Rückblick 2004 – 12 x drei

Zum Jahreswechsel entdecke ich zumeist mein eigenes Webangebot. Schizophren? Mitnichten! Es ist ein zunehmendes Angebot für Neugierige. Es ist auch ein Tagebuch. Und so findet sich im weltweiten Gewebe unter www.petrapau.de so manches wieder, was die Windeseile verdrängen wollte.

Januar

Zu Beginn war ein Wort, waren Wörter, war die Neujahrsansprache des Bundeskanzlers: „Auch Sie ganz persönlich können Konjunkturmotor sein“, mahnte er. „Ihr Vertrauen in die Zukunft entscheidet mit über den Arbeitsplatz Ihres Nachbarn!“ Eine meiner Nachbarn ist langzeitarbeitslos, suizidgefährdet. Erneut, seit „Hartz IV“ ihm Hoffnung und Zukunft abschneidet.

Mitte des Monats geschah „das Wunder von Berlin“. Die PDS im Bundestag, also Gesine Lötzsch und ich, wir bekamen im Plenarsaal zwei Beistell-Tischchen und ein Telefon. Unser Antrag auf Gruppenstatus aber, also auf Gleichberechtigung, wurde erneut abgelehnt – einhellig, von CSU bis Grüne.

Am 30. 01. 2004 wurden die Bilder von Marlene Dietrich und Nikolai Bersarin feierlich in die Galerie der Ehrenbürger Berlins eingereiht. Die weltberühmte Schauspielerin wurde postum geehrt. Der erste sowjetische Stadt-Kommandant in Berlin anno 1945, war nach der Wende als Ehrenbürger gestrichen worden. SPD, PDS und Grüne korrigierten den Fehler.

Februar

Am 18. des Monats fand ein „Gipfeltreffen“ der europäischen Demokratie-Bewegung vor dem Brandenburger Tor in Berlin statt. „Vote 2004“ (Großbritannien), „Europe 2020“ (Frankreich) und „Mehr Demokratie“ (Deutschland) forderten Volksabstimmungen über die künftige EU-Verfassung. Ich war natürlich dabei. Den Anlass für die Aktion bot ein zeitgleiches Spitzentreffen der Regierungschefs Schröder, Chirac und Blair in Berlin.

In der ZDF-Talkshow „Berlin Mitte“ diskutierte ich für die PDS mit Befürwortern der so genannten Sozialreformen aus der SPD, der FDP, der CSU und von den Grünen. Meine Gegen-Botschaft war u. a.: „Die rot-grüne Agenda 2010 vollzieht, was CDU und CSU seit langem wollen, nachlesbar im „Zukunftsbericht der Freistaaten Bayern und Sachsen“, anno 1997. Heraus kommen Ungerechtigkeit und Armut!“

Am 20. Februar war die „PDS im Bundestag“ Gastgeberin für die „ständige Konferenz der Fraktionsvorsitzenden der PDS“. Sie wurde nach der Bundestags-Wahlniederlage 2002 geschaffen und soll die Aktivitäten der Länder bündeln. Wir sprachen uns gegen die „Gesundheits-Reform“ und die „Praxisgebühr“ aus. Ich nenne sie „Schmidt-Zehnt“, denn die Arzt-Praxen können nichts dafür.

März

Das Bundesverfassungsgericht hatte mit einem Urteil bundesweit eine kontroverse Debatte ausgelöst – den so genannten Kopftuch-Streit. Die Berliner PDS lud zum 05. 03. Fachleute zur Anhörung, rund 100 Leute kamen. Es folgte ein fundiertes Pro und Kontra und schließlich ein rot-rotes Berliner Landesgesetz, das Muslime nicht anprangert und Bürgerrechte wahrt.

Vor Jahresfrist begannen die USA ihren Krieg gegen den Irak. Aus diesem Anlass demonstrierten am 20. 03. Hunderttausende für Frieden. Die „PDS im Bundestag“ war in Berlin dabei. Die größten Kundgebungen gab es in den Ländern, die direkt am Krieg beteiligt waren, in Australien, in Großbritannien, in den USA. In Barcelona bildeten Tausende ein Friedenszeichen – „PAU“.

