Ich möchte mit einem Dank und einer Ermutigung beginnen.
Danke sage ich allen Delegierten des 6. Parteitages, die von 1997 bis heute den Landesparteitag gebildet haben. Es war eine spannende, durchaus auch kontroverse, aber unter dem Strich erfolgreiche Arbeit. Einen Überblick über das Geleistete findet ihr im Parteitagsmaterial. Also nochmal: Vielen Dank.
In diesem Sinne möchte
ich alle Delegierten des 7. Landesparteitages begrüßen und ermutigen:
Wenn es denn stimmt, dass der Berliner PDS eine größere Verantwortung
und Erwartung angetragen wurde, und es stimmt, dann lasst uns frisch an
die Arbeit gehen, engagiert und kritisch, in der Sache streitend, miteinander wollend, uns nie als Selbstzweck begreifend, stets politik-, gesellschafts-, also erfolgsorientiert.
Ebenso danken möchte
ich unseren bisherigen Fraktionen im Abgeordnetenhaus und in den Bezirksverordnetenversammlungen,
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ebenso, wie den Gewählten
mit und ohne PDS-Buch. Natürlich beinhaltet das die dringende Bitte
an die Fraktionen, den Wahlschwung in politischen Druck zu übersetzen.
Dank sagen möchte ich
unseren Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, den Stadträtinnen
und Stadträten mit PDS-Mandat, vor allem jenen, die ihr
Bezirksamt auch als PDS- und Landespolitik praktizieren und so auch heute
und morgen unseren Parteitag bereichern.
Und ich begrüße
die Mitglieder des Bundesvorstandes, des EU-Parlamentes und der Bundestagesfraktion,
die sich angemeldet haben oder schon präsent sind. (Namen) Allen,
auch den interessierten Medien, ein herzliches Willkommen im gastgebenden
Schöneberger Rathaus.
Dass wir heute hier tagen,
war eine bewusste, gewollte Entscheidung. Wir wollten den Parteitag im
West-Teil der Stadt konstituieren und damit unseren gesamstädtischen
Anspruch als sozialistische Partei unterstreichen. Und dass wir im Willy-Brandt-Saal
des Schöneberger Rathauses tagen, hat durchaus auch etwas Anspruchsvolles:
In den letzten Wochen wurde
ja viel des Herbstes vor zehn Jahren gedacht, viel Unsinn geschrieben und
manch Nachdenkliches gesagt.
Ich erinnere an ein Zitat von Willy Brandt, und zwar so, wie es historisch korrekt war:
Die wirtschaftliche
Aufforstung und die soziale Absicherung liegen nicht außerhalb unseres
Leistungsvermögens. Die Überbrückung geistig-kultureller
Hemmschwellen und seelischer Barrieren mag schwieriger sein. Aber mit Takt
und Respekt vor dem Selbstwertgefühl der bisher von uns getrennten
Landsleute wird es möglich sein, dass ohne entstellende Narben zusammen
wächst, was zusammen gehört.
Ich möchte dem Eia-Popeia-Jubel,
den einstige Bürgerrechtler wie Gauck oder Templin anstimmten, die
Fragen derer entgegen halten, die damals Opposition waren und auch heute
noch für Bürgerrechte streiten (Reinhard Schult, Marion
Seelig, Judith Demba...)
Sie fragten in einem offenen
Brief an Festredner Gauck:
Erinnern Sie sich noch?
Wir wollten nicht nur die Stasi auflösen, wir wollten überhaupt
keine Geheimdienste mehr... Wir wollten nicht nur reisen, wir wollten auch
ein Land, in dem Flüchtlinge nicht wie Ballast verwaltet und entsorgt
werden... Wir wollten nicht nur den Warschauer Pakt verschwinden sehen,
wir wollten überhaupt keine Militärblöcke mehr...
Schließlich mahnten sie:
Es wird Zeit, dass wir nicht nur in Neufünfland, sondern in ganz Deutschland die Unterwürfigkeit ablegen.
Soweit aus dem offenen Brief.
Ich meine, dies sollte,
im Inhalt und im Widerstand, auch unser Anspruch bleiben: als eine Partei,
die dem '89er Aufbruch ihre Erneuerung verdankt, als eine Partei, die zur
gesellschaftlichen Opposition gehört, als eine moderne sozialistische
Bürgerrechtspartei...
...und als Antikriegs-Partei.
