„100 Jahre Sozialisten-Kongress“

Eröffnungsrede von Petra Pau, Stuttgart, 29.Juni 2007

1. 

Ich begrüße alle Anwesenden und ich danke, dass ich eingangs ein paar Gedanken vortragen kann. Sollte allerdings jemand hier sein, der bereits im August 1907 am Internationalen Sozialistenkongress in Stuttgart teilgenommen hatte, dann verzichte ich sofort zu ihren oder zu seinen Gunsten auf das Privileg, das Jubiläum eröffnen zu dürfen.
Da das unwahrscheinlich ist, habe ich mir vorab gedacht: Was hätte sie oder er wohl gesagt. Möglicherweise das: „Wisst ihr, ihr Jungen: Damals war hier wirklich was los. 60.000 waren auf der Straße und alle großen Linken waren in Stuttgart. Gut, so mancher Name wurde erst später groß. Aber sie waren hier. Schauen wir mal, wie sich das heute entwickelt.
Wobei: Heute sind vielleicht 60.000 im Stadion beim VfB. Dabei stehen noch immer dieselben ungelösten Fragen auf der Tagesordnung - die heißt heute wohl Agenda. Aber egal, es sind dieselben Fragen wie vor 100 Jahren: Wie schaffen wir eine gerechte und friedliebende Welt, ohne Krieg und Ausbeutung?“ Das würde sie oder er vielleicht sagen.
Ich füge hinzu: Deshalb treffen wir uns jetzt auch nicht zu einer historischen Konferenz, im bloßen Rückblick, ein Jahrhundert danach. 2007 ist nicht 1907. Wobei, eines ist geblieben: Nichts wird verschenkt, jedenfalls nicht an die Armen und Bedürftigen. Man muss es erkämpfen, damals und heute. Bloß wie, das ist die immer währende Frage.

2. 

Bei unserer Suche nach Zukunft sollten wir eines nie vergessen. Zwischen 1907 und 2007 gab es einen historischen Großversuch. Ich war Teil des Versuchs, ich habe ihn mitgetragen und mitverloren. Der real-existierende Sozialismus sowjetischer Prägung hat sich als historische Sackgasse erwiesen. Seither bin ich skeptisch, wenn mir ähnliches empfohlen wird.
Als Lehre aus den real-existierenden Defiziten der DDR bin ich eine überzeugte Demokratin geworden. Und aus 17 Jahren Erfahrung mit der real-existierenden BRD bin ich eine überzeugte Sozialistin geblieben, vielleicht auch erst geworden. Auch deshalb sage ich: Selbst wenn die Fragen die alten sind, wir brauchen dennoch neue Antworten.
Ich sage aber auch: Nicht jeder, der neue Antworten bietet, löst die alten Fragen nach Frieden und Gerechtigkeit. „Wir sind das Original“ hatte die SPD vorige Woche auf ihrem Zukunftskongress plakatiert und Kurt Beck hat es reklamiert. Es muss Gründe geben, warum Millionen die derzeitige SPD für eine Kopie halten, die niemand mehr erkennt.

3. 

Auch deshalb bedaure ich es, dass es nicht gelungen ist, mehr aktive Sozialdemokraten und linke Grüne für die Veranstaltungen „100 Jahre Sozialisten-Kongress“ zu gewinnen. Vielleicht lag es an der aktuellen Aufgeregtheit, vielleicht auch an tief sitzenden Enttäuschungen. Aber ohne offene, gemeinsame Debatten wurde es nichts und wird es nichts.
Gerade deshalb macht sich ja die aktuelle SPD-Führung so lächerlich: „Nie mit der LINKEN, nie im Bund und nie im Westen“, schwört sie. Ich weiß aus Erfahrung: Wer so viel Nie als Krücke braucht, ist schon im Fallen. Und aus eigener Erfahrung weiß ich auch: Parolen sind kein Politik-Ersatz. Deshalb wünsche ich dem Kongress viele Ideen.
Es gibt übrigens zwischen dem Sozialisten-Kongress 1907 und heute noch eine Gemeinsamkeit: Die Zahl „8“! Damals kämpfte die Arbeiterschaft um den Acht-Stunden-Tag. Heute kämpft DIE LINKE um einen Mindestlohn von 8 Euro je Stunde. Auch dabei ist der Hintergrund immer noch derselbe: „Von Arbeit muss man Leben können!“
 

 

 

29.6.2007
www.petra-pau.de

 

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