Liebe Retterinnen und Retter des Palastes,
liebe Freundinnen und Freunde Berlins,
ich habe diese Woche in alten Dateien gestöbert. Dabei stieß ich auf einen Artikel, den ich - fast auf den Tag genau - vor zwei Jahren für eine linke Tageszeitung geschrieben hatte.
Er trug die Überschrift: Palast der Republik - kein trotziger Abgesang. Nachdem ich diesen Artikel nun noch mal gelesen hatte, fand ich: Ich sollte ihn hier einfach vortragen. Also tu ich es:
Der Bundestag brauchte eine ganze Minute. Dann stand fest: Der Palast
der Republik soll abgerissen werden. Die Nachrichten meldeten es, ebenso
kurz. Als erstmals Gerüchte die Runde machten, man wolle den DDR-Palast
schleifen, da protestierten spontan Hunderte dagegen, Woche für Woche.
Seither sind zwölf Jahre vergangen. Sie haben das Gebäude getrübt und sie
haben Fragen erhellt. Gerade deshalb gebührt dem Streit um den Palast weit
mehr, als ein nostalgischer Rückblick.
Ich habe den Palast aus verschiedenen Perspektiven erlebt. Als ich
jung war begeistert. Er leuchtete und er versprach Spaß. Später lernte ich
seine Schöpfer kennen, zum Beispiel Prof. Graffunder. Sie gaben mir ein
Gespür für Architektur, Stadtgestaltung, Baugeschichte und andere politische
Zusammenhänge.
Das öffnete mich auch für Gegenargumente. Etwa: Das Schloss
sei ein Anker für alle historischen Bauten im Umfeld, vom Lustgarten bis
Unter den Linden. Das ließ mich bedenken, aber es überzeugte mich nicht.
Gleichwohl: Je umstrittener der Palast wurde, umso mehr zog er Debatten,
Sichten, Probleme auf sich. Und das war gut.
Von Anfang an war viel Ideologie im Spiel, Ostalgie und Westalgie,
Missdeutungen und Misstrauen. Der Palast-Streit spiegelte Stimmungen und was insgesamt im deutsch-deutschen Einigungsprozess verquer lief. Er wurde zum umkämpften Symbol. Ob Arbeitslosigkeit oder Weltfrieden, ob Bürgerwille oder Kapitalstaat, alles wurde am Rande und am Beispiel der Asbest-Baustelle
ereifert. Es gab Klassenkampf und Kultur, große Politik und kleine Episoden,
Solidarität und Souvenirs.
Nach zehn Jahren Streit versuchte die Berliner PDS aus der blockierten
Debatte auszubrechen. Schloss contra Palast hatte in die Sackgasse
geführt. Vor allem Thomas Flierl und Katrin Lompscher öffneten nun eine neue
Perspektive. Sie rückten die Spree-Insel und den Schloss-Platz ins Blickfeld
und fragten: Was soll hier Gestalt gewinnen? Welche Hoffnung trägt? Welche
Spannung lässt sich im magischen Dreieck mit dem Regierungsviertel und dem
Potsdamer Platz entwickeln? Es war ein offenes Konzept, ein einladendes, ein
demokratisches.
Die Idee lief auf ein Areal der Bürgerinnen und Bürger hinaus, auf
eine Agora im besten Sinne, alternativ, staatsfern, demokratisch. Nicht-Regierungs-Organisationen sollten hier Raum greifen, internationale
Kulturen, offene Strukturen, lebendige Bewegungen.
Zugleich fand das Gegenteil wortreiche Anwälte. Die einen wollten den BND, einen Geheimdienst, am Schloss-Platz ansiedeln. Andere warben für eine Privat-Uni, die Eliten aus Nah und Fern anziehen mögen. Selbst die Vision eines öffentlichen Humboldt-Forums im Schlossgemäuer bröckelte, ehe sie stand. Zuletzt gab es Begierden, aber kein Konzept mehr, das wirklich trug.
Derweil drängte insbesondere die CDU auf finale Fakten. Immer mehr
Sozialdemokraten und Grüne beugten sich dem Druck. Prominente, wie
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, sangen crescendo: Ich bau Dir ein
Schloss. Wovon und wofür wurde nachrangig. Andere verweigerten sich
schlicht der Denkarbeit. Sie sprühten, wie Vera Lengsfeld (CDU), ihren Hass
auf die DDR gegen den Palast aus der DDR.
Schließlich entschied sich der Bundestag am 4. 07. 2002 mit großer Mehrheit für eine Architektur in der Kubatour des alten Schlosses. Eine Alternative der PDS-Fraktion wurde abgelehnt. Öffentlich wurde das Votum aus dem Reichstag als Aus für den Palast gehandelt. So war es von vielen auch gemeint.
