„Nebel meets Straßenköter“

Petra Pau bei ReformLinken in Niedersachsen

1. Ich habe Eure Stellungnahme zum Berliner Parteitag gelesen. Dazu gleich mehr. Aus dem prima Internet-„Forum“ der PDS weiß ich inzwischen auch, dass ich die „Carmen Nebel des Demokratischen Sozialismus“ wäre. Man wollte euch wohl mitteilen, dass ihr keine Dümmere einladen konntet als mich.

Außerdem las ich an derselben Stelle, dass eure Stellungnahme „die Kriegserklärung des Straßenköters der Reformlinken an die Mehrheit der niedersächsischen Genossinnen und Genossen" sei. Also: "Nebel meets Straßenköter“ - ich bin jedenfalls gern gekommen und freue mich auf unsere Debatte.

2. Ich stelle einen kleinen Dissens an den Anfang, den ich in der Einschätzung mit Lothar Bisky habe. Er meinte nach dem Parteitag: „Niemand hat verloren, die PDS hat gewonnen.“
Ich finde: „Gewonnen haben alle, die eine Kooperation wollen, ohne Konflikte zu meiden. Sehr wohl verloren haben jene, die eine finale Schlacht suchten, um die Partei zu beherrschen.“

3. Als sich im Februar das Netzwerk Reformlinke gründete, hatte ich gesagt: „Die Reform-Linke will in der PDS für politische Mehrheiten werben, die uns als moderne, sozialistische Partei ausweist. Das ist jedenfalls mein Anliegen. Wir wollen nicht konservieren, sondern aufbrechen. Wir wollen nicht diffamieren, sondern klären. Wir wollen uns nicht isolieren, sondern in die Gesellschaft hinein intervenieren.“
Das ist uns - was den innerparteilichen Part betrifft - auf dem Parteitag gelungen. Und von dieser Kultur sollten wir uns auch nicht abbringen lassen.

4. Meine Sicht auf den Tempodrom-Parteitag ist seit Anfang der Woche nachlesbar. Sie steht als „aktuelle Notiz“ im Netz. Ich will das also nicht alles wiederholen. Aber ich möchte vor jeglicher Übertreibung warnen. Oder anders gesagt: Ganz so positiv, wie eure Erklärung klingt, sehe ich das Ganze nicht - noch nicht.

Es wurde ein neuer Vorstand gewählt und die Chance für einen „Neu-Start“ eröffnet. Mehr nicht - denn die Krise ist nicht auf Vorstandsprobleme zu reduzieren. Aber auch nicht weniger - denn die Option auf eine 2. Erneuerung wurde gewahrt.

5. Die tiefer liegenden Probleme aber, die blieben uns alle erhalten. Das konnte nicht anders sein, das dürfen wir aber auch nicht verdrängen. Ich zähle zu den Grund-Defiziten: Das Profil, die Politikfähigkeit und die Kultur der PDS. Das waren ja auch drei wesentliche Gründe, warum wir das Netzwerk Reformlinke gegründet haben. Ich weiß, dass es weitere gab und gibt, gerade in den alten Bundesländern. Aber die drei sind wohl die übergreifenden.

6. Was kann das aktuell heißen?

Die laufende Programm-Debatte hat natürlich etwas mit dem Profil der PDS zu tun. Wir sollten uns also entsprechend engagieren und einmischen. Dabei stecken wir sicher alle in einem ähnlichen Dilemma. Es gibt einen konkreten Entwurf. Ich kenne bislang niemanden, der sagt: „Endlich, das ist es!“
Aber ich kenne auch keinen Gegen-Entwurf, den ich besser fände. Ich will auch keinen Gegen-Entwurf. Entwürfe hatten wir genug und auch an Debatten, welcher Entwurf demokratisch vorgelegt und welcher diktatorisch unterbreitet wurde, hat es nicht gefehlt. Im Jargon nennt man das wohl freudlose Selbstbefriedigung.

Ich finde, wir sollten um die Substanz des Entwurfes ringen und ihn verbessern, wo wir können. Und die Substanz ist, dass es keinen anderen Sozialismus geben kann, als einen demokratischen Sozialismus, dass Bürgerrechte nicht gegen soziale Rechte gestellt werden dürfen und andersherum, und dass die Grundlage unserer Politik nicht ein fernes Glück, sondern eine Gesellschaft ist, in der wir angenommen werden müssen, um sie verändern zu können.