„Ostseeregion - Modellfall für Abrüstung“, war eine Friedenskonferenz der PDS und der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 27. 03. in Rostock überschrieben. Ich sprach über militär-politische Tendenzen im Bundestag. Zu den Referenten gehörten u. a. André Brie (MdEP) und Helmut Holter (Landes-Minister).

April

Die Proteste gegen Sozialabbau schwellen an. Am 03. 04. wurde in zahlreichen europäischen Metropolen demonstriert. Allein in Berlin nahmen über 300.000 Menschen an einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor teil. Aufgerufen hatten der DGB, Einzelgewerkschaften, Sozialverbände, attac und die PDS.

„Jeder Mensch hat einen Namen!“ Deshalb werden jährlich zum Holocaust-Gedenktag die Namen der Ermordeten verlesen. Ich nehme seit Mitte der 90er Jahre daran teil. Aus Sicherheitsgründen wurde diesmal die Berliner Mahnung am 18. 04. kurzfristig vom Wittenberg Platz in die Fasanenstraße verlegt.

„Abwandern (lassen) oder Qualifizieren“, war eine Fachtagung der PDS über Perspektiven der Berufsausbildung in Ostdeutschland überschrieben. Es ging unter anderem um eine Reform des Berufsbildungs-Systems und um eine gerechtere Ausbildungs-Finanzierung. An diesem 24. 04. verabschiedeten wir eine „Magdeburger Erklärung“, nachlesbar unter www.petrapau.de.

Mai

Mit 300 gegen 284 Stimmen, auch mit denen der PDS, beschloss der Bundestag am 07. 05. eine Ausbildungsumlage. SPD und Grüne folgten damit einer lang erhobenen Forderung der eigenen Basis. Doch schon Wochen später beugte sich Rot-Grün dem Druck der Wirtschaft und ihres Superministers Clement. Die Umlage wurde gegen einen unverbindlichen Ausbildungspakt eingetauscht.

15 nationale Parteien gründeten in Rom am 08. und 09. Mai eine Europäische Linspartei (EL). Sie umfasst ca. 600.000 Mitglieder. Ich warb in der General-Debatte für eine friedliche, tolerante und demokratische EU, in der Bürgerrechte ebenso zuhause sind, wie In- und Ausländer. Die Delegierten des Gründungskongresses wählten Fausto Bertinotti (Italien) zum Vorsitzenden.

Professor Horst Köhler (CDU) wurde am 23. 05. durch die Bundesversammlung zum Bundespräsidenten gewählt. Er trat die Nachfolge von Johannes Rau (SPD) an. Die PDS hat im Wahlgremium aktuell 31 Stimmen. Wir waren uns einig, wir wollen keinen Mann der Banken. Wir blieben uneins, ob wir mit Prof. Gesine Schwan (SPD) eine Frau der Universität wählen oder beide ablehnen sollten.

Juni

Am 04. 06. berieten in Dresden Europa-, Landes- und Regional-Parlamentarier linker Parteien aus Deutschland, Polen und Tschechien über gemeinsame Projekte in der erweiterten EU. In einer „Kooperatinosvereinbarung“ bündelten wir gemeinsame Vorhaben für eine soziale, kulturelle, friedliche und demokratische Entwicklung.

Der wochenlange Wahlkampf, landauf, landab, trug Früchte. Die PDS wurde am 13. 06. zahlenmäßig gestärkt ins Europäische Parlament gewählt. Die erste Hälfte vom „Projekt 04-06“ ist damit geschafft. Das Ziel bleibt dennoch ehrgeizig und unsicher: 2006 als PDS in Fraktionsstärke in den Bundestag.

Der 95. Deutsche Katholikentag fand am Wochenende rund um den 18. 06. in Ulm statt. Die AG Christinnen und Christen bei der PDS hatte zur Diskussion mit mir über die „Zukunft des Sozialstaates“ in die Uni eingeladen. In meiner Einführung erinnerte ich an das „Sozialwort der Kirchen“ von 1997. Es stand konträr zur aktuellen „Agenda 2010“. Danach diskutierten wir engagiert über solidarische Alternativen zum Kapitalismus.

Juli

Nachdem der Bundesrat – gegen die Bedenken der neuen Bundesländer und ohne die Stimmen der ror-rot-regierten Länder – „Hartz IV“ passieren ließ, setzte der Bundestag die so genannte Arbeitsmarktreform am 09. 07. endgültig in Kraft. Außerdem wurde ein Zuwanderungs-Gesetz und ein Emissionshandels-Gesetz beschlossen – auch sie sind grottenschlecht.

