Ich wünsche mir für DIE LINKE einen Drei-Klang

DIE LINKE.Köln, Eröffnung des Stadtbüros
Beitrag von Petra Pau
Köln, 9. November 2007

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1. 

Ich hatte am 16. Juni 2007 in Berlin den Parteitag zu leiten. Tags zuvor tagten wir noch getrennt. Die WASG hie, die Linkspartei.PDS da. Noch einmal wurde um Ultimaten und Kompromisse gefeilscht. Noch einmal wurden offene Briefe mit harschen Tönen ausgetauscht. Noch einmal wurde das Trennende im Gemeinsamen gesucht. Das war am Freitag.
 
Völlig anders der Sonnabend. Die Wände waren weg. Wir waren plötzlich in einem riesigen Saal und wir füllten ihn. Allein die Größe beeindruckte. Es gab räumlich kein hie und da mehr, nur noch Landesverbände der neuen Linkspartei. Sie war über Nacht offiziell registriert worden. Nun wurde das Bühnenbild durch große Lettern ergänzt: DIE LINKE - Punkt.
 
Man hätte den Punkt auch durch ein Ausrufezeichen ersetzen können. Irgendwie spürten alle: Hier passiert was Großes und sie gehören dazu. Punkt 9.20 Uhr konnte ich also als Tagungsleiterin verkünden: „DIE LINKE hat das Licht der Bundesrepublik erblickt!“ So ein Erlebnis macht Mut und deshalb möchte ich diese Stimmung gern an euch weitergeben.

2. 

Inzwischen sind wir weiter. Bundesweit wurden Landesverbände gegründet. Wir haben eine Landtagsfraktion in der Bremischen Bürgerschaft, die erste in einem Westland. Und schon nahen die nächsten Wahlen mit Aussicht auf Erfolg, in Hessen und Niedersachsen. Die Bundestagsfraktion wird natürlich dabei helfen, wo sie nur kann.
 
Heute wiederum eröffnen wir ein neues linkes Büro, einen Treffpunkt für Bürgerinnen und Bürger. Und ich finde: Das hat Köln, das hat NRW auch verdient. Zuweilen wird ja behauptet, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine seien die Schöpfer der neuen Linkspartei. Völlig falsch. Historisch korrekt waren es die Wählerinnen und Wähler in NRW und Gerhard Schröder.
 
Erinnert Euch: Am 22. Mai 2005 gab es hier Landtagswahlen. Die SPD verlor. Aber auch für die WASG und die PDS wurde klar: Allein und gegeneinander wird's nichts. Abends verkündete Kanzler Schröder, er wolle vorgezogene Neuwahlen. Er bekam sie und DIE LINKE dazu. Das ist Gerhard Schröders historische Hinterlassenschaft. Deshalb finde ich: Ihr solltet ihm genau dafür hier im Kölner Büro einen Ehrenplatz widmen.

3. 

Ein Lieblings-Zitat von Oskar Lafontaine hängt im Fraktionssaal der LINKEN im Bundestag. Es ist von Jean Jacques Rousseau: „Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit.“ Es ist ein Plädoyer für ein Recht, dass die Schwachen gegen ein freies Spiel der Kräfte schützt. Wenn wir aktuell einen gesetzlichen Mindestlohn fordern, dann genau in diesem Sinne.
 
Rousseaus plädierte für einen sozial gerechten Staat. Aber es ist kein Plädoyer für einen Staat, der Bürgerinnen und Bürger individuelle Freiheitsrechte nimmt. Von demselben Rousseau stammt der Satz: „Auf seine Freiheit verzichten heißt, auf seine Würde als Mensch, auf die Menschenrechte, ja sogar auf seine Pflichten verzichten.“ Freiheit gehört demnach unverzichtbar zur Menschenwürde. Sie sei unantastbar.
 
Es bringt also wenig, wenn jeder seinen Rousseau zitiert. Ich halte es lieber weiterhin mit der Feststellung in den programmatischen Eckpunkten der neuen Linkspartei: „Gleichheit ohne individuelle Freiheit endet in Entmündigung und Fremdbestimmung. Freiheit ohne Gleichheit ist nur die Freiheit für die Reichen.“ Freiheit und Gerechtigkeit bedingen sich also. Sie müssen daher ein Markenzeichen sozialistischer Politik sein.

4. 