Seit Tagen steht ein unmenschliches Ultimatum im Raum:
Wer die tschetschenische
Hauptstadt Grossny nicht bis heute verlässt, gilt als Feind Russlands
und wird daher vernichtet.
Die PDS hat gegen den NATO-Krieg
im Kosovo protestiert - zu Recht. Wer dagegen protestierte,
hat nicht nur das Recht, sondern auch die Verantwortung, zum Feldzug der
Jelzin-Administration gegen das tschetschenische Volk Nein zu sagen. Wir
sagen entschieden: Nein!
Und wir fordern alle direkt
oder mittelbar Beteiligten auf, nach politische Lösungen
statt nach militärische Szenarien zu suchen.
Nun hat Russlands Präsident
mit Atomwaffen gedroht. Vordem haben sich die USA verweigert, die atomare
Bedrohung zu mindern. Beide verspielen die Chance, die als Neues Denken
umschrieben wurde und vor zehn Jahren weltweit, in Ost wie West, alternativlos geboten schien.
Wir fordern die Bundesregierung
auf, als Repräsentantin des Friedens und umfassender Abrüstung
zu agieren - gegen atomare Weltmachtgelüste der USA und Russlands.
* * *
Die Zeit ist schnell-lebig
- noch immer. Aber vielleicht erinnert ihr euch. Am 10. Oktober haben wir
einen Wahlerfolg gefeiert, den wir gemeinsam erarbeitet haben. Gemeinsam!
Wir wollten unsere Position
als 3.-stärkste Partei auf Landesebene behaupten. Wir haben sie ausgebaut.
Wir wollten im Ostteil unsere kommunalpolitische Kompetenz bestätigen.
Wir haben zugelegt. Und wir wollten in möglichst viele BBV im Westteil
einziehen. Auch diese Premiere ist uns in acht Bezirken gelungen:
- ein Berliner Beitrag zum
bundesweiten Aufbau der Partei des Demokratischen Sozialismus;
- unser Beitrag dafür, dass demokratischer Sozialismus in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt noch eine Partei-Anschrift hat.
Lasst mich einen Moment das
beliebte Klischee der rückwärtsgewandten Partei bedienen. Vor
knapp zehn Jahren begab sich die Berliner SED/PDS auf einen wahrlich unbestimmten
Weg. Eine Delegierte zitierte Erich Kästner und über ihn die
damalige Zeit: man nimmt ihr täglich Maß und denkt beklommen,
so groß wie heute war die Zeit noch nie.
Das war im Februar 1990,
einen Monat vor der letzten Volkskammer-Wahl in der DDR am 18. März.
Ein anderer Delegierter mahnte seinerzeit, die laufende PDS-Antragsdiskussion
interessiere in der Stadt wohl niemanden,die Frage sei vielmehr, ob wir,
also die Berliner PDS, überhaupt (Zitat) bis zum 18. 3. kommen.
Heute, und das betrifft auch
die Arbeit dieses Parteitages, gibt es keine PDS-Antragsdiskussionen mehr,
die von vornherein niemanden interessieren. Warum das so ist, zeigt auch
ein 10-Jahresvergleich der Wahlen zum Abgeordnetenhaus. CDU und Bündnis-Grüne
sind 1999 in etwa wieder da, wo sie 1990 waren, die SPD verlor fast ein
Drittel ihrer Wählerschaft. Nur die PDS hat ihr Ergebnis landesweit
fast verdoppelt. Und irgendwie muss das auch mit der PDS, also mit uns
zu tun haben. Deshalb bitte ich euch herzlich, sagt allen Beteiligten Dank.
* * *
Ein Wahlziel, und das gehört
zur Bilanz, wurde nicht erreicht. Obwohl wir unseren Beitrag geleistet
haben. Wir wollten über die Ablösung der Großen Koalition
einen Politikwechsel für die Stadt, hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit,
hin zu mehr Demokratie, hin zu einem Berlin für alle! Seit vorgestern
haben wir den dritten Aufguss einer Koalition, die nicht einmal mehr eine
große ist. Vielmehr deutet alles daraufhin:
Berlin wird weiter verwaltet
von einer Selbsttherapie-Gruppe, ohne Heilungsaussicht, jedenfalls nicht
für die Stadt.
Das zeigt übrigens
auch die Koalitionsvereinbarung: Ein Mix gegenläufiger Absichtserklärungen,
die unterm Strich mehr kosten werden, als stadtverträglich ist.
