„Demokratischer Sozialismus“ gehört ins Programm

Rede von Petra Pau auf der Außerordentlichen Tagung des 10. Parteitages der Linkspartei.PDS
Berlin am 26. November 2006

1. 

Der nötigen Bildung eines Vereins werde ich zustimmen. Das ist rechtlich empfohlen und organisatorisch geboten, also politisch sinnvoll. Deshalb will ich mich bei diesem Punkt auch gar nicht länger aufhalten. Mein Problem sind die Entwürfe der Gründungsdokumente. Ich beschränke mich jetzt auf die programmatischen Eckpunkte.
Ich war am 1. Oktober auf dem gemeinsamen Programm-Konvent in Hannover. Damals ging es noch um die programmatischen Eckpunkte II. Und Prof. Michael Brie fasste seine Einschätzung sinngemäß so zusammen: Wir hatten noch nie ein so schlechtes Programm, wie diese Eckpunkte. Aber Besseres sei derzeit wohl nicht zu haben.

2. 

Nun haben wir inzwischen die programmatischen Eckpunkte III. Sie sind in der Substanz kaum besser, als die Eckpunkte II. Aber sie haben einen großen Vorzug: Im Kapitel V wurden die Hauptstreitpunkte wieder kenntlich gemacht. Das begrüße ich außerordentlich. Denn dadurch wird klarer, in welchen Fragen wir weiter diskutieren müssen.
Und es wird auch klar, dass so Manches im Haupttext steht, was hinten wieder aufgehoben wird. Böslinge könnten das eine Mogelpackung nennen. Ich will das nicht. Ich will inhaltliche Klarheit. Denn es geht nicht nur darum, dass wir uns auf Formelkompromisse einigen. Es geht vor allem auch darum, dass andere uns als NEUE LINKE erkennen.

3. 

Ein Beispiel:
In Kapitel I steht: „Freiheit, Gleichheit und Solidarität bilden den Inhalt der Gerechtigkeit, die wir anstreben. Gleichheit ohne individuelle Freiheit verschwindet in Entmündigung und Fremdbestimmung. Freiheit ohne Gleichheit ist nur die Freiheit der Reichen.„
Diesem Satz würde ich sofort zustimmen. Aber in Kapitel V, bei den Differenzen, heißt es plötzlich: Über das Verhältnis von sozialen und individuelle Bürgerrechten müssen wir noch mal nachdenken, da sind wir zerstritten. Und da sage ich nun wieder: So geht das überhaupt nicht.
Es war nach dem Zusammenbruch des Real-Sozialismus eine zentrale linke Lehre, dass man soziale Rechte und individuelle Freiheitsrechte nicht gegeneinander stellen und auch nicht miteinander verrechnen darf. Wer das nun wieder in Frage stellt, wirft die NEUE LINKE hinter 1990 zurück. Ich finde: Das ist weder neu, noch links.

4. 

In den programmatischen Eckpunkten steht auch: „Freiheit, Gleichheit, Solidarität sind mit Frieden, Bewahrung der Natur und Emanzipation untrennbar verbunden. Viele von uns bezeichnen diesen Zusammenhang von Ziel, Weg und Wertesystem als demokratischen Sozialismus.“
Was ist die Botschaft dieses Satzes? Vor allem: Der „Demokratische Sozialismus“ wird zur Privat-Sache erklärt. Und damit wird die Linkspartei.PDS ihrer Seele beraubt. Das will ich nicht. Dafür habe ich nicht 16 Jahre gekämpft. Und das kann auch nicht sinnstiftend für eine NEUE LINKE sein!

5. 

Zumal: Wer den „Demokratischen Sozialismus“ aufgibt, gibt allen Recht, die 1990 tönten: „Marx ist tot, aber Jesus lebt!“ Und allen, die den Kapitalismus für das letzte Wort der Geschichte halten. Eine NEUE LINKE sollte genau das nicht tun. Sie wäre zwar neu, aber nicht links.
Da hilft mir auch der Erklärungsversuch von Christine Buchholz (WASG-Vorstand) nicht weiter. Sie fürchtet, es könnte Widersprüche zwischen Tagespolitik und linker Programmatik geben. Das ist so. Aber wieso soll deshalb vorauseilend die Programmatik verkürzt werden?

6. 

Ich verstehe auch nicht, warum die ehemaligen SPD-Genossen in der WASG nicht mindestens an diesem Punkt den Aufstand proben. Sie sind lautstark, wenn es gegen die Linkspartei in Berlin geht. Aber sie sind wortkarg, wenn es um den Demokratischen Sozialismus geht.
Vor zwei Jahren wollte der damalige SPD-Generalsekretär den „Demokratischen Sozialismus“ aus dem SPD-Programm streichen. Er wurde gebremst, auch aus Sorge, die NEUE LINKE könnte davon profitieren. Und aus Sorge, allein die NEUE LINKE könnte eine Vision haben, die über den Kapitalismus hinausweist.
Nun droht ein anderes Szenario: Ausgerechnet die NEUE LINKE streicht den Demokratischen Sozialismus aus ihrem Programm. Sie fällt damit programmatisch hinter die SPD zurück. Das ist nicht mehr erklärbar und wäre ein taktischer und ein strategischer Fehlstart

7. 

Ich werde - wie bisher - landauf, landab - für eine neue bundesweite Linke streiten. Sie ist überfällig als soziale und demokratische Alternative für Deutschland, für Europa. Und ich bleibe dabei: Die Chance für eine NEUE LINKE ist historisch. Und sie währt nicht ewig.
Aber es gibt nicht nur die Negativ-Variante: „Sie kamen nicht zusammen, das Wasser war zu tief.“ Es gibt auch das Negativ-Szenario: „Sie kamen zwar zusammen, aber waren nicht mehr links.“ Genau das will ich nicht!

8. 

Deshalb werbe ich dafür, die programmatische Debatte nicht formal zu führen, nach dem Motto: „Gut, dass wir mal drüber gesprochen haben.“ Und auch nicht als Tarifverhandlung, nach dem Motto: „Gibst Du mir, dann geb' ich dir.“
Ich will eine NEUE LINKE, die bundesweit erkennbar ist und bundesweit gefragt wird, die strategisch klar ist und zugleich politisch wirksam. So weit sind wir noch nicht. Aber dahin müssen wir kommen.
 

 

 

26.11.2006
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

Linkspartei.PDS: Reden & Erklärungen

 

Lesbares

 

Startseite