Ran an die Bouletten und Butter bei die Fische

Rede von Petra Pau auf der Kreismitgliederversammlung DIE LINKE. in Neustrelitz
25. August 2007

1. 

Ich hatte am 16. Juni 2007 den Parteitag zu leiten. Tags zuvor tagten wir noch getrennt. Die WASG hie, die Linkspartei.PDS da. Noch einmal wurde um Ultimaten und Kompromisse gefeilscht. Noch einmal wurden offene Briefe mit harschen Tönen ausgetauscht. Noch einmal wurde das Trennende im Gemeinsamen gesucht. Das war am Freitag.
Völlig anders der Sonnabend. Die Wände waren weg. Wir waren plötzlich in einem riesigen Saal und wir füllten ihn. Allein die Größe beeindruckte. Es gab räumlich kein hie und da mehr, nur noch Landesverbände der neuen Linkspartei. Sie war über Nacht offiziell registriert worden. Nun wurde das Bühnenbild durch große Lettern ergänzt: DIE LINKE - Punkt.
Man hätte den Punkt auch durch ein Ausrufezeichen ersetzen können. Irgendwie spürten alle: Hier passiert was Großes und sie gehören dazu. Punkt 9.20 Uhr konnte ich also als Tagungsleiterin verkünden: „DIE LINKE hat das Licht der Bundesrepublik erblickt!“ So ein Erlebnis macht Mut und deshalb möchte ich diese Stimmung gern an euch weitergeben.

2. 

Parallel dazu tagte die FDP in Baden-Württemberg. Ein Journalist kommentierte genüsslich: Die Liberalen veranstalteten ihren Bundesparteitag in der Stuttgarter Porsche-Arena an der Mercedesstraße. Die neu vereinigte Linke begnügte sich dagegen mit einem schlichten Tagungshotel am Neuköllner Schifffahrtskanal in Berlin.
Nun, ganz so schlicht war das Berliner Tagungshotel nicht und es hat auch Geld gekostet, für Linke viel Geld. Aber zurück zur FDP: Westerwelle versucht DIE LINKE wie seinerzeit Franz-Josef Strauß zum Hauptfeind für die Demokratie und für die Freiheit aufzubauschen. Und da kann ich nur sagen: Wer das braucht, der muss schwach drauf sein!
Richtig ist allerdings: Für die FDP steht Platz drei auf dem Spiel. DIE LINKE hat das Zeug, bundesweit zweistellig zu werden und so die Grünen und auch die FDP hinter sich zu lassen. Um diese Chance geht es nun. Sie wird uns nicht geschenkt. Wir müssen sie nutzen. Und um auch das zu sagen: Es könnte auch vorgezogene Bundestagswahlen geben.

3. 

Meine Lieblings-Erklärung zur Gründung der neuen Linkspartei stammt allerdings von meinem SPD-Kollegen Ludwig Stiegler. Das ist der Bayer mit dem unausziehbaren roten Pollunder. Er meinte allen ernstes: Über der Linken liege (Zitat) „der Fluch der Spaltung der Arbeiterbewegung“! Mein Kompliment: Auf so eine Idee muss man erst einmal kommen.
Die SPD hat dafür gesorgt, dass Arbeitnehmer in Ost und West geteilt bleiben. Die im Osten müssen noch immer für weniger Lohn länger arbeiten. Die SPD hat mit Hartz IV dafür gesorgt, dass Arbeiter ohne Arbeit verarmt werden. Und die SPD hat dafür gesorgt, dass Arbeiter mit Arbeit weniger Rente bekommen. Das und mehr ist es, was spaltet.
Stiegler hat alle diese Spalt-Beschlüsse mit beschlossen, auch die unsoziale Gesundheitsreform. Er sitzt im Glashaus, er schmeißt mit Steinen und er wundert sich, dass es in seiner SPD scheppert und nicht bei uns. Nur vier Wochen nach dem Gründungs-Parteitag wurden allein im Karl-Liebknecht-Haus 3.000 Partei-Eintritte registriert. Das zählt!

4. 