Drei Beispiele nur:
1. Verkehrspolitik:
Die neue Koalition hält
fest an der U-5, der Kanzler-U-Bahn. Obwohl dies verkehrspolitisch unsinnig
ist, obwohl das aus Mitte lange Zeit eine Brache machen wird, obwohl dies
alle Mittel binden wird, die für den ÖPNV dringend benötigt
werden.
2. Arbeitslosigkeit:
Die neue Koalition hat das
Bündnis für Arbeit zur Chefsache erklärt. Innovation: Null!
Denn das sogenannte Bündnis für Arbeit war schon in der letzten
Legislatur erfolglos entschlummert, als Chefsache.
3. Bildungspolitik:
Die SPD ist wieder einmal
umgefallen und hat den Einstieg in Studiengebühren freigegeben. Zugleich
fehlt eine Ausbildungsplatzabgabe für jene, die nicht ausbilden. Eine
solche Abgabe ist immerhin Beschlusslage des Abgeordnetenhauses.
Das alles steht unter dem
Anspruch, (Zitat Koalitionsvereinbarung):
Allen Bürgerinnen und
Bürgern gleiche Zukunftschancen zu erhalten. So bleibt Berlin nicht
mal Berlin, so werden Probleme gemehrt, so wird Zukunft verspielt.
Deshalb: Selbst ein CDU-Minderheits-Senat
wäre eine bessere Lösung gewesen, als die Neuauflage der CDU-SPD-Koalition.
Denn dies hätte die Regierung veranlasst, sich in Sachfragen parlamentarische
Mehrheiten zu suchen. Und das hätte geheißen: Mehr Demokratie
wagen. Aber auch diese Option scheiterte am SPD-Verharrungsvermögen.
Niemand sollte darauf wetten,
wie lange diese Koalition halten wird. Hoffen wir auf ein möglichst
schnelles Verfallsdatum.Und gerade deshalb sage ich, vor allem auch an
die Adresse der SPD:
Alle Parteien, die zu den
nächsten Abgeordnetenhaus-Wahlen einen Politikwechsel anstreben,
können diesen nur gemeinsam erreichen.
Diese Parteien stehen daher
- jetzt - vor der Aufgabe, eigene Beiträge dafür zu leisten,
dass sich neue gesellschaftliche Mehrheiten entfalten können.
Andersherum: Einen Aufbruch
in und für die Stadt wird es nur geben, wenn die SPD-Führung
das Thema PDS nicht länger unter Tabu stellt.
Übrigens: Der erklärte
PDS-Gegener und ehemalige Berliner Innensenator Schömbohm scheint
in diesem Erkenntnisprozeß schon weiter zu sein, als die Berliner
SPD, als Strieder & Co..Brandenburgs CDU-Vormann will einen Neuanlauf
der Fusion von Berlin-Brandenburg, und die PDS diesmal mit ins Boot nehmen. Was im Umkehrschluss heißt:
Hätte man uns und die Bedenken vieler Bürgerinnen und Bürger
1995/96 nicht arrogant und ignorant links liegen gelassen: Wer weiß?!
Unabhängig aller parteipolitischen
Winkelzüge, die Schönbohm leiten mögen: Die föderalen
Strukturen der Bundesrepublik gehören auf den Prüfstand. Nicht
auf Bayerische Art, also länderegoistisch, sondern mit europäischem
Blick und solidarischem Anspruch. So, wie es auch im Rostocker Manifest
der PDS angelegt ist. Dabei geht es um mehr, als um die Frage, ob und wie
Berlin und Brandenburg fusioniert werden kann? Es geht nicht um Klein-Preußen,
nach Stolpes Präsidial- oder Landowkys Besen-Wünschen, sondern
- um eine umfassende Reform der föderalen Strukturen,
- um eine neue Kompetenz-Verteilung zwischen Bund und Ländern,
- um eine Neuordnung des Länderfinanzausgleiches,
- und schließlich um eine Neugliederung des Bundesgebietes.
Das wird auch unser Thema
sein, bleiben und müssen. Aber das ist etwas anderes, als Schönbohms
Bootsfahrt auf toten Tümpeln und sein Angebot, die PDS
möge mitrudern.
