Wir müssen unsere Alternativen powern

Rede von Petra Pau (MdB) auf dem Landesparteitag der PDS Thüringen
Suhl, 27. November 2004

0. 

Da wir nahe liegend tagen, will ich eingangs wiederholen, was ich schon auf Bundesparteitag in Babelsberg gesagt habe: Wer wissen will, wie es der PDS im Bundestag geht, der Frage die Randfichten. Sie werden antworten: „Ja, sie lebt noch und sie stirbt nicht!“
Ein zweiter Vorab-Satz: Ihr habt für die PDS gute, aufwindige Wahlergebnisse erkämpft. Das spüren wir im Bundestag. Die Reaktionen sind natürlich unterschiedlich. Die einen grüßen uns wieder freundlicher, die anderen bekämpfen uns schärfer. Ich kann mit beidem gut umgehen.
Ich habe Euch zum Wahlerfolg gratuliert. Ich will Euch heute auch danken.

1. 

In den letzten Wochen hatte ich mehrere Interviews. Die Fragen hatten immer den Unterton: Was können sie eigentlich im Bundestag bewirken? Und: Sind sie nicht frustriert, wenn sie ausgegrenzt werden?
Viele der Journalisten glauben dann, dass wir die Mitleids-Nummer bedienen. Mitnichten, liebe Genossinnen und Genossen: Wir denken gar nicht dran! Mein Projekt - ihr kennt es - heißt „04-06“. 2004: Wiederwahl ins EU-Parlament. Das haben wir gemeinsam geschafft. 2006: Wahl in den Bundestag, als gestärkte Fraktion. Das haben wir gemeinsam noch vor uns. Was also tun? - nicht Klagen, sondern kämpfen!

2. 

Dabei ist mein Credo: Politik, Politik, Politik und immer an die Menschen denken. Deshalb finde ich auch Debatten langweilig, die im so genannten strategischen Dreieck der PDS verharren. Das interessiert im wirklichen Leben niemanden: keinen Arbeitslosen, keinen Handwerker ohne Aufträge, keinen Jugendlichen auf Leerstellensuche, keine Rentner beim Zahlen der Praxisgebühr.
Wo wir auch hinkommen - und wir reisen als PDS im Bundestag viel durch die Lande - ist der Verdruss über die Politik groß. Der Frust wächst. Die einen treibt das in die Resignation, sie werden Nichtwähler. Andere entscheiden sich für alte und neue Nazis, sie wählen rechtsextrem.

3. 

Wir diskutieren aktuell und neu auch darüber, insbesondere unsere Genossinnen und Genossen in Sachsen und Brandenburg, wie wir der NPD bzw. der DVU am wirksamsten begegnen können. Das ist wichtig.
Aber rechtsextreme Haltungen gibt es nicht nur in den Landtagen, sie giften im Alltag. Und sie finden vor allem dort Gehör, wo der Frust wächst und die Hoffnung schwindet. Genau da liegt unsere Herausforderung als PDS. Es reicht nicht, den Frust aufzugreifen und zu bestärken. Wir müssen Auswege zeigen, Hoffnung geben, Alternativen bieten. So wichtig es ist, in Buchenwald oder zum 8. Mai das antifaschistische Vermächtnis zu ehren - soziale, demokratische, friedliche Hoffnungen sind wichtiger.

4. 

Ich beschreibe es bildlich. Wir haben gemeinsam gegen „Hartz IV“ gekämpft. Das war ein Markenzeichen der PDS: Auf der Straße, in Parlamenten, in Regierungen. Wir haben demonstriert und Plakate geklebt: „Hartz IV - weg damit!“ Dieselben Sprüche haben Nazis übernommen. Sie haben uns gemein gemacht. Ich habe es selbst erlebt, in den neuen und alten Bundesländern. Rechtsextreme kamen zu PDS-Veranstaltungen, sie schrieben mit und tags darauf erschienen unsere Proteste wörtlich auf rechtsextremen Flugblättern. Dann wurden wir aus der SPD, von Grünen und von der CDU/CSU beschimpft, wir würden gemeinsame Sache mit Rechtsextremen machen. Das war natürlich ungeheuerlich.
Ich habe im Bundestag gesagt: Wer das tut, der beleidigt alle, die den KZs der Nazis entkommen sind und sich der PDS nahe fühlen. Wer das tut, der verharmlost den Faschismus. Und wer das tut, der gefährdet das ohnehin fragile Bündnis der Demokraten gegen Rechts. So kurzsichtig darf man nicht mal in Wahlkämpfen sein!

