Ja - sie lebt noch!

Bilanzrede auf der 1. Tagung des 9. Parteitags der PDS
Potsdam-Babelsberg, 30. Oktober 2004

0. 

Fragt die Randfichten, wie es der PDS im Bundestag geht, und ihr werdet hören: „Ja - sie lebt noch! - Und sie stirbt nicht!“

1. 

Im Bundestag steht es häufig 2:4 - zwei PDS-Frauen gegen vier Fraktionen. Das ist in der Sozialpolitik so. Das ist so, wenn es gegen Militär-Einsätze geht. Und das ist so, wenn der Osten links liegen gelassen wird.
Wir sind das soziale Gewissen im Bundestag. Und wenn das soziale Gewissen hinten links platziert wird, dann sagt das mehr über die aktuelle Politik, als manche Bundestagsrede von Rot-Grün oder Schwarz-Gelb.

2. 

2:4 ist im Fußball eine klare Niederlage. Das ist in der Politik natürlich nicht anders. Uns motiviert das dennoch. Denn ohne uns stände es im Bundestag 0:4.
Eine Null aber wäre keine Niederlage, es wäre ein Desaster für die sozial- und friedenspolitische Linke. Dagegen streiten wir - Gesine und ich - als „PDS im Bundestag“.

3. 

Als wir 2002 allesamt die Bundestagswahl vergeigt hatten, als wir nicht mehr als Fraktion gewählt wurden und als wir uns in partei-internen Debatten verhakten - damals habe ich für das „Projekt 04-06“ geworben: 2004 Wiederwahl ins EU-Parlament und 2006 als gestärkte Fraktion in den Bundestag.
Wir haben gemeinsam die erste Hälfte geschafft: die Wiederwahl ins EU-Parlament. Die zweite Hälfte ist noch zu meistern. Deshalb verstehen wir uns auch weiterhin nicht nur als Berliner (direkt- gewählte) Abgeordnete.
Wir waren für die PDS in allen 16 Bundesländern unterwegs und das nicht nur in Wahlkämpfen. Das kostet Kraft und Ressourcen, aber das gehört zum Projekt 04-06.

4. 

Nun wird im Frühjahr in NRW gewählt. Der PDS-Vorstand hat beschlossen, die Herausforderung anzunehmen. Sie ist nicht ohne. In NRW gibt es weiße Flecken, ganze Regionen, da gilt die PDS als außerirdisch oder unerwünscht.
Ich finde: Auch ihnen muss geholfen werden. Jedenfalls bin ich bereit, nach NRW zu kommen und auf Marktplätzen oder in Kneipen zu bezeugen:
Die „Agenda 2010“ ist der Gegenentwurf zu einem demokratischen Sozialstaat. Aber es gibt Alternativen, z. B die „Agenda sozial“.

5. 

Das ist wichtig, denn es gibt nichts Schlimmeres als den weit verbreiteten Aberglauben, der allgemeine Sozialabbau sei gott-gewollt oder global-bestimmt und daher unumstößlich. Er ist es nicht, er ist Menschenwerk, er ist unsolidarisch und obendrein ökonomisch falsch.
Deshalb bleibt unser Nein richtig. Aber unser Nein reicht nicht. Es geht um Alternativen, um Mutmacher, in der Sache und auch auf Plakaten.

6. 

Uns wurde nach der EU-Wahl, noch mehr nach den erfolgreichen Wahlen in Sachsen und Brandenburg vorgeworfen, wir würden uns mit Neo-Nazis gemein machen.
Dieser Vorwurf ist absurd. Er beleidigt alle Mitglieder und Sympathisanten der PDS, die der Hölle der KZs im Faschismus entkommen sind. Und er ist gefährlich. Denn er stellt das ohnehin fragile Bündnis gegen Rechts in Frage.
Deshalb haben wir auch im Bundestag an die SPD und an die Grünen appelliert, dieses kreuzgefährliche Spiel mit dem Feuer einzustellen.

7. 

Als Sprecherin der AG Bürgerrechte und Demokratie der PDS sage ich aber auch: Wir können niemandem verbieten, gegen die Agenda 2010 zu sein, auch nicht Rechtsextremen, wie der NPD oder der DVU.
Aber es ist ein grundsätzlicher Unterschied, ob man - wie wir - mit einer „Agenda sozial“ für eine gerechte, demokratische und tolerante Gesellschaft wirbt, oder ob man - wie die NPD - soziale Kritik mit Rassismus, Antisemitismus und Gewalt mixt.
Auch deshalb sind unsere Alternativen so wichtig, in klarer Abgrenzung zu alten oder neuen Faschisten und als Angebot für sozial Betroffene, die nach Auswegen suchen.

8. 

Wir müssen uns im Bundestag auf wenige, aber wichtige Themen konzentrieren. Dazu gehören die Sozialpolitik, die Friedenspolitik, gleiche und bessere Lebensverhältnisse in Ost und West, sowie der Kampf um Bürgerrechte und gegen Rechtsextremismus.
Dabei führe ich eine Frage-Serie der PDS im Bundestag fort, die Anfang der 90er Jahre begonnen wurde. Monat für Monat will ich wissen, wie viele rechtsextreme Straf- und Gewalttaten bundesweit registriert wurden. Ohne die PDS im Bundestag würde dieses Thema keiner aufwerfen.

9. 