Dennoch hat Schönbohm
mit einem CDU-Tabu gebrochen, nämlich dem Hintze-Credo: Die PDS gehöre
auf die Leine, besser noch ins Fegefeuer. Ich habe wohl vernommen, dass
der alte und neue Regierende Bürgermeister, Eberhard Diepgen, in seiner
Antrittsrede am Donnerstag alle, ausdrücklich alle Parteien im Abgeordnetenhaus,
um eine faire Zusammenarbeit ersucht hat.
Anmerkung 1: Warten wir den nächsten Verfassungsschutzbericht ab.
Anmerkung 2: Wir haben uns noch nie sachlicher Politik verweigert.
Anmerkung 3: Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer und nach der Vereinigung der Stadt sollte der kalte Krieg in der Tat aus den Köpfen und aus der Berliner Politik verschwinden.Dafür tragen insbesondere die im West- und Ostteil jeweils stärksten Parteien die Verantwortung, also PDS und CDU.
Zugleich und um weiteren
Spekulationen vorzubeugen: Das ist alles andere als ein Koalitionsangebot.
PDS und CDU, das sind zwei gegensätzliche Politikentwürfe. Nicht,
weil sich hier Ost und West gegenüberstehen. Neo-Liberalismus und
Demokratischer Sozialismus sind kein Paar, sondern zwei gänzlich unterschiedliche
Schuhe. Werthebach oder Landowsky (CDU) und Seelig oder Wolf (PDS) passen
nunmal nicht unter einen gemeinsamen Hut. Aber ein Wettstreit um politische
Konzepte, und darum geht es, setzt schlicht voraus, dass man miteinander
redet, nicht nur übereinander oder gar nur rückwärtsgewandt
gegeneinander.
Das Verhältnis der Berliner
PDS zu CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gestaltet sich über
Auseinandersetzung, Wettstreit und Kooperation, nicht über Wahlverwandtschaften
oder Ausgrenzungsbeschlüsse. In diesem Sinne werden wir alle Parteien
zu einem Wettbewerb für mehr soziale Gerechtigkeit herausfordern.
Und wir werden - wie bisher
und unserem Selbstverständnis folgend - dazu den Dialog mit Gewerkschaften,
Initiativen, Kirchen und anderen außerparlamentarischen Kräften
suchen.
* * *
Eine Partei für soziale
Gerechtigkeit zu sein, und als solche ernst genommen zu werden, das bleibt
unser Anspruch und Markenzeichen: auf Bundes-, Landes- und auf Bezirksebene,
in Ost wie West. Seit einiger Zeit ist ein bundesweiter Parteienstreit
um "soziale Gerechtigkeit" ausgebrochen. Leider zu meist nur um den Begriff
und zu wenig in der Sache. Eine Meldung brachte just zum SPD-Parteitag
hierzu eine makabres Beispiel: Die Einzelhandels-Umsätze seien weiter
auf Talfahrt, hieß es darin. Und das, liebe Genossinnen und Genossen,
trotz verlängerter Öffnungszeiten und zusätzlicher Shopping-Sonntage.
Zu den wenigen Branchen,
die ein Umsatz-Plus verzeichnen, gehören Apotheken sowie Anbieter
von medizinischen Erzeugnissen. Eine Politik, die das bewirkt, ist krankhaft,
aber nicht sozial. Bundeskanzler Schröder verteidigte auf dem SPD-Parteitag
den rot-grünen Sparkurs mit einem richtigen Argument. Die von der
Kohlregierung hinterlassene Staatsverschuldung sei unsozial, weil immer
mehr Steuergelder als Gewinn den Banken zufließen. Dann setzte er
eins drauf, ohne zu merken, was er eigentlich sagte: Draufzahlen würden
die kleinen Leute.
Er setzt also schon im Kopf
Steuerzahler und kleine Leute gleich.Und er tut nichts dagegen. Die Vermögenden
bleiben auch unter Rot-Grün unbehelligt, während die kleinen
Leute den Haushalt sanieren sollen.
Laut emnid waren nach einem
Jahr rot-grüner Regierung 72 Prozent der repräsentativ Befragten
enttäuscht, knapp die Hälfte gab an, SPD gewählt zu haben,
Zitat: weil ich mehr soziale Gerechtigkeit wollte. Vor diesem Hintergrund
mag man sich über den gerade zellebrierten SPD-Parteitag der Einheit
und Gefolgschaft wundern.