Nur: Beschlossen war dies nicht, jedenfalls gab der Wortlaut das nicht
her, nicht zwingend. Deshalb erinnerte ich vor kurzem daran: Der Bundestag
hat drei Seiten des Neubaus beschrieben: die West-, die Nord- und die
Süd-Seite. Die Ost-Seite ist offen, was nicht ausschließt, Teile
des Palastes zu erhalten. Eine Option, die nicht ohne Not verworfen werden
sollte. Keine Hintertür zur Verteidigung des Palastes von einst, sondern
ein "Einfallstor" für Lösungen mit Grips.
Gleichwohl verfügte der Bundestag am 13. November 2003 mit klarer
Mehrheit: Der Palast der Republik muss weg. Es gab keine Debatte, kein Pro
und Kontra. Der Abriss wurde bestellt, wie bei der Müllabfuhr. Die Ideologen
hatten obsiegt, das Denken wurde verstummt. Tags darauf griffen nahezu alle
größeren Zeitungen das Thema auf, mit Kommentaren und im Feuilleton. Bei
aller Vielfalt waren sich die Autorinnen und Autoren einig wie selten: Der
Bundestag hat ein politisches Nichts beschlossen, ein hauptstädtisches Loch,
ein Zeugnis geistiger Armut. Ganz zu schweigen von den leeren Kassen im Bund
und im Lande, die jedwede Schloss-Träumer als Hasardeure entlarven.
Auch deshalb schreibe ich keinen trotzigen Abgesang an den Palast.
Ich will mir Mut machen und anderen. Noch steht der Stein des Anstoßes. Er
ist gealtert worden und unattraktiv. Er leuchtet nicht und er verspricht
keinen Spaß. Es sei denn, man hält es mit Brecht, wonach Denken die größte
Lebenslust ist. Ich finde: So lange der Palast wundern, fragen, ärgern
lässt, so lange kann er der Dummheit wehren und spannende Debatte
provozieren: woher kommt die Geschichte, wohin will die Gesellschaft und was
soll die Hauptstadt im Herzen werden.
Das waren meine Gedanken und meine vagen Hoffnungen vom 17. November 2003, unmittelbar nach dem Abriss-Beschluss des Bundestages.
Nun kommen 5 Nachsätze:
Erstens: Der Stein des Anstoßes, der Palast, steht noch. Und so lange er noch steht, werden wir um ihn kämpfen, damit er nicht dümmlich geschleift wird! Denn mit ihm würden spannende Fragen und offene Debatten zerstört. Das kann ein wirklich neues Deutschland nicht wollen. Es wäre fatal.
Zweitens: Nachdem ich mir im November 2003 den Ärger aus der Seele und Mut ins Herz geschrieben hatte, geschah parallel ein Wunder. Kein Wunder von Bern, sondern eine Wunder im neuen Berlin. Es hieß Zwischennutzung und es zog Zigtausende in seinen Bann. Der Palast lebte auf neue Weise auf.
Drittens: Ich kenne viele, die seit 15 Jahren ihr Leben dem Palast gewidmet haben. Und ich habe in den letzten Jahren und Tagen Leute erlebt, denen man weder Ostalgie, noch Provinzgeist unterstellen kann. Diese neue Mischung macht mir Mut. Und dafür danke ich auch allen, die heute gekommen sind.
Viertens: Die Zwischennutzung und das neue Palastbündnis hat längst praktisch widerlegt, was uns gern unterstellt wird. Der Streit um den Palast ist längst kein Streit mehr zwischen Ost und West. Es geht um die Zukunft im gemeinsamen Berlin, es geht um die Zivilgesellschaft im 21. Jahrhundert.
Fünftens: Der Schlüssel liegt im Bundestag. Er muss seinen Abriss-Beschluss revidieren. Ich fand ihn immer falsch. Aber inzwischen ist er auch ohne Grund und Boden. Das hat die Nichtmachbarkeitsstudie von Ex-Minister Stolpe belegt!
Aber meine Erfahrungen aus sieben Jahren Bundestag sagen auch: Man darf die MdBs unter ihrer Kuppel nie allein lassen. Viele neigen zum puren Unsinn.
Daher mein Schluss-Satz:
Ich danke allen, die heute gekommen sind. Ihr macht mir Mut. Den wollte ich euch auch machen. Und ich hoffe sehr, wir - die Freundinnen und Freunde Berlins - werden noch mehr, zu den Stopp-Tagen und überhaupt.
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