Ich freue mich auf den Wahlkampf

Rede von Petra Pau auf dem „Kleinen Parteitag“ der PDS am 28. Mai 2005 in Berlin

1. 

Als Gesine und ich im Herbst 2002 zu zweit in den Bundestag einzogen, da haben wir uns geschworen: Wir sind weder die Aschenputtel unter der Reichstagskuppel, noch Relikte von der roten Artenschutzliste. Wir haben jede zwei Berliner Wahlkreise direkt zu vertreten und obendrein 2 Millionen Wählerinnen und Wähler bundesweit. Also: selbstbewusst, als Sozialistinnen, als PDS im Bundestag und zwar so lange, bis die PDS 2006 wieder in Fraktionsstärke zurückkommt.
Nun kommen vorgezogene Wahlen, die PDS kann schon am 18. September 2005 wieder gestärkt zurück sein. Ich freue mich jedenfalls auf einen guten, gemeinsamen und vor allem erfolgreichen Wahlkampf.

2. 

Wir haben die Möglichkeiten, die wir als Einzel-Abgeordnete hatten, bestmöglich genutzt, um PDS-Positionen deutlich zu machen. Jede von uns hat rund 150 Plenarreden gehalten. Jede also mehr, als Merkel, Westerwelle, Müntefering und Fischer zusammen genommen. Noch wichtiger ist: Wir haben anders geredet und zumeist anders gestimmt. In allen großen Fragen stand es fast immer 4:2 - vier Fraktionen gegen zwei PDS-Frauen: Das war so in der Friedensfrage, das war so in der sozialen Frage und das war so, wenn es um die Neuen Bundesländer ging.
Sollte sich im Wahlkampf plötzlich andere als Friedensengel, Wohltäter oder Ost-Fan profilieren wollen, dann lasst es ihnen nicht durchgehen. Dazu hatten CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne drei Jahre lang Zeit. Sie haben sie nicht genutzt - im Gegenteil. Noch nie war die Bundeswehr in so vielen Auslandseinsätzen weltweit unterwegs, wie jetzt. Noch nie wurden soziale Rechte so massiv beschnitten, wie jetzt und noch nie wurden die neuen Bundesländer so abgehängt wie jetzt. Und weil es so nicht weitergehen darf, deshalb muss die PDS gestärkt als Fraktion in den Bundestag zurück.

3. 

Im Frühjahr 2003 hatte Bundeskanzler Schröder seine "Agenda 2010" vorgestellt. Deutschland, so argumentierte Schröder, werde sich nicht am Irak-Krieg beteiligen. Und damit Deutschlands Friedenkurs im Äußeren stark werde, dafür müsse Deutschland im Inneren reformiert werden. Das sei der Sinn der „Agenda 2010“.
Ich habe ihm damals erwidert: Die PDS sagt Ja zu ihrem Nein zum Krieg. Und wir sagen zugleich Nein zu ihrem Ja zum Sozialabbau. Heute, nach all den Gesundheits-, Steuer- und Arbeitsmarkt-Reformen sage ich deutlicher: Die „Agenda 2010“ ist nicht einfach ein Sammelsurium verschiedener Gesetze und Vorhaben. Die „Agenda 2010 ist der Gegenentwurf zu einem modernen, sozialen Bürgerrechtsstaat“. Und da Schröder per Wahlen über diesen Anti-Kurs abstimmen lassen will, empfehle ich allen: Ablehnen, ohne Wenn und Aber!

4. 

Dabei wollen wir bitte nicht vergessen: Die „Agenda 2010“ wurde von der CDU/CSU mitgetragen, sie wurde von ihr verschärft und sie ist Angela Merkel und Edmund Stoiber noch immer viel zu lasch. Die Grünen haben mitgemacht und wurden obendrein zynisch. Etwa wenn die Thüringer Grüne Göhring-Eckart sagt: von 331 € ALG II kann man im Osten gut leben. Das zeigt nur: Sie hat Null-Ahnung und obendrein ein kaltes Herz.
Überhaupt: Ich kann es nicht mehr hören, wenn die Grünen sagen: In einem Jahr wolle man „Hartz IV“ überprüfen und notfalls ändern. In einem Jahr mussten Tausende Familien ihr Erspartes aufzehren. Im Gegenzug wurden dafür massenhaft ihre persönlichen Daten gespeichert. Deshalb sage ich: Die Grünen mögen zwar Ahnung haben, wenn es um bedrohte Hamster oder erneuerbare Energien geht. Das ist auch wichtig. Aber, wenn es um Menschen geht, wenn es um soziale Gerechtigkeit geht, wenn es um die Gesellschaft geht, dann sind die Grünen fehlbesetzt.

5. 

Auch das gehört zur Bilanz:
Immer wenn es um Demokratie und Bürgerrechte ging, gab es im Bundestag ein seltenes, aber verlässliches Bündnis: FDP und PDS. Die einstigen Bürgerrechtler von Bündnis 90/Die Grünen hingegen waren stiller als kleinlaut. Mit einer Ausnahme: Werner Schulz. Wer eben kurz an Christian Ströbele dachte, den muss ich enttäuschen:
Christian Ströbele hat bei vier Abstimmungen über „Hartz IV“ zweimal Ja gesagt. Christian Ströbele hat mehreren Auslandeinsätzen der Bundeswehr zugestimmt. Und er hat sogar die Gegenrede gehalten, als FDP und PDS die Überprüfung und Beschränkung der Wohnraumüberwachung wollten, also des „Großen Lauschangriffs“. Das grüne Wunder von Kreuzberg, der Rebell gegen die Staatsmacht, hat sich längst etabliert. Schlimmer noch: Er funktioniert. Deshalb meine Empfehlung an alle, denen Bürgerrechte wichtig sind: PDS wählen!