Ich kann wirklich nur
müde lächeln, hatte Schröder vorab gesagt, müde
lächeln über diejenigen, die über Alternativen (zu seiner
Politik) nachdenken. (Zitat aus Tagesspiegel, 5. 12. 1999) Gestattet mir dazu ein zweites Willy-Brandt-Zitat:
Politiker, die Dogmen
huldigen oder ihren Platz auf einem Podest staatsmännischer Unfehlbarkeit
beanspruchen, verdienen kein Vertrauen. (Zitat aus Willy Brandt -
Erinnerungen, S. 500)
Ich sage dies alles, um zu
verdeutlichen: Der Kampf um mehr soziale Gerechtigkeit wird nicht leichter.
Er ist auch mehr, als Besitzstandswahrung. Er erfordert neue Antworten
auf eine uralte Frage. Er wird uns auch in der programmatischen Debatte
fordern. Und wenn es heißt, Rot-Grün würde auf der linken
Seite viel Platz räumen, dann heißt das doch auch: potentielle
Partner kommen abhanden.>
Wohl gemerkt, auf der parlamentarischen
Bühne, nicht im politischen, im unmittelbaren Leben.
Allerdings, und das ist eine
weitere Gefahr:
Versagt Rot-Grün, dann
droht ein weiterer Rechtsruck. Auch deshalb:
Lasst uns die Herausforderung
annehmen. Lasst uns gemeinsam mit gesellschaftlichen Partnern Druck
von links entwickeln. Lasst uns darum ringen, dass soziale Alternativen
mehrheitsfähig werden.
* * *
Seit der letzten Tagung eines
PDS-Landesparteitages wurde unsere Stadt bereichert Bundestag und Bundesregierung
haben über die Sommer-Monate hier ihre Arbeit aufgenommen.
Sie kamen spät und
zu teuer, aber sie waren uns willkommen, auch die PDS hatte seinerzeit
für den Umzug gestimmt. Ein Pro-Argument war damals, dass Parlament
und Regierung dorthin gehören, wo die Probleme am augenfälligsten
sind, wo sich Bürgerinnen und Bürger am besten in Erinnerung
bringen können. Dieses Argument war offenbar zutreffend. Denn schon
denken CDU/CSU-Politiker lauthals über eine Bannmeile nach, während
Innensenator Werthebach Demonstrationen aller Art aus der Innenstadt verbannen
möchte.
Beides lehnen wir nach wie
vor ab. Das Demonstrationsrecht, das Recht auf freie Meinungsäußerung,
ja, auch das Recht auf Protest, sind ein Verfassungsrechte.
Und es ist doch verlogen,
einerseits die 89er Proteste in der DDR als historisch zu preisen und zugleich
99er Proteste in der BRD als störend abzuqualifizieren. Zumal es Gründe
genug gibt, der Bundesregierung klar zu machen, was zehn Jahre nach der
Vereinigung noch an Zusammenwachsen zu leisten ist.
Ich stehe bestimmt nicht
in dem Verdacht, Eberhard Diepgen zu preisen. Aber immerhin hat er schon
vor Jahren erkannt, dass es binnen eines Landes nicht zwei Tarife geben
kann, einen für Wessis und einen für Ossis. Ausgerechnet ein
SPD-Innenminister kommt nun daher, und findet das vollkommen in Ordnung:
Otto Schily, als RAF-Verteidiger gestartet und als Spalter rechts von der
CDU gelandet.
Und weil wir gerade bei Protest
sind: Wir werden nicht zulassen, dass der Palast der Republik auf kaltem
Weg entsorgt wird, und statt dessen, wie von der FDP beantragt, eine privat-finanzierte
und genutzte Schlossatrappe gebaut wird. Die Spree-Insel ist ein öffentlicher
Platz, übrigens der einzig nennenswerte, der im Dreieck mit dem Regierungsviertel
und dem Potsdamer Platz noch verfügbar ist. Deshalb muss er wieder
ein Treff für Bürgerinnen und Bürger mit öffentlich
nutzbaren Gebäuden werden, so wie es der Palast war. Es geht um die
Zukunft der Stadt, nicht um nostalgische Reproduktionen. Und schon gar
nicht geht es an, dass der Kanzler mal so aus dem Fenster guckt, und sich
ein Schloss wünscht. Wir leben in der Berliner Republik, nicht in der Wilhelminischen Zeit.
Weil wir gerade bei der Stadt-Mitte
und der Frage sind: Wessen Stadt ist die Stadt: Ich möchte gern, dass
wir unseren Baustadtrat in Mitte, Thomas Flierl, ausdrücklich ermutigen.
