30 Jahre PDS / DIE LINKE

Rede von Petra Pau auf der Veranstaltung des LINKEN-Kreisverbands Altenburger Land „30 Jahre PDS/DIE LINKE“
25. September 2020

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1. 

Im September 2017 hatte ich meinen Halbe-Halbe-Tag.
D. h. ich war genauso lange Bürgerin der Bundesrepublik Deutschland, wie ich vordem Bürgerin der Deutschen Demokratischen Republik war.
 
Ich habe also beide politischen Systeme kennengelernt, den real-existierenden Sozialismus und den real-existierenden Kapitalismus.
 
Genau genommen sind es 2 ½ Systeme, denn dazwischen gab es in der DDR eine besondere Zeit. Die einen nennen sie Wende, andere Revolution, ganz besonders Linke sprechen von einer Konterrevolution.
 
Diese Erfahrung hat mich fortan sehr geprägt.
Es war eine Zeit, in der politische Belange öffentlich ausgehandelt wurden, in der Bewegung in scheinbar unverrückbare Machtverhältnisse kam, in der Journalisten ihre gewonnene Freiheit in den Dienst der Aufklärung stellten, in der die Opposition regierte und die Regierung opponierte, in der die Bürgerschaft sehr engagiert war, in der das Politische Hoch-Zeit feierte. Der „Runde Tisch“ ist dafür synonym.
 
Noch Jahre später stand dazu an einer Ost-Berliner Häuserwand:
„Das Chaos ist aufgebraucht. Es war die schönste Zeit.“
 
Das alles fand kurioserweise mit der ersten freien, gleichen und geheimen Wahl zu DDR-Zeiten - mit der Volkskammer-Wahl am 18. März 1990 - ein abruptes Ende. Der moderne Verfassungsentwurf des Runden Tisches zum Beispiel wurde danach von der Ost-CDU ignoriert, weil die West-CDU ihn nicht wollte. Bei der SPD war es ebenso.
 
In dem Entwurf standen übrigens höchst aktuelle Passagen.
 
Zum Beispiel in Artikel 8: „Jeder hat das Recht an seinen persönlichen Daten und auf Einsicht in ihn betreffende Akten und Dateien. Ohne freiwillige und ausdrückliche Zustimmung des Berechtigten dürfen persönliche Daten nicht erhoben, gespeichert, verwendet, verarbeitet oder weitergegeben werden.“
 
Natürlich war das 1990 ein Verdamm-Reflex auf Abhörpraktiken des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Aber wieviel drängender wäre ein solcher Artikel heute in Zeiten durchdringender Digitalisierung.
 
Oder Artikel 43 „Die Staatsflagge (...) trägt die Farben schwarz-rot-gold. Das Wappen des Staates ist die Darstellung des Mottos 'Schwerter zu Pflugscharen'.“
 
Datenschutz, Abrüstung, soziale Gerechtigkeit, mehr Demokratie – diese Verfassung war als Mitgift des Runden Tisches der DDR für ein neues Deutschland gedacht. Ein bürgerrechtliches Drängen, das Erinnerung verdient. Bei den üblichen und offiziellen Rückblicken auf das Ende der DDR und die deutsche Einheit wird dies allerdings meist tunlichst ausgeblendet. Warum wohl?

2. 

Gewiss, während 40 Jahren Teilung gab es harte Systemauseinandersetzungen zwischen beiden deutschen Staaten, scharfe Propaganda, das Agieren der jeweiligen Geheimdienste inklusive.
 
Aber ich mache aus meiner späten Einsicht kein Hehl:
Die DDR, ja der Sozialismus sowjetischer Prägung überhaupt, ist letztlich an sich selbst gescheitert.
Rückblickend sehe ich dafür drei Gründe:
 
Erstens war er wirtschaftlich nicht in der Lage, mit den führenden kapitalistischen Unternehmen Schritt zu halten, geschweige denn, eine höhere Produktivität zu entwickeln. Das aber wäre nach einer zentralen Prämisse von Karl Marx unabdingbar gewesen.
 
Zweitens wurden verbriefte Bürgerrechte sowie Grundregeln der Demokratie einer vermeintlich besseren Sache wegen zurück- oder ausgesetzt. Das war letztlich ein Rückfall hinter Forderungen der Französischen Revolution von 1789.
 
Drittens lief das Konzept der „führenden Rolle einer Partei“ und der „Einheit und Geschlossenheit“ seiner Mitglieder gesellschaftlich auf Überwachung und Maßregelungen hinaus. Dies wiederum blockierte Vielfalt und mithin lebendige Entwicklungen.
 
Das Resultat ist bekannt: Immer weniger Menschen folgten den sozialistisch Verheißungen, immer mehr protestierten dagegen.

3. 