Ich hatte mir am Montag nach unserem Gründungs-Parteitag die traditionellen Pressekonferenzen der anderen Parteien auf Phönix angeguckt. Eine nach der anderen flimmerte über den Bildschirm. Erst die CDU, dann DIE LINKE, danach die SPD, dann die CSU, schließlich die FDP und die Grünen. Sie alle hatten nur ein Haupt-Thema.
Die CDU sprach über DIE LINKE. DIE LINKE sprach über DIE LINKE. Die SPD sprach über DIE LINKE. Die CSU sprach über DIE LINKE. Die FDP sprach über DIE LINKE. Auch die Grünen sprachen über DIE LINKE. Kurzum: Soviel kostenlose Werbung hatte die LINKE in der langen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie.
Diese neue Aufmerksamkeit hat einen weiteren Grund. Denn bis dato war auf alle Linken in der Bundesrepublik Deutschland stets Verlass. Sie hatten immer einen immanenten Hang zur Spaltung. Nun ist das Gegenteil passiert. Wir aber haben uns vereinigt. Das ist neu und das lässt nun in den Strategie-Zentralen der anderen Parteien die Alarmglocken läuten.

5. 

Darüber können wir uns freuen. Wir sollten aber nicht frohlocken. Es gibt strategische Fragen, die lediglich ruhig gestellt wurden. Ich nenne nur das Stichwort „Regierungsbeteiligungen“. Und es gibt programmatische Fragen, die zwischen der PDS und der WASG strittig blieben. Ich verweise als Beispiel auf das Verhältnis von sozialen und Freiheitsrechten.
Katja Kipping, stellv. Parteivorsitzende, wirbt für eine bedingungslose Grundsicherung als linkes Zukunftsprojekt. Klaus Ernst, ebenfalls stellv. Parteivorsitzender, hält das für ein rechtes Projekt. Er plädiert für eine bedarfsorientierte Grundsicherung. Ich will jetzt hier gar nicht meine Präferenz darlegen. Aber das sind unsere Themen - jetzt für die Zukunft.
Natürlich gibt es kulturelle Differenzen. Es gibt Unterschiede aus der Geschichte. Und es ist auch etwas anderes, ob man im Westen als neue Linke um 5-Prozent plus kämpft oder ob man im Osten als Volkspartei um 20 oder 30 Prozent ringt. Lasst uns all diese Unterschiede sachlich annehmen und kulturvoll lösen, also pluralistisch und solidarisch.
Noch eine Erfahrung, auch aus der Zeit, als ich mit Gesine Lötzsch allein im Bundestag agierte. Wir beide waren uns schnell einig: Wir selbst sind letztlich nicht wichtig. Wichtiger war und ist: Politik, Politik, Politik und immer an die Wählerinnen und Wähler denken. Viele setzen jetzt große Hoffnungen in die neue LINKE. Wir dürfen sie nicht enttäuschen.

6. 

Nun will ich noch mal auf die Tage rund um die Gründung der neuen Linkspartei zurückkommen. Ich habe selten so viele Geschichten und Anekdoten aus 17 Jahren PDS gehört, wie da. Ein Wegbegleiter frischte sogar auf, dass Lothar Bisky, André Brie, Dietmar Bartsch, auch ich, also dass wir alle kriminell und vorbestraft sind. Was stimmt.
Ihr erinnert euch vielleicht: 1994 sollte die PDS nach ihrem Einzug in den Bundestag mit einer unberechtigten Steuer-Nachforderung in Höhe von 67 Millionen DM finanziell in die Knie gezwungen. Die Rechtswege dagegen waren versperrt und so entschlossen sich namhafte Mitglieder des damaligen PDS-Vorstandes zum Hungerstreik.
Zugleich demonstrierten in Berlin 30.000 aus Protest gegen die drohende Willkür. Wir besetzen das Berliner Abgeordnetenhaus und bekamen Hausverbot. Wir fanden Asyl in der Berliner Volksbühne bei Frank Castorff. Und wir zogen zur unabhängigen Kommission für Parteivermögen der DDR, um mit deren Chef zu verhandeln.
Dann ketteten wir uns in den Räumen der Kommission an. „Das war ganz spontan“, erklärten wir später unisono vor Gericht. Was zu ungemeiner Heiterkeit führte. Denn inzwischen hatte Lothar Bisky ein Buch herausgegeben - „Wut im Bauch“. In ihm war nachzulesen, wer wann das Anketten geplant und organisiert hatte. Und so wurden wir halt verurteilt.

7. 