Das war nicht immer so. Und namens der sozialen Gerechtigkeit und der sozialistischen Idee wurden Freiheit, Demokratie und Bürgerrechte auch schon pervertiert. Das gab es in der DDR. Das gab es exzessiv in der UdSSR. Das gibt es in China, Nordkorea und in anderen Staaten, die sich sozialistisch nannten oder nennen. Diese Geschichte hat nun auch die neue LINKE im Gepäck. Wir dürfen ihr auch nicht ausweichen.
 
Meine Lehre aus der DDR ist: Man darf soziale und Freiheitsrechte weder hierarchisieren, noch gegeneinander aufrechnen. Sie sind zwei Seiten derselben Medaille. Ich weiß, ich rede jetzt über Utopia. Aber deswegen fühle ich mich ja auch als Linke. Mein Einfachsatz lautet nämlich: Wo soziale, Bürger- und Freiheits-Rechte gleichermaßen gelten, und zwar für alle, da ist Demokratischer Sozialismus. Und da will ich hin.
 
Und deshalb finde ich: Bei allem Besseren, was man sich für das Grundgesetz noch ausdenken könnte, es ist ein gutes. Denn das Grundgesetz geht mit dem Demokratischen Sozialismus schwanger. Deshalb werbe ich ja auch dafür: DIE LINKE muss eine moderne sozialistische Bürgerrechtspartei sein. Wir sollten uns als Verfassungsschützer im besten Sinne verstehen.

5. 

Und die Verfassung braucht Schutz. Sie wird permanent attackiert. Nicht von Extremisten, nicht von Terroristen, sondern von Spezialisten für Sicherheit, die obendrein einen Diensteid auf das Grundgesetz geleistet haben. Ich spreche von den Schilys und Schäubles, von den Becksteins und Schönbohms, von all jenen, die unsere Rechte, unsere Demokratie unsere Freiheit einer vermeintlichen Sicherheit opfern wollen.
 
Heute haben die Unionsfraktion und die SPD im Bundestag der Vorratsdatenspeicherung zugestimmt. Das heißt: Es wird registriert und gespeichert, wer wann mit wem telefoniert hat, wer welche Seiten im Internet besucht hat, und wer wem eine SMS oder eine e-mail geschickt hat. Und zwar nicht von Tatverdächtigen, sondern prophylaktisch von allen Bürgerinnen und Bürgern. Das ist Überwachung auf neuem Niveau.
 
Über diese Daten lassen sich Vorlieben und Beziehungen ermitteln, also Persönlichkeits-Profile. Sofern sie über das Mobilnetz laufen, kann man die Standorte orten, von denen e-mails oder SMS verschickt oder Telefonate geführt wurden. Daraus wiederum ergeben sich Bewegungs-Profile. Kurzum, die Bürgerinnen und Bürger werden zu gläsernen Menschen. Das war die Horror-Vision in Orwells Buch „1984“.

6. 

Übrigens 1983 sprach das Bundesverfassungsgericht ein kluges und weitreichendes Urteil. Es wurde seither mehrfach bekräftigt und ist allgemein als „Volkszählungsurteil“ bekannt. Mit ihm begründete das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und es stärkte den Datenschutz. Es befand schlicht: Die persönlichen Daten der Bürgerinnen und Bürger gehen den Staat nichts an.
 
Noch interessanter und zugleich aktuell war die Begründung. Sie besagt sinngemäß: Bürgerinnen und Bürger, die nicht mehr wissen oder nicht mehr wissen können, wer was über sie weiß, sind nicht mehr souverän. Wer nicht mehr souverän ist, kann auch kein Souverän sein. Eine Demokratie ohne Souveräne aber ist undenkbar. Das ist die gesellschaftliche Dimension, um die es geht.
 
Spätestens aber, wenn es um die Grundlagen der Demokratie geht, sollten Linke, sollten demokratische Sozialisten hellwach werden. Wir sind dagegen, dass Bürgerinnen und Bürger sozial entmündigt werden. Deswegen lehnen wir z. B. „Hartz IV“ ab. Wir sollten aber genauso engagiert sein, wenn Bürgerinnen und Bürger als Souverän entmündigt werden. Deshalb lehnen wir z. B. diese Vorratsdatenspeicherung ab.

7. 