5. 

Aber auch wir müssen nachdenken. Denn "Hartz IV - weg damit!" reicht eben nicht. So ein Slogan bedient den Frust, nicht die Hoffnung. Und er macht uns nicht unterscheidbar von einer NPD, die sich zunehmend unserer Sprüche bedient, um sie mit rassistischen und nationalistischen Parolen zu mixen.
Entscheidend sind unsere Alternativen. Sie können entscheidend sein, wenn sie dort ankommen, wo sie hin müssen, bei den Bürgerinnen und Bürgern - also verständlich, überzeugend und immer wieder. Und sie können entscheidend sein, wenn sie aufbauen, motivieren, oder wie Marx mahnte, die Massen ergreifen.

6. 

Ich habe an vielen Montags-Demos teilgenommen und auf etlichen gesprochen. Dabei brauchte ich niemanden davon überzeugen, dass „Hartz IV“ schlecht ist. Das wussten alle, die gekommen waren. Sonst wären sie ja nicht gekommen. Wenn ich im Osten auf Kundgebungen sprach, dann habe ich an einen DEFA-Film erinnert. Ihr kennt ihn fast alle: „Einer trage des anderen Last“. Schnell waren wir dann bei Werten, wie Gerechtigkeit und Solidarität, und bei politische Alternativen zur „Agenda 2010“. Darüber müssen wir diskutieren, weil wir den Diskurs nicht jenen überlassen dürfen, die eine deutsche Leitkultur erfinden. Ich habe diese Woche erklärt: Der Streit, ob Deutschland multikulti ist, ist so langweilig wie der Streit, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist. Deutschland ist beides. Die eigentliche Frage ist: wie gehen wir positiv damit um?

7. 

Wir haben politische Alternativen zur herrschenden Politik - zum Beispiel unsere „Agenda sozial“, unterfüttert durch ein alternatives Steuerkonzept, durch eine solidarische Grundsicherung und durch ein gerechteres Rentenmodell. Sie müssen mehr denn je unsere Themen sein, nach Innen und Außen.
Wir dürfen uns aber auch nicht selbst belügen. Alle drei Konzepte sind das, was man im Staatsapparat einen Referenten-Entwurf nennt. Sie sind nicht beschlossen und sie sind auch noch nicht schlüssig. Auch deshalb werbe ich dafür, dass wir uns auf diese Fragen konzentrieren.

8. 

Ich sage das auch mit Blick auf 15 Jahre PDS-Debatten und mit der Erfahrung vieler PDS-Parteitage. Wir haben doch alle erlebt: Wir können unendlich miteinander streiten, ideologisch und überhaupt. Zur Sache geht es immer erst dann, wenn es wirklich um Entscheidungen geht.
Deshalb wünsche ich mir auch, dass sich der nächste Bundesparteitag nicht allgemein der Rolle und Bedeutung der Kommunal-Politik widmet. Wir brauchen bundespolitische Entscheidungen und bundespolitisches Profil. Wir brauchen einen eigenständigen und obendrein gefragten Gebrauchswert, damit das „Projekt 04-06“ gelingt.

9. 