Thomas wehrt sich gegen die Vermarktung und Verramschung der Stadt, gegen
die dauerhafte oder zeitweise Privatisierung des öffentlichen Raumes.
Ohne ins Detail zu gehen, meine ich: zu recht! Dies um so mehr, da wir
es mit durchaus sensiblen Orten zu tun haben.
Ich erinnere nur an das Areal
südlich vom Brandenburger Tor, wo das Holocaust-Denkmal entstehen
wird. Immerhin hat dies selbst Eingang in die Koalitionsvereinbarung zwischen
CDU und SPD gefunden. Was für mich nicht ausschließt, dass sich
Berlins Regierender Bürgermeister weiterhin als Verhinderer versuchen
könnte. Noch gibt es Stolpersteine und zu leistendes. Bislang wurde
ja nicht einmal über den finanziellen Beitrag entschieden, den der
Bund und das Land Berlin beisteuern. Gleichwohl sammelt der Förderkreis
um Lea Rosh für das Denkmal, auch morgen wieder, und ich bitte Euch,
spendet selbst und helft, möglichst viel Geld zusammen zu tragen.
Denn das wäre nicht nur ein finanzieller Beitrag, sondern zugleich
ein politisches Bekenntnis für das Denkmal.
(...)
* * *
Unsere 1. Tagung hat im wesentlichen 3 Aufgaben zu erfüllen:
Wir haben die Wahlen vom 10. Oktober und die Wahlkämpfe nach zu bereiten, wir haben unseren
politischen Standort im aktuellen Berlin zu bestimmen, und wir haben Weichen
für die programmatische Debatte und die Strukturreform zu stellen.
Ich vermeide bewusst das
große Wort Parteireform. Nicht weil es um wenig, sondern weil es
um mehr geht, als die Schaffung eines Präsidiums oder die Abschaffung
der 8-Jahreregel für Wahlfunktionen. Denn das spiegelt sich derzeit
in den Medien, wenn es um mögliche Statutenänderungen geht, und
das war wohl auch die greifbare Quintessenz, als vorigen Sonntag auf einem
PDS-Workshop über eine Parteireform gesprochen wurde.
Unsere zentralen Fragen sind:
Wie kann die Berliner PDS in der gesamten Stadt gestärkt werden, und
zwar als Mitglieder-Partei? Wie können die Arbeits- und Kommunikationsstrukturen
verbessert werden? Wie kommen wir zu einer wirksameren modernen Öffentlichkeitsarbeit,
und zwar im komplexen Sinne? Wie schaffen wir bessere Bildungs- und Qualifizierungangebote,
auch für künftige Abgeordnete? Wie sichern wir verlässliche
Einnahmen und effektive Ausgaben? Wie erneuern wir unsere Strukturen, auch
im Zusammenhang mit der Bezirksreform, aber nicht nur? Der Fragekatalog
ließe sich verlängern. Er ist auch nicht ganz neu - ich erinnere
nur an den 2-Jahres-Rahmenplan aus dem Frühjahr 1998.
Jetzt geht es um Antworten
und um praktische Schritte. Auch dazu liegen Euch Parteitagsmaterialien
vor. Ich beschränke mich daher auf drei Punkte.
1. Zur programmatischen Debatte
Seit wenigen Wochen liegen
die programmatischen Thesen vor und damit eine Grundlage für jede
Basisorganisation, für jede Arbeitsgemeinschaft oder Interessengruppe,
sie gründlich und kontrovers zu diskutieren. Selbstverständlich
steht der neue Landesvorstand vor der Aufgabe, darüber hinaus entsprechende
Foren anzubieten (wie im Antrag 8 aus Treptow) gefordert. Und ich bitte
auch die Helle Panke um entsprechende Angebote.
An zwei Verfahrensfragen
möchte ich erinnern. Zum einen handelt es sich bei den vorliegenden
Thesen nicht um einen Programm-Text, auch nicht um eine Vorstufe. Sie sind
Diskussionsangebote zu ausgewählten Themen.
um zweiten bleibt es dem
Parteitag in Münster vorbehalten zu entscheiden, ob das geltende PDS-Programm
verändert werden soll oder ob es durch ein neues ersetzt werden muss.
Nun gibt es zu den Mehrheitsthesen
aus der Programm-Kommission ein Minderheiten-Votum, das gleichfalls veröffentlicht
wurde.