Die Hauptverantwortung für das Scheitern des Sozialismusmodells sowjetischer Prägung hierzulande und damit auch für das Scheitern der DDR trug natürlich die SED, wer sonst.
 
Die dabei waren, werden sich erinnern: Auch in der SED rumorte es spätestens seit dem Sommer / Frühherbst 1989. Eine innerparteiliche Opposition verschuf sich Gehör. Es kursierten einschlägige Aufrufe für grundlegende Reformen der SED.
 
Dazu kam es dann auf dem außerordentlichen Parteitag der SED im Dezember 1989 in der Berliner Werner-Seelenbinder-Halle.
•  Die einstige SED-Führung wurde komplett abgesetzt und etliche vormalige Führungskader aus der Partei ausgeschlossen.
•  Der Parteitag entschuldigte sich beim Volk der DDR für das Unrecht, das die SED ihm zugefügt hat.
•  Und der Parteitag brach endgültig mit dem Stalinismus als System.
 
Der Parteitag beschloss eine personelle, strukturelle und programmatische Erneuerung, hin zu einer Partei des Demokratischen Sozialismus.
 
Dieser Ausgang des außerordentlichen Parteitags war keineswegs gewiss.
Es gab eine große Zahl von Delegierten, zu weilen schienen sie sogar in der Mehrheit, die die SED ersatzlos auflösen wollten. Dass dies nicht geschah, hatte wesentlich mit Hans Modrow und Gregor Gysi zu tun.
 
Der beschlossene Aufbruch wurde auf einem Folge-Parteitag Anfang 1990 untermauert und weiterentwickelt. Hieß die Partei nach dem Dezember-Parteitag SED/PDS, so strich sie im Februar das Kürzel SED und hieß fortan PDS - Partei des Demokratischen Sozialismus.
 
Es war übrigens auch eine Zeit, in der ca. 80 Prozent der ehemals über zwei Millionen SED-Mitglieder die nunmehrige Partei im Aufbruch verlassen hatten. Für die verbliebenen und neuen PDS-Mitglieder begann indes eine höchst bewegende Zeit mit innerparteilichen Auseinandersetzungen und gesellschaftlicher Ächtung.

4. 

Zu meinem Werdegang: Im Mai 1990 kandidierte ich in Berlin-Hellersdorf für die Bezirksverordnetenversammlung. Ich agierte forthin als Kommunalpolitikerin.
 
Wenig später wurde ich stellvertretende Landesvorsitzende der Berliner PDS und 1992 Landesvorsitzende. 1995 wurde ich als Spitzenkandidatin der Berliner PDS ins Abgeordnetenhaus gewählt und war mithin auch parlamentarisch in der Landespolitik aktiv.
 
Nun springe ich weiter nach vorn:
1998 wurde ich erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt. Wie es dazu kam, könnt ihr als Episode in meinem Buch „Gottlose Type – meine unfrisierten Erinnerungen“ nachlesen. Es war übrigens die erste Bundestagswahl, in der die PDS in Fraktionsstärke gewählt wurde.
 
Nächster Sprung:
2002 scheiterte die PDS bei der Bundestagswahl an der 5%-Hürde. Der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse pries dies als einen Sieg der deutschen Einheit. Gesine Lötzsch und ich, wir hatten unsere Wahlkreise direkt gewonnen, agierten nun als fraktionslose Abgeordnete im Bundestag. Auch aus dieser Zeit gibt es einige Episoden im Buch „Gottlose Type“.
 
Dritter Sprung:
2005 kam es zu vorgezogenen Neuwahlen des Bundestags. Inzwischen hatte sich aus Protest gegen „Hartz IV“ und gegen die gesamte „Agenda 2010“ die WASG gegründet, die „Wahlalternative soziale Gerechtigkeit“. Da die Gefahr bestand, dass sich PDS und WASG gegenseitig Stimmen wegnehmen könnten, regten Oskar Lafontaine für die WASG und Gregor Gysi für die PDS einen gemeinsamen Wahlantritt an. Der war mit über 12%-plus aller Stimmen erfolgreich. So kam es im Bundestag zur ersten Fraktion DIE LINKE. Die Partei DIE LINKE wurde zwei Jahre später gegründet, 2007 im Hotel Estrel in Berlin.

5. 

Seither – ich vereinfache erneut – stagniert DIE LINKE. Es gibt positive Ausnahmen, z. B. in Thüringen, Berlin oder Bremen, wo DIE LINKE trotz oder wegen ihrer Regierungsbeteiligung erheblichen Zuspruch erhält.
 
Aber bei bundesweiten Umfragen ist DIE LINKE aktuell näher an der verheerenden 5%-Hürde, als an den 2005 erreichten 12%-plus. Zudem ist die rechtspopulistische AfD in der Wählergunst zumindest gleich gezogen.
 
