In Ferne nah

Matinee für Helke Sander in der Akademie der Künste
Grußwort von Petra Pau
Berlin, 1. April 2007

Als ich das erste Mal gefragt wurde, ob ich mir denn vorstellen könne, heute hier her zu kommen und etwas über und für Helke Sander zu sagen, da fielen mir meine in der DDR erworbenen Bibel-Kenntnisse ein. Ich dachte an die viel zitierte Jungfrau mit ihrem Kind.

Natürlich sagte mir der Name Helke Sander etwas. Schließlich bin ich inzwischen seit über 16 Jahren bundesdeutsche Neu-Bürgerin. Und im Gegensatz zum durchschnittlichen Wessi hat das gelernte Ossi noch so etwas wie Gier auf Neues, also Neugier.

Womit ich ein klassisches Klischee bedient habe. Etwa von der Güte: Ossis sind freier und besser beim Sex. Denn Helke Sander ist geradezu ein Beleg für gute Neugier. Ihr ganzer Schaffensweg wäre undenkbar, wenn er nicht von Fragen und Zweifeln gepflastert wäre. So war sie mir in Ferne nah.

Aber für eine ultimative Lobhudelei, wie sie bei Jubiläen zuweilen erwartet wird, bin ich nun wirklich die Falsche. Dafür fehlt mir das Wissen und obendrein die Lust. Also habe ich das gemacht, was heutzutage Standard ist: Ich habe im Internet gegoogelt.

Ich wollte wissen, ob es etwas Aktuelles gibt, bei dem wir übereinstimmen, und ob es etwas Aktuelles gibt, über das wir streiten könnten. Und ich wurde fündig. Übereinstimmung fand ich zum Beispiel beim Thema Bildung und Fernsehen. Zwei Wörter, die irgendwie nicht zusammenfinden.

Übereinstimmung fand ich auch beim Reiz-Thema „Eva Herrmann“. Sie ist der hoch dotierte Beleg dafür, dass wir in der gesellschaftlichen Debatte schon Mal weiter waren. Auch hier gebe ich Heiner Müller Recht, der 1990 meinte: „Jetzt stecken wir bis zum Hals im Kapitalismus!“

Und dann fand ich einen unveröffentlichten Beitrag von Helke Sander zur deutschen Leitkultur. Friedrich Merz hatte gerade wieder aufgewärmt, was Jörg Schönbohm schon vor ihm angerührt hatte. Damals gab es im Feuilleton der „Berliner Zeitung“ eine umfangreiche Kontroverse dazu.

Nun las ich also, liebe Helke Sander, dass Sie dem Begriff „deutsche Leitkultur“ und vor allem der Debatte darum durchaus was Gutes abgewinnen können. Und so freue ich mich auf eine schöne Kontroverse, denn ich bin in dieser Frage komplett anderer Meinung.

Schönbohm hatte 1998 übrigens die "Leitkultur" als Geschütz gegen die Linke im Allgemeinen und gegen die 68er im Besonderen eingeführt, die allesamt nur Unheil über Deutschland bringen würden. Und er hat „Leitkultur“ stets als Assimilations-Vorgabe für Migrantinnen und Migranten aufgefasst.

Und das wiederum schlägt inzwischen seltsame Blüten. So wurde in Baden-Württemberg ein Fragebogen für Migrantinnen und Migranten entwickelt. Demnach sollen es Muslima schau finden, wenn ihr Sohn schwul ist. Und Muslime sollen sich freuen, wenn sie endlich eine Frau zur Chefin haben.

Seither frage ich mich: Was haben die Schwaben gegen den deutschen Papst. Denn Benedikt XVI. würde nie eine Frau über sich dulden. Und über einen schwulen Sohn darf er sich auch nicht freuen, jedenfalls nicht offiziell. Damit will ich es zu diesem Thema bewenden lassen.

Überhaupt wurde ich gebeten, nicht länger als fünf Minuten zu reden. Und so komme ich zu meinem Schluss-Satz. Und der heißt schlicht, aber herzlich: Ich gratuliere zum 70. Geburtstag und ich wünsche - liebe Helke Sander - ein reges und bewegendes achtes Jahrzehnt.
 

 

 

1.4.2007
www.petra-pau.de

 

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