Nur, ganz so einfach, wie ich es bisher geschildert habe, ist es nicht. Persönliche Daten werden nicht nur vom Staat gefordert. Sie werden genauso massiv von der Wirtschaft geordert. Prüft selbst, wie viele Bonuskarten ihr mit euch herumtragt, nur weil Tankstellen oder Supermärkte ein paar Bonus-Euro versprechen. Die Preisgabe persönlicher Daten ist Volkssport. Der Kunde macht sich selbst gläsern.
 
Auch in unserer Bundestagsfraktion lauern bei aller scheinbaren Übereinstimmung Konflikte. Ein Beispiel: Das Lkw-Mautsystem. Es wurde entwickelt und eingeführt, um die Autobahn-Lkw-Gebühren zu berechnen. Dafür waren mehrere Systeme denkbar. Aber man entschied sich für das von TollCollect. Weil es mehr kann, als Gebühren zu berechnen. Denn es taugt zur Überwachung von Verkehrsteilnehmern.
 
Nun kommt der linke Anwalt und sagt: Wenn man damit auch Verbrecher fangen kann, dann sollte man es tun. Dann kommt die linke Kommunal-Politikerin und sagt: Die Lkw weichen auf Landstraßen aus, wir sollten das Mautsystem ausweiten. Und dann kommt die linke Bürgerrechtlerin und sagt: Habt ihr noch alle Tassen im Schank, wollt ihr die Total-Überwachung? Ähnlich ist es bei der elektronischen Gesundheitskarte.

8. 

Damit sind wir im Reich der Real-Politik und die ist immer konkret. Und konfliktreicher, als jede Grundsatzdebatte. Zuweilen wird ja Real-Politik unter Linken gern mal als Verrats-Politik denunziert. Ich kann als Berlinerin ein Lied davon singen. Und ich bekenne mich schuldig: Ich habe das erste Rot-Rot in Berlin aktiv mit angebahnt. Und ich helfe euch gerne, wenn es um das erste rot-rote Bündnis in Köln geht.
 
Vielleicht könnte man dann am Rhein, wie an der Spree, einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor einführen oder ein 3-Euro-Kultur-Ticket für Arbeitslose oder eine integrierende Gemeinschaftsschule statt des 3-gliedrigen Schulsystems, das sozial aussortiert und Millionen Kindern und Jugendlichen Zukunftschancen nimmt. Das alles ist noch kein Sozialismus, aber alternativ und links ist es allemal.
 
Meine Berliner Erfahrung lehrt: Die SPD ist in die Jahre gekommen und zugleich höchst pubertär. Umso wichtiger ist, wer sie begleitet. Sind die CDU/CSU am Zuge, die FDP oder die Grünen, dann verkommt die Sozialdemokratie. Hat sie DIE LINKE als Partner, dann gibt es Aussicht auf Besserung. Rot-Rot in Berlin hatte übrigens im Bundesrat als erstes Bundesland die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes gefordert.

9. 

Zurück zum Thema: Es gibt drei große Linien, mit denen versucht wird, das Grundgesetz auszuhebeln. Neues Recht wird gesetzt, obwohl es grundgesetzwidrig ist. Zum Beispiel, um unschuldige Passagiere in einem entführten Flugzeug abschießen zu können. Bestehendes Recht wird unterlaufen, obwohl es durch das Verfassungsgericht bekräftigt wurde. Stichwort. Zum Beispiel: Großer Lauschangriff.
 
Und es wird versucht, geltendes Recht durch eine Art Gewohnheitsrecht zu ersetzten. Beispiel: Bundeswehr im Innern. Rund um Heiligen Damm wurde sie mit Personal und Gerät eingesetzt. Das kam erst in die Kritik, als ein Tornado-Jäger im Tiefflug ein Camp mit G8-Kritikern ansteuerte. Ansonsten aber galt dieser Bundeswehreinsatz im Innern weitgehend als normal. So schafft man Gewohnheitsrecht und das mit Vorsatz.
 
Dabei beschreibt Artikel 35 GG ziemlich akkurat, in welchen Ausnahmen die Bundeswehr im Innern agieren darf: bei besonders schweren Unglücksfällen oder bei erheblichen Naturkatastrophen. Wenn aber der G8-Gipel eine außerordentliche Naturkatastrophe oder ein übergroßer Unglücksfall war, dann stelle ich die Frage: Warum holt uns Kanzlerin Merkel so viel katastrophales Unglück kostenpflichtig ins Land?

10. 

