom unteren Drittel. Dazwischen rangierten der VW-Arbeiter, der Siemens-Ingenieur, der Gymnasial-Lehrer, später der Computer-Freak. Dieses Dazwischen löst sich auf. Es gibt zunehmend nur noch Oben und Unten.
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Das ist natürlich ein soziales Problem. Aber es ist noch viel mehr. Die Mittelschicht hat eine gesellschaftliche Funktion, egal, ob bewusst oder unbewusst. Sie, und nur sie, kann alltägliche Brücken nach oben und unten schlagen. Fehlen sie, dann klafft ein Loch inmitten der Demokratie.
Dann gibt es nämlich keinerlei Kommunikation mehr zwischen Oben und Unten. Ackermänner und Hatz-IV-Empfänger haben sich nichts zu sagen. Sie leben an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Welten. Eine Demokratie ohne Kommunikation aber ist undenkbar.
Das ist die gesellschaftliche Sprengkraft. Sie wird bisher weitgehend ausgeblendet. Helmut Kuhn blendet sie ein. Das ist ein Verdienst seines Buches. Sein Zweites: Er nimmt die Politik wieder in die Verantwortung, aus der sie zunehmend flieht. Er schreibt wider den neoliberalen Zeitgeist.
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Helmut Kuhn bietet eine Fülle von Zahlen, Fakten, Analysen. Das machen viele. Sein drittes Verdienst aber ist: Er haucht ihnen anhand tatsächlicher Schicksale Leben ein. Ich empfehle Ihnen das Kapitel über den Auto-Händler und Kfz-Mechaniker Klaus Gunsch aus Bayern.
Als ich es las, fiel mir übrigens eine Episode aus dem Bundestag vom 19. Dezember 2003 ein. Nachts hatte der Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat getagt. Es ging um Hartz IV. Erst in den Morgenstunden bekamen wir das 600-seitige Ergebnis ausgehändigt.
Gesine Lötzsch und ich forderten eine Verschiebung der Abstimmung. Ein CSU-Kollege beschimpfte uns dafür als gottlose Typen. Hartz IV wurde beschlossen, obwohl fast niemand wusste, was er oder sie tat. Aber die Zeit drängte. Die Heilige Weihnacht stand vor der Tür.
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Auch die kurze bundespolitische Debatte über das so genannte Prekariat findet sich im Buch wieder. In dieser Passage taucht sogar der Name eines großen Deutschen auf, der im deutschen Boulevard-Alltag längst von Dieter Bohlen oder Boris Becker in den Schatten gestellt wird: Karl Marx.
Aber nicht deshalb erinnere ich an diese Episode. Sondern: Die Friedrich-Ebert-Stiftung hatte 2006 eine Studie vorgestellt und darin vor einer Zunahme des Prekariats gewarnt. Das wiederum rief die CDU/CSU auf den Plan. Sie befand: Schuld war die Politik von Rot-Grün!
Die SPD-Linke konterte: Schuld ist Kanzler Schröder!. Daraufhin beschied Franz Müntefering: Es gibt gar kein Prekariat. Damit war die Debatte beendet. Das Problem aber ist geblieben. Helmut Kuhn beschreibt es in seinem Buch sehr plastisch. Ich empfehle es Ihnen und vielen.
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Abschließend: Im Märchen hat man zuweilen drei Wünsche frei. Die habe ich für dieses Buch auch. Mein erster Wunsch: Es möge - wie auch immer - auf dem Gabentisch aller Abgeordneten des Bundestages landen. Mein zweiter Wunsch: Sie sollten es obendrein auch lesen.
Und mein dritter Wunsch: Die 650 Abgeordneten treten hernach alle vor ihren Zauber-Spiegel und fragen: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer sind die Besten hier im Land? Und wie im Märchen von Schneewittchen sagt der Spiegel dann die ungeschminkte Wahrheit.
Das Buch hält uns allen einen Spiegel vor. Helmut Kuhn belegt faktisch und nüchtern, er schildert authentisch und lebensnah:
Für immer mehr Menschen wird es immer prekärer.
Es schrieb ein Buch gegen die übliche politische Lobhudelei.
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