Mitte des Monats machte das Infomobil des Bundestages drei Tage in Marzahn-Hellersdorf Station. Normalerweise soll der Infobus die Arbeit des Parlaments „erfahrbar“ machen. Diesmal wurde er zur Anlaufstelle für Hartz-frustierte Bürgerinnen und Bürger. Ich nutze die Gelegenheit für zusätzliche Wahlkreissprechstunden. Auch Bürgermeister Dr. Klett und das Bezirksamt gesellten sich dazu.

Mein Urlaub im Allgäu bescherte mir mehrere Einladungen. Der Ortsverband der SPD bat mich zum Stammtisch. Der Kurdirektor informierte mich über Auswirkungen der „Hartz“- und Gesundheits-Gesetze auf den Tourismus. Das Anzeigenblatt wollte ein Interview und berichtete zwei Mal über die PDS-Bundestagsabgeordnete in den Bergen.

August

Anfang des Monats fanden die ersten Montags-Demos gegen „Hartz IV“ statt. Sie weiten sich rasch aus und schwellen bis zu 100.000 Teilnehmer bundesweit an. Bis einschließlich Dezember sprach ich auf sieben Kundgebungen in verschiedenen Bundesländern. Auch Gesine Lötzsch war als Rednerin der PDS gefragt. Die Bundesregierung ließ sich vom Bundestag zwei kosmetische Änderungen bestätigen. Doch die Substanz der „Armutsgesetze“ bleibt.

Am 20. 08. wurde der asbestsanierte und entkernte Palast der Republik als „Volkspalast“ erneut geöffnet. Ein vielfältiges Kulturprogramm zog Tausende in ihren Bann. Sehr zum Verdruss zahlreicher Bundestagsabgeordneter, insbesondere der CDU und CSU. Sie wollten bereits zwei Mal den sofortigen Abriss der Palast-Hülle verfügen und jede Zwischennutzung verbieten.

„Politikverdrossenheit – Parteienverdrossenheit?“ Darüber diskutierte ich auf Phönix mit Prof. Peter Lösche (Politologe), Friedrich Thelen (Wirtschaftswoche) und Ruprecht Polenz (CDU). Ich bekräftigte die PDS-Forderung nach mehr direkter Demokratie und einer Volksabstimmung über die künftige EU-Verfassung. Und ich erinnerte daran, dass die Verteufelung der Montags-Demos gegen „Hartz IV“ den beklagten Verdruss weiter stärke.

September

Mit „Elbgeflüster“ und „Mahnung“ war mein Sonntag-Programm am 12. 09. überschrieben. Vormittags diskutierte ich in Magdeburg mit dem Kabarettisten Lothar Bölck kleine Alltags- und große Systemfragen. Nachmittag nahm ich am traditionellen Berliner „Aktionstag gegen Rassismus, Neonazismus und Krieg“ im Marx-Engels-Forum teil.

Mitte des Monats stellten Gesine Lötzsch und ich unsere Halbzeit-Bilanz vor. Wir ließen sie als achtseitige Anzeige vom „Neuen Deutschland“ drucken. Insgesamt wurden 100.000 Exemplare verteilt. Auch zum Tag der offenen Tür des Bundestages, an dem wir – laut Bundestagspräsident Thierse - offiziell nicht teilnehmen durften, weil wir nur Einzelabgeordnete und keine Fraktion sind.

Am 19. 09. wurden in Brandenburg und Sachsen gewählt. Wie vordem in Thüringen ging die PDS gestärkt aus den Wahlen hervor. Mehr als zwei Wehrmutstropfen: Die rechtsextreme NPD zog in den Sächsischen und die DVU erneut in den Brandenburger Landtag ein. Gesine Lötzsch und ich, wir waren in den sechs Wochen zuvor auf zahlreichen PDS-Wahlkampf-Veranstaltungen in beiden Bundes-Ländern unterwegs.

Oktober

Sie war prominent besucht und überfällig: Die 1. Datenschutzkonferenz der PDS, am 2. 10. im „Haus der Demokratie“ (siehe: www.pds-datenschutz.de). In der verlängerten Konferenzpause demonstrierten wir mit 50.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus allen Bundesländern in Berlin gegen „Hartz IV“. Zur selben Zeit protestierten in Amsterdam (Niederlande) 200.000 Leute gegen den anhaltenden Sozialabbau.

