Die Bundesrepublik Deutschland braucht eine neue Linke

Rede von Petra Pau auf der Landesseniorenkonferenz in Mecklenburg-Vorpommern
Teterow, 17. Mai 2006

1. 

Neue Linke
Wir haben im vorigen Jahr einen erfolgreichen Wahlkampf geführt. Seitdem gibt es im Bundestag wieder eine starke LINKE und zwar so stark, wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. 53 LINKE im Bundestag, so viel Links war dort nie, nicht so viel Hoffnung, auch nicht so viel Erwartung. Und daran müssen wir anknüpfen.
Die Fraktion DIE LINKE ist ein Vorgeschmack auf das, was wir noch gemeinsam vorhaben und was trocken „Parteibildungs-Prozess“ heißt. Allerdings ist dieses Vorhaben alles andere als trocken. Schon gar nicht in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern, aber wem sage ich das. Deshalb will ich Euch noch einen kleinen Einblick in die Fraktion geben.
53 Mitglieder, das sind natürlich auch 53 Charaktere, das sind mehr Wessis als Ossis, Gewerkschafter und Marxisten, Urbayern und Kurdinnen, Parlamentarier und Diäten-APOs, Show-Master und Street-Fighter, Welt-Leser und junge-welt-Schreiber. Glaubt bitte nicht, das wäre alles einfach. Aber wir raufen uns zusammen - durchaus mit Erfolg.

2. 

Mini-Bilanz
Wir hatten im Wahlkampf einen gesetzlichen Mindestlohn gefordert. Das sei Unsinn und auch nicht machbar, hieß es damals. Inzwischen denken alle Parteien im Bundestag über einen gesetzlichen Mindestlohn nach und wir sind im Bündnis mit den Gewerkschaften. Das ist ein Fortschritt und ich bitte Euch: Unterstützt unsere Mindestlohn-Kampagne nach Kräften.
Wir hatten im Wahlkampf ein Investitions-Programm zur Stärkung des Binnenmarktes gefordert. Das sei Unsinn und nicht bezahlbar, hieß es damals. Inzwischen gibt es ein solches Programm. Es ist schwächer als das, was wir für nötig halten und wollen. Aber es ist ein Fortschritt gegenüber dem, was wir vordem hatten.
Wir hatten im Wahlkampf eine Vermögenssteuer gefordert. Das sei Unsinn und purer Neid, hieß es damals. Inzwischen denkt auch die große Koalition über eine so genannte Reichensteuer nach. Sie ist nicht das, was wir wollen und was gerecht wäre. Aber auch das zeigt: "Links wirkt", um einen Slogan der Grünen aufzugreifen, und das müssen wir ausbauen.

3. 

Strategische Option
Das hat natürlich auch was mit den bevorstehenden Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern zu tun. Ich will mal aus Bundessicht beschreiben. Die Unions-Parteien und die SPD haben im Bundestag eine riesengroße Mehrheit. Das ist gefährlich. Und sie dominieren den Bundesrat, die zweite Kammer. Auch das ist fatal.
Und deshalb müssen wir uns die Frage stellen und beantworten: Wie können wir diese gefährlichen und fatalen Mehrheiten brechen? Die CDU hat es uns vorgemacht: Sie hat über Wahlerfolge eine Landesregierung nach der anderen okkupiert und dadurch die Mehrheiten im Bundesrat in ihrem Sinne und zu ihren Gunsten verändert.
Wir Linke wollen eine andere Politik. Dafür brauchen wir aber neue Mehrheiten. Und daran müssen wir strategisch arbeiten. Die Länder, in denen die Linkspartei.PDS mitregiert, waren die einzigen, die „Hartz IV“ im Bundesrat abgelehnt haben. Das waren zu wenig. Also müssen es mehr werden. Dafür werbe ich bei allen bevorstehenden Wahlen.

4. 