Dies und vieles mehr aus 17 Jahren PDS ist Geschichte. Und ich würde mich sehr freuen, wenn sich die eine oder der andere fände, diese Geschichte und die vielen Geschichten kurzweilig aufzuschreiben und ins Bild zu setzen. Und ich wette, viele hätten vieles beizusteuern, was zu schade wäre, um es ins Vergessen zu entlassen.
Damit meine ich übrigens nicht nur die Erfolgsgeschichten. Wir hatten so manche Kinderkrankheiten in uns. Und wir haben uns auch so manche Niederlage selbst geschaffen. Ich nenne nur Stichworte wie Münster, Gera, die Bundestagswahl 2002. Ich weiß, manche bewerten das anderes, als ich. Aber die Außenwirkungen für die PDS waren immer dieselben: Desaster.
Dass wir uns trotzdem immer wieder aufgerappelt haben, das wiederum spricht für uns. Das spricht für alle Genossinnen und Genossen, die nie aufgegeben haben, egal ob im Bund, ob im Land, ob vor Ort. Und obwohl mir das qua Amt nicht zusteht, sage ich es trotzdem: Dafür gebührt euch aller Dank und darauf könnt ihr durchaus auch ein wenig Stolz sein!

8. 

Inzwischen haben wir im Bundstag eine 53-köpfige Fraktion. Und wir haben eine neue LINKE, die nach Umfragen, nach Mitgliedern und nach Mandatsträger bundesweit die drittstärkste Partei ist. Dreimal habe ich vergeblich in Bremen für einen Wahlerfolg gekämpft. Nun ist er da. Und Wahlen in weiteren alten Ländern stehen bevor. Nutzen wir die Chance.
Wir haben aber auch noch Aufgaben in eigener Sache zu meistern. Ich meine die anstehende Programm-Debatte. Und ich will auch nicht verhehlen: So manches, was in den programmatischen Eckpunkten der neuen Linkspartei steht, macht mir durchaus Sorgen. Es gibt nach wie vor inhaltliche Differenzen, die zu klären sind.
Ich will es am Beispiel demonstrieren. Als die Parteitage der FDP und der neuen Linkspartei im Juni parallel tagten, gab es einen Wortwechsel via Medien. Guido Westerwelle nahm Anleihe bei der CDU des kalten Krieges und tönte: „Freiheit statt Sozialismus!“ Oskar Lafontaine konterte: „Freiheit durch Sozialismus!“ Das waren prima-deftige Slogans.
Ich hätte es aber gern etwas genauer. Prof. Michael Brie hatte zu den programmatischen Eckpunkten gesagt: „Sie sind das Schlechteste, was wir je hatten. Aber besser ging es nicht.“ Er hatte wohl recht. Aber nun sage ich: Lasst uns Besseres erstreiten. Damit da, wo DIE LINKE draufsteht, auch Linkes drin ist. Es geht um unser aller Programm!

9. 

In der neuen Linkspartei schlummern auch strategische Differenzen. Eine beschreibe ich eine holzschnittartig. Die einen wollen die Differenz der Linkspartei zur SPD auf die Spitze treiben. Die anderen wollen die Option für rot-rote Zukunftsmodelle offen halten. Welche Strategie klüger und innerhalb der LINKEN mehrheitsfähig ist, muss noch geklärt werden.
Für all das brauchen wir Zeit, die wir wieder einmal nicht haben. Denn auch Gregor Gysi hat Recht: Wer sich mit mehr als 20 Prozent seiner Zeit mit sich selbst beschäftigt, macht sich gesellschaftlich überflüssig. Also: Verliert bei allen Innereien das wahre Leben nicht aus dem Blick. Damit meine ich auch die Kampagne für einen gesetzlichen Mindestlohn.
Der gesetzliche Mindestlohn war unser Thema. Übrigens lange bevor er vom DGB zum „Lackmus-Test“ erklärt wurde und lange bevor ihn die SPD zu ihren Wahlkampf-Hit erkoren hatte. Und er muss unser Thema bleiben, weil er sozial gerecht und wirtschaftlich vernünftig ist. Er betrifft das Leben von Millionen Bürgerinnen und Bürger. Also bleiben wir dran!

10. 