6. 

Noch ein Beispiel aus den zurückliegenden drei Jahren:
Rot-Grün und CDU/CSU haben das so genannte Entsendegesetz verabschiedet. Danach kann die Bundesregierung kurzfristig die Bundeswehr in Marsch setzten, wohin und warum auch immer. Eine Debatte oder ein Votum im Bundestag sind dafür nicht mehr nötig. Damit wurde die Militarisierung der Außenpolitik beschleunigt. Und zugleich hat der Bundestag seine Rechte selbst beschnitten.
Die Ausnahme von der Regel: Wenn fünf Prozent aller Abgeordneten es verlangen, dann muss sich der Bundestag mit den Militäreinsätzen befassen - sonst nicht. Allein das ist Grund genug, die PDS mit mindestens 5 Prozent in den Bundestag zu wählen. Denn das Thema Krieg oder Frieden gehört ins Parlament und es gehört an die Öffentlichkeit.

7. 

In der ablaufenden Legislatur wurden nicht nur Gesetze beschlossen, die man gut oder schlecht finden kann. Es wurden Weichen gestellt. Der Sozialstaat wurde zur Disposition gestellt, Bürgerrechte wurden abgebaut, Steuern wurden verschenkt und ganze Regionen abgehängt. Außerdem wurde zum zweiten Mal seit 1990 ein historisches Fenster vernagelt. Damals ging es um eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung für Deutschland. Jetzt ging es um eine Volksabstimmung über die künftige EU-Verfassung.
Dass sich CDU und CSU damit schwer tun, das weiß man. Aber SPD und Grüne hatten sogar entsprechende Parteitagsbeschlüsse. Tatsächlich aber kämpften im Bundestag nur die FDP und die PDS für mehr Demokratie, bis zum Schluss - wie ihr wisst: vergeblich. Und das nehme ich der Partei Willy Brandts, der SPD, und den Grünen besonders übel. Gemeinsam hätten wir einen solchen gesellschaftlichen Druck entfachen können, dass selbst die CDU/CSU hätte einlenken müssen. Doch sie wichen und kniffen. Und so haben SPD und Grüne die Bundesrepublik Deutschland um eine historische Chance betrogen.

Ich habe eingangs gesagt: Gesine und ich, wir waren Viel-Rednerinnen. Übrigens hatten wir meist nur 3 Minuten Zeit, um das Problem darzustellen, um unsere Kritik zu begründen und um unsere Alternativen vorzustellen. So was schult ungemein.
Dank Phoenix und dank Internet erhielten wir viele Reaktionen. Oft waren die ersten schon da, bevor wir das Redner-Pult verließen. Zumeist waren es sogar mehr aus den alten Bundesländern, als aus den neuen. Das lag vielleicht daran, dass der gelernte DDR-Bürger sich mehr aufs ND verließ. Das war nicht immer klug.

9. 

In den sitzungsfreien Wochen waren wir ständig unterwegs. Natürlich im Wahlkreis, aber auch über Land. Wir haben kein Bundesland ausgelassen. Wir waren auf Montags-Demos, auf Podien, auf Kirchen- und Gewerkschaftstagen, bei Initiativen, in Jobbörsen, bei Protesten gegen das Bombodrom, bei Jugendtreffen und zuweilen auch in TV-Sendungen.
Wir haben in den Niederlanden über soziale Alternativen diskutiert. Wir haben in Italien die Europäische Linkspartei mitgegründet. Wir haben in Russland Kontakte gepflegt. Wir haben in Frankreich zur EU-Verfassung debattiert. Wir waren für die PDS im In- und Ausland präsent. Kurzum: Wir waren - und so habe ich eine Veranstaltungsreihe benannt - als PDS im Bundestag „unter der Kuppel und im Leben“.

10. 

Aus all dem Erlebten will ich abschließend eine Erfahrung unterstreichen:
Es gibt große Sorgen und viele Nöte. Das wissen wir alle. Aber die Sorgen und Nöte haben die Menschen auch ohne uns. Dazu bedarf es keiner PDS, auch nicht im Bundestag. Gefragt sind Alternativen, die glaubhaft sind und die Hoffnung geben. Das muss die PDS bieten. Ein standhaftes Nein ist zwar eine Antwort, aber keine hinreichende. Deshalb reicht es mir auch nicht, Protestpartei zu sein. Wir haben es nie dabei belassen, die „Agenda 2010“ zu kritisieren, etwa nach dem MLPD-Motto: „Weg damit“. Wir haben immer zugleich für unsere Alternativen geworben, zum Beispiel für die „Agenda sozial“.
Ich sage das auch mit Blick auf die NPD, die DVU und das gesamte rechtsextreme Spektrum. „Nein“ sagen und protestieren, das ist kopierbar und macht deshalb noch nicht unterscheidbar. Die wesentliche Differenz liegt im Ja, bei den Angeboten, bei den Alternativen. Wir haben sie, und für sie werde ich kämpfen. Damit es nach dem 18. September 2005 heißt: Die PDS ist erneut im Bundestag - als Fraktion!
 

 

 

28.5.2005
www.petra-pau.de

 

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