Ich habe damit überhaupt
kein Problem, im Gegenteil. Weil ich meine, das die Debatten am klarsten
und am frischesten dann verlaufen können, wenn unterschiedliche Positionen
kenntlich sind und nicht schon vorher in einem vermeintlichen Konsens verwischt
wurden.
2. Zur Strukturreform und
zur Öffentlichkeitsarbeit
Drei Anmerkungen anhand konkreter Beispiele:
a) In allen Bezirken
wird bereits an bevorstehenden Fusionen gearbeitet. Hie und da, war zu
lesen, wird sogar schon öffentlich darüber philosophiert, wer
wo künftig Bürgermeister werden könnte oder sollte. Dass
es um mehr und um durchaus brisante Probleme geht, wissen wir alle. Es
sind aber letztlich eben nicht nur Bezirksprobleme, sondern Fragen des
gesamten Landesverbandes.
Es geht um die Frage, ob
wir als Berliner PDS nach der Fusion politik- und interventionsfähiger
sind, als vordem? Oder ob wir mögliche gesamtstädtische Chancen
bezirksegoistisch verspielen.
(...)
b) Zur Öffentlichkeitsarbeit
Wir haben gemeinsam Wahlkampf
geführt und ebenso gemerkt, was uns gelungen war und was weniger.
Konkret: Ich habe sehr gute Veranstaltungen erlebt, auch in den Bezirken,
mit denen wir viele Berlinerinnen und Berliner erreichten, was ja auch
ihr Sinn war.
Es gab aber auch etliche
Veranstaltungen, die viel Kraft und Geld gekostet haben und doch nur unter
dem Motto standen: Sie kannten sich alle, von der letzten Basisversammlung.
D. h.: Wir müssen alles, auch das, was in den letzten Jahren zur Tradition
geworden ist, auf den Prüfstand stellen. (...) Zugleich haben wir
gerade in diesem Wahlkampf einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht,
im Internet.
In der heißen Wahlkampfphase
hatten wir Zig-Tausende Zugriffe täglich Und wir wissen zudem aus
dem Bereich Parteileben des Parteivorstandes: 80 Prozent aller Neueintritte
erfolgen derzeit über das Internet. Was ja nur heißen kann:
Dort, wo die neuen Medien noch nicht im Blick der Öffentlichkeitsarbeit
sind, müssen wir schleunigst nachziehen. (...) Also insgesamt:
Herkömmliches auf seine
Wirkung überprüfen und neues wagen.
(...)
c) Zu den Struktur-Defiziten
unserer Partei gehört auch das anhaltende "Jugendproblem", das natürlich
weniger Jugendproblem,
als vielmehr ein PDS-Problem
ist. Ich freue mich, dass sich in diesem Jahr, auch in Berlin, ein PDS-naher
Jugendverband gebildet hat - solid. Ich finde es genauso richtig und wichtig,
dass sich am 1. Dezember junge Genossinnen und Genossen der Berliner PDS
- über Bezirksgrenzen hinweg - zu gemeinsamer Arbeit zusammengefunden
haben und dies auch künftig so wollen. Beides brauchen wir, zumal
beide, der Jugendverband und die jungen Mitglieder der PDS, sich in ihren
Zielen und Konzepten nicht ersetzen, sondern ergänzen.
(...)
3. Wir haben mit den
Wahlen am 10. Oktober einen nicht zu unterschätzenden Schritt nach
vorn gemacht - beim weiteren Westaufbau. Oder anders gesagt: Wir haben
uns neue Chancen erarbeitet. Wir sind nicht nur angekommen, wir sind wahr-
und ernstgenommen worden, und wir haben in 8 BVV Sitz und Stimme.
Gerade unseren Bezirksverordneten,
ob in Neukölln oder Wedding, ob in Kreuzberg oder hier in Schöneberg,
möchte ich viel Erfolg und gute Nerven wünschen. Wir werden Euch
nicht allein lassen,
nicht als Landesverband,
und ich meine, erst recht nicht in den Bezirken. (...)
Der Westaufbau bleibt -
stellvertretend für die Gesamt-PDS - unser Pilotprojekt. Das ist keine
Drohung, sondern eine neue Aussicht für die Stadt. Vor zehn Jahren
war der Begriff "Sozialismus" ein Schimpfwort, heute ist er zunehmend gefragt:
Nicht als Wiederholung, sondern als demokratische Perspektive. Auch das
gehört zum Resümee nach zehn Jahren PDS.
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