Mein vorletzter Gedanke zum Thema Bürger- und Freiheitsrechte hat etwas mit München, Berlin und Köln zu tun. Edmund Stoiber hatte in seiner Abschiedsrede als Ministerpräsident in München befunden: Kathedralen müssen größer bleiben, als Moscheen. In Berlin will der CDU-Landesvorsitzende keinen Moschee-Bau. Und in Köln engagiert sich selbst Ralph Giordano gegen einen muslimischen Gottestempel.
 
Ich halte das bei allen Problemen im Alltag für einen Irrweg, für nationalistische Stimmungsmache und für einen Angriff auf das Grundgesetz. Linke sollten das nicht mitmachen. Wir dürfen die Ängste der Bürgerinnen und Bürger nicht besserwisserisch weg wischen. Aber wir sollten nie in die deutsch-nationale Falle tappen. Und schon gar nicht in die dümmlich bürokratische, wie die aus Baden-Württemberg.
 
Dort wurde ein Fragebogen entwickelt. Demnach sollten es Muslima schau finden, wenn ihr Sohn schwul ist. Und Muslime sollte sich freuen, wenn sie endlich eine Frau als Chefin haben. Seither frage ich mich. Was haben die Schwaben gegen den Papst aus Bayern. Denn Benedikt XVI. würde nie eine Frau über sich dulden. Und über eine lesbische Tochter darf er sich auch nicht freuen, jedenfalls nicht offiziell.

11. 

Nun komme ich zu meinem letzten Gedanken. Auch er hat etwas mit Bürger- und Freiheitsrechten zu tun, mit unserer Bundestagsfraktion DIE LINKE und mit einer Ost-West-Differenz, die uns begleiten wird. Der Bundestag hat heute beschlossen, ein Einheits- und Freiheits-Denkmal zu errichten, das zum 20. Jahrestag der „Mauer-Öffnung“, also am 9. November 2009 fertig gestellt werden soll.
 
Ich befürworte das. Aber ich befürworte ein anderes Denkmal als SPD und CDU. Die wollen einen National-Sockel wohligen Gedenkens. Ich will eine Denk-Stätte, die aufmerkt, dass Demokratie und Freiheitsrechte wieder und wieder erkämpft und verteidigt werden müssen. Nicht durch den Staat, sondern durch engagierte Bürgerinnen und Bürgern. Ich plädiere also nicht gegen ein Denkmal, sondern für ein progressives.
 
In der Fraktion gab es Widerstand. Weil die so genannte Wende in der DDR eine pure Konterrevolution gewesen sei. Das Lustige an der Debatte war: Es waren Wessis, die uns Ossis erklären wollten, was sie 1989/90 im Fernsehen, wir aber im wahrsten Sinne des Lebens life erlebt hatten. Und sie merkten nicht mal, dass sie damit dieselbe Arroganz bemühten, die dem Westler gegenüber dem Ostler alltäglich medial eingeimpft wird.

12. 

Gregor Gysi hat reklamiert, dass die Vereinigung der Linken die erste wirkliche Ost-West-Vereinigung sei. Das stimmt. Die West-CDU hatte 1990 die Ost-CDU und die Bauern-Partei der DDR geschluckt, samt Parteivermögen und ohne Debatte. Dasselbe trifft auf die FDP zu. Sie vereinnahmte die NDPD und die LDPD der DDR, ebenfalls samt deren Vermögen. Das sollten wir wissen, ohne uns daran zu verbeißen.
 
Aber auch DIE LINKE hat die Ost-West-Vereinigung mitnichten hinter sich. Wir Ostler werden euch weiter nerven und manch Westler wird uns weiter nerven. Aber wir sollten das nicht übertreiben. Denn wir sind nicht für uns da. Nahezu zehn Millionen Bürgerinnen und Bürger setzen ihre politischen Hoffnungen auf die neue LINKE. Sie sind das Maß, nicht wir.
Dafür weihen wir ja auch heute einen Kölner Treffpunkt ein.
 
Und deshalb bin ich gerne hergekommen, um dass zu bekräftigen, was auf der Einladung steht. „Ich wünsche mir für DIE LINKE einen Dreiklang, der immer und überall präsent ist: DIE LINKE als Partei sozialer Gerechtigkeit. DIE LINKE als Friedenspartei. Und DIE LINKE als moderne sozialistische Bürgerrechtspartei.“
 

 

 

9.11.2007
www.petra-pau.de

 

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