Demokratie und Bürgerrechte
Nun komme ich zu meinen Spezial-Themen. Als ich zur Vize-Präsidentin des Bundestages gewählt wurde, habe ich klargestellt: Ich will keine Frühstücks-Direktorin sein, ich werde eine politische Vize-Präsidentin sein, meine Themen daher bleiben: Bürgerrechte, mehr Demokratie und der Kampf gegen den Rechtsextremismus.
Und wie nötig das ist, zeigen ja die aktuellen Medien-Themen. Der BND hat Journalisten bespitzelt und er hat Journalisten angeheuert, um andere Journalisten zu bespitzeln. Das ist ein Verstoß gegen die Medienfreiheit. Das ist ein klarer Verstoß gegen Bürgerrechte. Das ist ein Affront gegen das Grundgesetz. Das dürfen Linke nicht hinnehmen.
Aber das ist kein Einzelfall. Bürgerrechte werden systematisch verletzt und zwar von Amts wegen und per Gesetz. Nehmen wir den Datenschutz. Mit „Hartz IV“ wurde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - so heißt der Fachbegriff - für Millionen außer Kraft gesetzt. Sie müssen bis zu 180 persönliche und familiäre Daten Preis geben.
Was ja nicht anderes heißt, als: Wer arm dran ist, verliert auch noch seine Bürgerrechte. Beschlossen von der SPD und beschlossen von den Grünen. Und die CDU will nun die nächste Daten-Hatz auf Langzeit-Arbeitslose eröffnen. Das dürfen wir nicht hinnehmen, wir müssen dagegen sensibilisieren und mobilisieren, mit politischen Alternativen.

5. 

Soziale Grundsicherung
Wir fordern seit langem eine soziale Grundsicherung für jede und jeden. Gelegentlich streiten wir über die Höhe, 1.200 € oder 1.400 € im Monat. Das ist wichtig, aber zweitrangig. Wir haben gute Sozial-Politikerinnen und -Politiker, die sich dazu auseinandersetzen und einigen können. Ich werbe als Innenpolitikerin für eine soziale Grundsicherung.
Denn hätten wir eine soziale Grundsicherung für alle, dann entfiele der immense Datenklau. So, wie es ist, haben wir aber einen demokratisch kreuzgefährlichen Zustand. Wer arm dran ist, wird auch noch seiner Bürgerrechte beraubt. Das will ich nicht. Und deshalb sage ich auch zu aktuellen Werbe-Slogans: „Nein, dieses Deutschland bin ich nicht!“
Und zugleich bitte ich Euch: Seid immer offen für potentielle Partner, die ähnliches wollen und sich deshalb noch lange nicht als Linke bezeichnen würden. Entscheidend ist nicht das Etikett. Wichtig ist, was hinten raus kommt. Und zwar weniger für uns, die Linkspartei.PDS, sondern mehr für die Betroffenen einer unsozialen Politik.

6. 

Partner wahrnehmen
Vor Jahren gab es eine "Initiative aus Hannover", der Heimat-Stadt des damaligen Bundes-Kanzlers. Es waren allesamt Millionäre. Sie fühlten sich untersteuert. Sie warben für eine gerechte Besteuerung. Sie forderten eine Vermögenssteuer. Ich finde: Man muss sie nicht für die Linkspartei.PDS missionieren. Man muss einfach zusammen arbeiten.
Aktuell gibt es einen Vorstoß eines großen Unternehmers. Er ist Chef der Drogerie-Kette „dm“. Und er wirbt für eine soziale Grundsicherung für jede und jeden. Genau betrachtet, sogar für ein Recht auf Faulheit. Er ist mit seinen Überlegungen näher bei Marx, als er einräumt. Vielleicht ist sein visionäres Konzept auch so nicht lebensfähig. Aber immerhin.
Mir geht es darum: Wir haben politische Alternativen zur vorherrschenden neoliberalen Politik. Die müssen wir noch besser verbreiten. Wir haben Partner in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Die müssen wir noch besser wahrnehmen. Und wir haben Chancen auf mehr politischen Einfluss. Den dürfen wir nicht partei-egoistisch verspielen.
Und deshalb lasst Euch weder Irre machen, noch verdrießen. Die Bundesrepublik Deutschland braucht eine neue Linke. Und wir werden sie gemeinsam schaffen. Das werden auch 250 Sektierer in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern nicht verhindern. Unser Maßstab bleiben vier Millionen Wählerinnen und Wähler. Ihnen helfen keine Sprüche aus dem Wolken-Kuckucks-Heim. Sie wollen eine andere, mehr linke Politik.
 

 

 

17.5.2006
www.petra-pau.de

 

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