Zum Thema Politikfähigkeit komme ich auf den Parteitag zurück: Wir haben eine „Agenda Sozial“ beschlossen, ich auch. Aber ernsthaft diskutiert und gründlich berechnet haben wir sie nicht. Auch an einem Plan, wie unsere Vorstellungen wirklich politisch werden können, also gesellschaftlich eingreifend, muss noch gearbeitet werden. Zugleich rennt uns das Leben davon. Der Bundestag schafft Fakten, während wir noch nach Alternativen suchen. Wir haben also ein doppeltes Problem: ein inhaltliches und ein zeitliches.

Zur Kultur nehme ich ein Beispiel aus meinem Bundestags-Leben. Ihr erinnert Euch, wir hatten vor kurzem die „Kongo“-Debatte. Dort herrschen furchtbare Bürgerkriege. In der aktuellen Auseinandersetzung ging es auch um den Einsatz deutscher Kräfte. Wir haben als PDS-im-Bundestag „Nein“ gesagt. Aber lest unsere Begründung und ihr werdet spüren, das war nicht leicht. Wir haben mit uns und dem Problem gerungen.

Nehme ich nun die e-mails, die uns in den Tagen der Entscheidung aus der PDS erreichten, dann wird schnell klar: Wir haben zwei Fehler gemacht. Erstens haben wir nachgedacht - trotz Münster. Und zweitens haben wir auch noch offen gesagt, dass wir nachdenken. Ergo wurden wir von wachsamen Klassenkämpfern als „Reformschweine“ enttarnt. (Sofern das noch nötig war!) Das ist die Unkultur, die wir überwinden und wenden müssen. Denn sie bestimmt natürlich auch, wie wir von der Gesellschaft wahrgenommen werden: Als Verwalter von Tabus oder als Gestalter von Alternativen, als verbissener Haufen oder als spannende Partei.

7. Noch ein Wort zur Krise der Partei. Ich bin dagegen, sie klein zu reden, und ich bin dafür, sie gut zu analysieren. Aber es hilft uns natürlich überhaupt nichts, wenn wir unentwegt unsere Krise vor uns hertragen und die Krise zum Dauerthema machen. Niemand will ein krankes Huhn, niemand kauft einen kaputten Kühlschrank und niemand wendet sich einer Partei zu, die von sich selber sagt: „Eigentlich sind wir zu nichts zu gebrauchen.“

Als sich die einen oder anderen für den Parteitag rüsteten, war ich drei Tage auf dem ökumenischen Kirchentag, auf Podien, bei Jugendgruppen und überhaupt. Das war gut für die Seele, denn ich war als PDS-Frau gefragt. Und es war gut für den Geist, denn dort wurde ganz menschlich über die kapitalistischen Übel im Diesseits und darüber diskutiert, was man dagegen tun kann. Deshalb habe ich danach erklärt: „Die PDS braucht eine Ökumene, die das Gemeinsame kultiviert, ohne Unterschiede zu verwischen. Dabei geht es nicht um das Abend-Mahl, wohl aber um das Morgen-Gebot.“

8. Nach dem Wahldesaster im September vorigen Jahres und vor dem Geraer Parteitag hatte ich gesagt - (Ich zitiere mich jetzt selbst. Das kommt bestimmt besonders gut): „Wenig spricht dafür, dass wir 2004 wieder ins EU-Parlament kommen. Vieles lässt vermuten, dass wir 2006 den Wiedereinzug in den Bundestag verpassen. Das ist ein realistisches Szenario, fürchte ich. Das zweite: Die PDS sucht und findet einen Neuanfang. (...) Ich verhehle nicht: Dieses Szenario halte ich für das ‚fast Unmögliche'. Versuchen wir es aber nicht, dann versagen wir nicht nur der PDS eine Zukunftschance.“

Seit dem ist ein verschenktes Jahr vergangen. Der Tempodrom-Parteitag hat die Chance gewahrt, das fast Unmögliche zu versuchen - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Deshalb spüre ich Hoffnung - ohne Euphorie.

Schluss-Sätze:
Nun habe ich fast ausschließlich über die PDS geredet. Deshalb mahne ich abschließend mich und uns, künftig wieder mehr Zeit und Geist der wahren Welt zu widmen. Aber wahr bleibt auch. Eine Partei ohne Selbstvertrauen kann auch bei anderen kein Vertrauen gewinnen. Deshalb suche ich im Kreise der Reformlinken auch Kraft und Mut. Was ich dazu beitragen kann, das will ich gerne tun.
 

 

 

5.7.2003
www.petra-pau.de

 

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