Deshalb und grundsätzlich rege ich seit längerem an:
DIE LINKE braucht eine dritte Erneuerung. Dazu gehört eine neue strategische Debatte ebenso wie eine neue programmatische.
 
Die erste Erneuerung war 1989/90 der Bruch mit dem Stalinismus und die Hinwendung zu einem demokratischen Sozialismus.
Heraus kam eine ostdeutsche PDS mit westdeutschen Anhängseln.
 
Die zweite Erneuerung war 2005-2007 durch das Zusammengehen von PDS und WASG. Heraus kam eine gesamtdeutsche Protestpartei.
 
Was wir nun brauchen ist eine europäische Zukunftspartei mit gefragten linken Angeboten im 21. Jahrhundert.

6. 

„Links sein im 21. Jahrhundert“ ist ein Thema, mit dem ich seit 2014 landaus, landab unterwegs bin.
 
Jetzt will ich dazu nur zwei Aspekte andeuten.
Das 21. Jahrhundert hebt sich aus zwei Gründen von den vorigen ab.
 
Negativ droht erstmals real die Gefahr, dass wir die Menschheit und überhaupt alles Leben final vernichten. Die Klimakatastrophe naht rasant und die atomare Katastrophe ist nicht gebannt.
 
Positiv gibt es erstmals die Chance, den Kapitalismus wirklich zu überwinden. Das hat mit neuen Produktivkräften zu tun, die laut Karl Marx immer die Basis für neue Gesellschaften waren.
 
Eine neue Gesellschaftsordnung hatte historisch immer zwei Grundlagen:
neue Energiequellen und neue Informationsmöglichkeiten.
Der Wechsel vom Feudalismus zum Kapitalismus bedurfte der Dampf-, später der Öl-Energie sowie der Telegrafie, später Rundfunk und Fernsehen.
 
Ernstzunehmende Wissenschaftler und Publizisten meinen aktuell:
Die Solaroption im weiten Sinne im Verbund mit der Digitalisierung könnten die materielle Basis für einen neuen gesellschaftlichen Umbruch sein, über den Kapitalismus hinaus. Vorausgesetzt, sie werden entsprechend politisch gesteuert: sozial, ökologisch und friedlich.
 
Wenn dem so ist, dann heißt das auch: Linke im 21. Jahrhundert müssen sozial engagiert, also Rote sein, und zugleich Grüne und Piraten.

7. 

Abschließend noch eine Episode.
 
Ich war zum Thema „Links sein im 21. Jahrhundert“ nach Rostock eingeladen. Kurz zuvor hatte die Rosa-Luxemburg-Stiftung mein Manuskript als Broschüre herausgegeben. Und so schwante mir, wie das werden könnte. Ich trage vor und Leute im Publikum blättern mit, ob ich mich gefälligst an den Text halte. Also dachte ich mir einen neuen Einstieg aus und der geht so:
 
Was ist eigentlich Links, politisch Links? Dazu können Sie Regale voller Bücher lesen. Auch im Netz, zum Beispiel via Wikipedia werden Sie fündig. Die Partei DIE LINKE versucht es in ihrem Programm auf nahezu 100 Seiten zu erklären.
 
Ich biete eine andere, eigene, einfache Erklärung an:
Links ist alles Bestreben, Artikel 1 Grundgesetz – „Die Würde des Menschen ist unantastbar#147;– im wahren Leben zu verankern.
 
Wohl bemerkt, die Würde aller Menschen, nicht nur der Schönen und Reichen, und nicht nur der Deutschen und Weißen.
 
•  Es versteht sich, dass Nationalismus und Rassismus ergo nichts mit Links zu tun haben.
 
•  Die Würde des Menschen braucht eine soziale Basis. 1-Euro-Jobs, Armutsrenten und Hartz IV gehören nicht dazu.
 
•  Zur Würde gehört auch, dass sie und er selbstbestimmt mitbestimmen können und nicht fremdbestimmt werden, also Fragen von Bürgerrechten und Demokratie, übrigens allemal in Zeiten zunehmender Digitalisierung.
 
•  die drohende Klimakatastrophe droht die Würde des Menschen massenhaft zu zerstören.
 
•  Kriege sind a priori darauf angelegt, dies zu tun.
 
Schließlich:
•  Es reicht nicht, Bestehendes zu bewahren. Die Würde aller Menschen bedarf neuer Horizonte, antikapitalistische, sozialistische.
 
Kurzum: Die soziale Frage, Bürgerrechte und Demokratie, Umwelt- und Friedenspolitik, das und mehr ist Links.
 
Wer sich in diesem Sinne mit Alternativen zum neoliberalen Mainstream engagiert, ist mit Blick auf Artikel 1 Grundgesetz ein wahrer Verfassungsschützer, allemal besser als die gleichnamigen Ämter
 
 

 

 

25.9.2020
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