Ich will Euch noch auf ein weiteres Thema einstimmen. Es ist in der neuen Linkspartei keineswegs so präsent, wie die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn oder die Ablehnung von „Hartz IV“. Am 22. September findet in Berlin eine bundesweite Demonstration statt. Ich werbe für sie, denn sie wendet sich gegen einen Überwachungsstaat. Und der droht wirklich, wenn die Pläne von Schäuble & Co. wahr werden.
Für die Ex-PDS ist das ein sensibles Thema. Wir alle kennen den Anspruch des MfS. Es wollte möglichst alles über alle wissen, der Sache wegen. Es gibt aber keine Sache, schon gar keine gute, die das heiligt. Zugleich war das MfS, gemessen an den technischen Möglichkeiten von heute, eine aufwendige Manufaktur. Das macht es nicht besser. Aber es beschreibt die Gefahr. Und eine Schlüsselfrage dabei ist der Datenschutz.
1983 sprach das Bundesverfassungsgericht ein kluges Urteil. Es wurde jüngst erhärtet. Damals wollte die Bundesregierung sein Volk zählen. Dagegen gab es Widerstand, auf der Straße und schließlich vor Gericht. Viele Bürgerinnen und Bürger misstrauten damals dem Staat. Sie wehrten sich gegen seine Begehrlichkeiten. Das wünschte ich mir heute auch.
Das Gericht urteilte damals sinngemäß: Bürgerinnen und Bürger, die nicht mehr wissen oder wissen können, wer was über sie weiß, sind nicht mehr souverän. Wer nicht mehr souverän ist, kann auch kein Souverän sein. Eine Demokratie ohne Souveräne aber ist undenkbar. Das ist die Dimension, um die es aktuell geht. Also Widerstand für Demokratie!
Misstraut also jeder Video-Kamera. Engagiert euch gegen heimliche Online-Durchsuchungen von Computern. Nehmt nicht unwidersprochen hin, dass die Verbindungs-Daten von Handy-Gesprächen, von SMS und e-mails gespeichert werden. Das alles sind Eingriffe in Bürger- und Freiheitsrechte. Demokratische Sozialisten dürfen das nicht dulden.

11. 

Ich wünsche mir für DIE LINKE einen Dreiklang, der immer und überall präsent ist: DIE LINKE als Partei der sozialer Gerechtigkeit. DIE LINKE als Friedenspartei. Und DIE LINKE als sozialistische Bürgerrechtspartei. Das müssen unsere anerkannten Markenzeichen sein, in Rostock und in München, auf dem Dort und in Europa, im Parlament und im Leben.
Und eine weitere Aufgabe bleibt uns erhalten. Mit „uns“ meine ich uns Ex- und Ost-PDSler und das Thema „neue Bundesländer“. Wir haben doch 17 Jahre lang erlebt: Wenn wir es nicht tun, tut es keiner - kein Gott, kein Kaiser, keine Kanzlerin. Wir werden im Westen hinzu gewinnen. Das ist neu. Aber wir müssen im Osten stark bleiben. Das ist wichtig.
Und wir waren immer stark, wenn wir uns um die Alltags-Sorgen der Bürgerinnen und Bürger gekümmert haben. Mal waren es Mietfragen, mal waren es Rentenbescheide, mal waren es die Ferienspiele für Kinder. Und ich bitte Euch dringend: Das müssen unsere Felder bleiben. Wir dürfen sie nicht den alten und neuen Nazis mit ihren perversen Parolen überlassen!

12. 

Ich will mit einem sportlichen Vergleich schließen: Zu Beginn der PDS, 1990, ging es um den Klassenerhalt in der Regional-Liga. Wir haben uns mit unglaublich viel Engagement aufgerappelt -wie Hansa Rostock oder Energie Cottbus. Wir stiegen auf, wir stiegen ab und wir kamen zurück. Nun aber, mit der neuen LINKEN, geht es um den UEFA-Cup.
Am Gründungsparteitag der Linkspartei im Juni nahmen mehr Delegationen europäischer Linksparteien teil, als je zuvor. Und mehr Gewerkschaftsfunktionäre, als je zuvor. Und mehr Künstler und Kulturschaffende, als je zuvor. Sie kamen demonstrativ mit Erwartungen, mit Hoffnungen und mit Ideen, für eine gute linke Perspektive.
Kurzum: Es gibt eine neue, große Chance und es gibt viel zu tun. Also ran an die Bouletten und Butter bei die Fische!
 

 

 

25.8.2007
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

DIE LINKE.: Reden & Erklärungen

 

Lesbares

 

Startseite