Die Kommunikations-Überwachung in Deutschland expandiert, allemal nach den „Otto-Paketen“ in Folge der Terroranschläge vom 11. 9. 2001. Bürgerrechtsorganisationen, selbst das Bundesverfassungsgericht, haben die ausufernde Lauschpraxis des Staates mehrfach kritisiert. Die Humanistische Union fordert eine Überprüfung der fragwürdigen Gesetze. Ich stellte am 21. 10. entsprechende Anträge. Sie wurden abgelehnt. Die Gegenrede im Bundestag hielt Christian Stroebele (Grüne).

In jeder Sitzungswoche besuchen uns Gruppen aus Nah und Fern. Sie wollen mit der PDS im Bundestag diskutieren und wir führen sie durch die alten und neuen Gemäuer des Parlaments. Am 27. 10. hatte ich junge Gewerkschafter aus Nordrhein-Westfalen zu Gast. Ich offerierte ihnen die „Agenda sozial“ der PDS und ich bezeichnete die „Agenda 2010“ des Kanzlers als Gegenentwurf zu einem modernen, sozialen Rechtsstaat.

November

„Heideruh“ liegt in Niedersachsen, mitten im Wald. Dort fand am 6. und 7. 11. ein Seminar der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema „Rechtsextremismus in Deutschland – Neue Anforderungen – Neue Erfahrungen“ statt. Ich hielt ein Impuls-Referat. An der Beratung nahmen jüngere und ältere Antifaschisten teil, Wissenschaftler und Politiker, aus Ost und West. Meine monatliche Anfrage beim Bundesinnenministerium hatte erneut bestätigt: Stündlich werden eine rechtsextreme Straftat und täglich eineinhalb Gewalttaten registriert.

Verteidigungsminister Struck (SPD) will ca. 100 Standorte der Bundeswehr schließen. Das führte am 11. 11. zu einer Plenar-Debatte. Ich kritisierte den grundgesetzwidrigen Paradigmenwechsel von der Landesverteidigung zu weltweiten Militäroptionen. Und ich monierte, dass nicht nur Standorte geschlossen, sondern auch neue eröffnet werden sollen – zum Beispiel das „Bombodrom“ in der Kyritz-Ruppiner Heide.

Der „Völklinger Kreis“ ist ein Zusammenschluss schwuler Manager. Er lädt regelmäßig in den „Grünen Salon“. Am 24. 11. war ich als Gesprächsgast gefragt. Wir diskutierten über Gleichstellung und Antidiskriminierung, über progressive EU-Richtlinien und zunehmenden Rechtsextremismus.

Dezember

Am 3. 12. beschlossen SPD und Bündnis 90/Die Grünen ein „Entsendegesetz“. Demnach darf die Bundeswehr künftig zu Auslandseinsätzen geschickt werden, ohne vorher das Votum des Bundestages einzuholen. Ich sprach für die PDS gegen das Vorhaben. Es dient der Militarisierung der Politik und schwächt die Demokratie. Der Bundestag hat sich selbst entmündigt.

Mit Katina Schubert (PDS-Vorstand) machte ich am 6. 12. auf einer Pressekonferenz einen Skandal publik: Die PDS wird auf Geheimdienst-Listen gemeinsam mit Al Qaida und Taliban geführt. Wer in Deutschland einwandern will, muss sich von „Terroristen“, also auch von der PDS distanzieren. Fünf Tage später informierte das Bundesinnenministerium, die PDS werde von der Liste gestrichen. Eine Entschuldigung war von Otto Schily nicht zu erwarten.

Der Türkei werden offizielle Beitrittsverhandlungen angeboten. Das beschloss das EU-Parlament am 15. 12., der Deutsche Bundestag folgte dieser Empfehlung tags darauf. CDU und CSU votierten dagegen, ich sprach für die PDS dafür – aber nicht bedingungslos. Zu den Hürden, die nach wie vor stehen, gehören unter anderem die Kurden- und die Zypernfrage.

Mit Blick nach vorn...
 
Petra Pau,
29. 12. 2004

 

 

14.5.2004
www.petra-pau.de

 

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