Ihr könnt davon ausgehen: die realen Straftaten sind erheblich größer, als die ausgewiesenen. Aber allein die offizielle Statistik zeigt: Wir haben es mit einem anhaltend großem und erschreckendem Niveau zu tun.
Im statistischen Schnitt begehen Rechtsextreme täglich ein-einhalb Gewalttaten und stündlich eine Straftat.
Deshalb finde ich es gut, dass in den vorliegenden Leitantrag ein zusätzlicher Punkt zum Rechtsextremismus aufgenommen wurde.
Und ich finde es wichtig, dass wir eine Resolution mit Blick auf den 8. Mai 2005 verabschieden, dem 60. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg!

10. 

Der 8. Mai ist ein urdeutsches, er ist aber auch ein europäisches Datum. Deshalb wiederhole ich unseren Vorschlag: Wir fordern eine Volksabstimmung über die künftige EU-Verfassung und wir schlagen dafür den 8. Mai 2005 vor - EU-weit.
Übrigens fordere ich dies nicht, damit wir die Verfassung ablehnen können. Diese Verknüpfung wäre auf dem Niveau der CDU/CSU. Die ist bekanntlich gegen Volksabstimmungen, nur gegen den möglichen EU-Beitritt der Türkei wollen sie ausnahmsweise das Volk befragen.
Diese Woche haben wir übrigens über die EU-Option der Türkei debattiert. Nur die CDU und CSU sind prinzipiell dagegen. Sie wollen stattdessen eine „privilegierte Partnerschaft“. Was das ist, weiß niemand. Deshalb ich habe Frau Merkel geraten: „Wenn die ‚privilegierte Partnerschaft' denn so ein prima Modell ist, dann probieren sie es doch erst mal mit Edmund Stoiber und der CSU aus!“
Zurück zur PDS: Wir fordern grundsätzlich mehr Demokratie und nicht nur aus taktischen Erwägungen. Und was grundsätzlich gilt, das gilt natürlich auch für eine so wichtige Frage, wie die EU. Denn wir wollen eine soziale EU der Bürgerinnen und Bürger statt einer EU der Regierenden.

11. 

Wir haben in den zwei Jahren Bundestag viel Zuspruch und Solidarität erfahren, aus der Partei, aus der Wählerschaft, aus der Bevölkerung. Das macht Mut. Und wir haben Helferinnen und Helfer, aus der ehemaligen Fraktion, in Landtagen, in beiden Landesregierungen. Dafür sage ich herzlichen Dank.
Wir haben aber auch gute Helfer im Bundestag, verlässliche obendrein. Einer heißt Wolfgang Thierse und ist im Nebenamt Präsident des hohen Hauses.

12. 

Immer, wenn das Medieninteresse an der PDS im Bundestag mal nach lässt, dann sorgen er und die anderen Fraktionen für frischen Wind. Mal, indem sie uns keine Tische geben. Mal, indem sie uns zum Tag der offenen Tür nicht mitspielen lassen.
Als wir unlängst zu den Tagen der Ein- und Ausblicke an die draußen Wartenden unsere Halbzeit-Bilanz verteilten, da empörte sich ein Besucher im tiefsten Bayerisch: „Ein Saustaat ist das, wie der mit gewählten Abgeordneten umspringt!“ So gewinnt man neue Freunde.

13. 

Ihr könnt allerdings sicher sein: Klagen ist nicht unser täglich Brot. Unser Motto heißt: Politik, Politik, Politik und immer an die Wähler denken - und an die Wählerinnen.
Und so ganz nebenbei stellen wir Rekorde auf. Mitte September haben Gesine und ich im Plenum unsere jeweils 100. Rede seit 2002 gehalten. Andere Vielsprecher, wie Joseph Fischer oder Angela Merkel, liegen irgendwo zwischen 20 und 30 Parlamentsauftritten.

14. 

In den sechs Jahren, die ich im Bundestag bin, musste ich 30 Mal über Militäreinsätze entscheiden. Die PDS im Bundestag hat 30 Mal Nein gesagt. Damit halte ich einen BRD-Rekord.
Wichtiger ist der Umkehrschluss: Das Militärische gehört längst zum Bundes-Alltag. Diese Woche war das Afghanistan-Mandat der Bundeswehr erneut Thema - wortlos. Wir haben eine Debatte beantragt. Alle lehnten ab, auch die Grünen, auch Ströbele.

15. 

Dass wir dies alles nicht für die Statistik tun, zeigen unsere tägliche Post und die wachsenden Zugriffe auf unsere Web-Seiten. Übrigens, auch das gehört zu Bilanz: Die Post, die wir erhalten, und die Gruppen, die uns besuchen, kommen zunehmend aus den alten Bundesländern.

16. 

Und so versuchen wir nach Kräften, die PDS in der Bundespolitik zu halten - auch ohne Öffentlichkeitsfonds und ohne Fraktionszuschlag.
Und weil wir das auch weiter vorhaben, will ich noch einen Dank anfügen. Denn ohne unsere wenigen, aber hoch engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, im Bundestag, im Wahlkreis und im Ehrenamt, wäre das alles nicht zu schaffen.
Deshalb: Gemeinsam und konzentriert, und damit meine ich wieder uns alle, können wir das Projekt 04-06 vollenden. Also packen wir's an.
 

 

 

30.10.2004
www.petra-pau.de

 

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