Bitte erinnert euch an die vergeigte Bundestagswahl 2002. Es gibt ja viele Theorien, warum sie für uns schief ging, auch manche Legenden. Ich greife auf einen Fakt zurück. Damals hatten wir in nahezu allen Umfragen hohe Image-Werte, allemal wenn es um soziale Gerechtigkeit ging oder um den Osten. Aber wir hatten absolut niedrige Kompetenz-Werte, zum Beispiel wenn es um Wirtschafts- oder Arbeitsmarkt-Politik ging. Wir waren offenbar in den Augen vieler gut fürs Gute, aber schlecht fürs Wahre. Diese Schere - zwischen Image und Gebrauchswert - müssen wir überzeugender schließen, politisch und öffentlich. Das - und dafür werbe ich - ist alle Mühen wert, miteinander.

10. 

Zurück zum Bundestag: Diese Woche war Haushalts-Debatte, vier Tage lang. Die Medien mühten sich um Spannung. Es gab sie nicht, bestenfalls verbal. Denn real war das Kräfteverhältnis wie meist: 2 : 4 - zwei PDS-Frauen gegen vier Fraktionen. Das ist in der Sozialpolitik so, das gilt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr, das stimmt bei der Steuerpolitik. Wirklich in Opposition zur vorherrschenden Politik sind nur Gesine und ich. Selbst der Vorzeige-Rest ehemals linker Grünen stimmt zuweilen jedem Mist zu. Das Alles ist im Bundestag life erlebbar, aber es wird selten öffentlich vermittelt. Wir hatten Donnerstag eine Debatte zum Ressort des Bundesministers für Arbeit und Wirtschaft, also zu Wolfgang Clement und „Hartz IV“.
Ich habe für die PDS gesprochen und daran erinnert: Die Wirkungen von „Hartz IV“ sind sehr komplex. Die sozialen Einbrüche sind gravierend. Ganze Regionen werden geschwächt. Frauenrechte werden preisgegeben. Kinder geraten in Armut. Und nicht zu vergessen: „Hartz IV“ reißt eine Riesenwunde im Datenschutz. Deshalb blieb ich bei meiner Wertung: „Hartz IV“, die ganze „Agenda 2010“, ist der rot-grüne Gegenentwurf zu einem modernen, sozialen Bürgerrechts-Staat. Und deshalb hat Bodo Ramelow recht: Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag."

11. 

Die meisten Grünen lächelten sehr finster und nicht nur sie. Aber selbst das ND berichtete tags darauf über alle Partei-Meinungen, nur die PDS im Bundestag kam nicht vor, auch im Streit um die Gesundheits-Politik nicht, wo Gesine sprach. Deshalb wiederhole ich unser Angebot. Die PDS hat eigene Informations-Mittel. Wir brauchen sie. In Berlin z. B. berichten wir monatlich aus dem Bundestag und wir erreichen damit rund 300.000 Leserinnen und Leser. Auch die PDS in Sachsen nutzt unsere Artikel für ihre Landes-Zeitung, die Thüringer PDS bisher leider nicht.
Und um den Werbeblock zu schließen: Wir haben beide, Gesine und ich, web-Seiten im Internet. Wir bedienen sie tages-aktuell, so dass sich jede und jeder informieren kann. Mehr noch: Wer auf sich über www.petrapau.de meinen Neuigkeits-Brief - auf englisch „newsletter“ - bestellt - bekommt prompt zugeschickt, was die PDS im Bundestag treibt.

12. 

Schluss-Gedanke: Wir wollen natürlich mehr, als die Randfichten singen. „Lebt ihr noch oder kämpft ihr schon“, trifft's vielleicht besser. Seit ich im Bundestag bin, gab es 41 Abstimmungen über Auslandseinsätze der Bundeswehr, auch diese Woche wieder. Ich habe 41 Mal für die PDS mit Nein gestimmt. Statistiker haben befunden: Das ist Deutschland-Rekord.
Wichtiger ist: Wir vertreten auch in dieser Frage mit unseren 6 Promille Bundestags-Anteil ca. 60 Prozent der Bevölkerung. Das zeigt die Diskrepanz, es eröffnet aber auch Chancen. Also lasst uns gemeinsam aus den 6 Promille wenigstens 6 Prozent machen. Nicht irgendwann, sondern 2006. Der Wahlkampf hat längst begonnen.
 

 

 

27.11.2004
www.petra-pau.de

 

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