Aktuelle Notiz: Zum Feiertags-Einheits-Streit

von Petra Pau
Berlin, 9. November 2004

1. 

Bundeskanzler Schröder und Finanzminister Eichel wollen den „Tag der Einheit“, bislang arbeitsfreier Feiertag, künftig auf den jeweils ersten Sonntag im Oktober legen und dadurch die Wirtschaft ankurbeln. Das führte zu Schimpf und Schelte aus allen Himmelsrichtungen. Daraufhin zog die SPD-Spitze den Vorschlag zurück und wetterte über Populisten, die ihrer Idee nicht gefolgt seien.

2. 

Nicht ganz zu Unrecht, denn Edmund Stoiber hatte vor Jahren dasselbe vorgeschlagen. SPD und Grüne protestierten damals. Nun, da der Vorschlag von der SPD retour kam, musste er für die CSU schlecht sein. Das alte Sozi-Schimpfwort vom „vaterlandslosen Gesellen“ wurde aufgewärmt. Gleichwohl betonte Stoiber: Länger arbeiten sei grundsätzlich richtig, nur falsch datiert.

3. 

Auch ich habe mich gegen die Verlegung des Feiertages, gegen seine de facto Abschaffung erklärt. Ich tat es bewusst locker, ohne schweres Geschütz, als „feiertags-politische Sprecherin der PDS im Bundestag“. Dennoch hat der Schröder-Eichel-Vorstoß zwei ernst zu nehmende Hintergründe, einen ökonomischen und einen psychologischen. Beide halte ich für grundfalsch.

4. 

Eine Verlängerung der Arbeitszeit wird aus verschiedenen Richtungen und mit zunehmendem Nachdruck gefordert. Sie wird pseudo-ökonomisch begründet, ist es aber nicht. Das gewünschte wirtschaftliche Wachstum ist primär eine Frage der Produktivität und nicht der Arbeitszeit. Lange und viel arbeiten waren zu Bismarcks Zeiten das Maß vieler Dinge. Heute zählen andere Faktoren.

5. 

Arbeits-Ökonomen ziehen internationale Vergleiche und kommen zu zwei Schlüssen. Längere Arbeitszeiten steigern mitnichten die Arbeitsproduktivität, im Gegenteil. Denn in allen europäischen Ländern, die längere Arbeitszeiten haben, liegt die Produktivität unter dem deutschen Schnitt. Anders ließe sich auch kaum erklären, wieso Deutschland noch immer Export-Meister ist.

6. 

Eine Verlängerung der Arbeitszeit hätte zudem zwei üble Nebenwirkungen: Der Binnenmarkt würde geschwächt und die Arbeitslosigkeit verfestigt. Andere beschreiben es drastischer: Die Einen arbeiten sich krank und die Anderen werden krank, weil sie überhaupt nicht arbeiten können, nicht dürfen. Die „Agenda 2010“ verschärft das Problem auf vielfältige Weise.

7. 

Trotzdem fordern viele längere Arbeitszeiten, trotz steigender Produktivität, trotz wachsender Weltwirtschaftserfolge, trotz expandierender Gewinne in der Oberschicht. Das verlange die Globalisierung, heißt es bei Rot-Grün und unisono bei der CDU/CSU. Der SPD-Deserteur, Oskar Lafontaine, empfahl seiner Partei unlängst einen Grundkurs in Wirtschaftskunde - zu Recht.

8. 

Bleibt der zweite Punkt: Was ritt den Kanzler ausgerechnet den „Tag der Einheit“ in Frage zu stellen? Die erste Antwort liegt nahe: Es ist ein Feiertag des Bundes, keiner der Länder. Deshalb könnte der Bundestag mit rot-grüner Mehrheit über seine Verlegung entscheiden, ohne Sperr-Veto aus der Länder-Kammer, dem Bundesrat. Das schien der SPD-Spitze einen Versuch wert.

9. 

Die zweite Antwort ist schlimmer: Kanzler Schröder hat überhaupt den Weg des geringsten Widerstandes gesucht. Im Westen gilt die Einheit als Ballast, im Osten als gescheitert. Das sind jeweils Mehrheits-Meinungen, sagen Umfragen. Ich habe wiederholt gesagt: „Kanzler Kohl hat den Osten belogen, Kanzler Schröder hat ihn abgeschrieben.“ Genau das hat die SPD-Spitze nun bestätigt.

10. 

Ausgerechnet Wolfgang Thierse (Präsident des Bundestages) versuchte seinen Kanzler noch zu übertreffen: „Wessis sollen wenigstens so lange arbeiten, wie die Ossis.“ Das klingt populär und ist doch Unsinn pur. Denn Thierse reihte sich damit bei jenen ein, die mehr Arbeit für weniger Geld fordern. Und er bringt verstörte Wessis zusätzlich gegen verärgerte Ossis auf. Er traf erneut den Fettnapf.

11. 

Die deutschen Feiertage wären wirklich eine Debatte wert - aber keine pseudo-ökonomische, sondern eine historische, kulturelle, wertvolle. Warum wird der 18. März so unterbelichtet? Schließlich wurde 1848 in vielen Ländern aufbegehrt, für Demokratie und soziale Rechte, auch in Deutschland? Oder der 8. Mai 1945, als die Befreiung Europas und Deutschlands von Faschismus und Krieg besiegelt wurde?.

12. 

Übrigens: Wer die Geschichte der deutschen Einheit 1989/90 wirklich erlebt hat, wird mir vielleicht zustimmen: Der 3. Oktober hatte am wenigsten mit dem viel zitierten Anspruch zu tun: „Wir sind das Volk!“ An diesem Tag wurde ein staatlicher Akt zelebriert und bejubelt. Das war historisch, aber unter Ausschluss vieler längst drängender Probleme - im Osten, im Westen, im neuen Deutschland.
 

 

 

9.11.2004
www.petra-pau.de

 

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