Mit drei Episoden möchte ich euch, möchte ich Sie auf diese Tagung gegen den aktuellen Rechtsextremismus einstimmen. Die erste heißt:
Hass gegen Linke
Die Geschäftsstelle der PDS in Marzahn wurde gerade von Polizisten gestürmt! Diese Botschaft alarmierte mich am Morgen des 19. Februar 1997. Damals war ich Landesvorsitzende der Berliner PDS. Mehr war telefonisch nicht zu erfahren. Also fuhren wir nach Alt-Marzahn. Haus Nummer 64 war umstellt und abgeriegelt. Neben der örtlichen PDS hatte dort Gregor Gysi ein Anwaltsbüro. Außerdem bot der Kleine Buchladen Literatur an. Wie sich alsbald herausstellte, war der Neo-Nazi Kai Diesner eingedrungen und hatte auf den Erstbesten geschossen, der ihm vor seine Pumpgun kam. Es war der Buchhändler Klaus Baltruschat.
Aus Hass gegen die Linke, sagte Diesner vor dem Gericht in Lübeck. Dort wurde verhandelt, weil er Tage später in Schleswig-Holstein einen Polizisten erschossen hatte. Doch der Mord auf einem Autobahn-Parkplatz und der versuchte Mord in Berlin-Marzahn hatte eine unmittelbare Vorgeschichte.
Am 15. Februar 1997 wollten die Jungen Nationaldemokraten (JN), der Nachwuchs der rechtsextremen NPD, in Marzahn-Hellersdorf aufmarschieren. Alle Parteien des Bezirksparlaments, Kirchen, Gewerkschaften und andere Initiativen demonstrierten gemeinsam dagegen - massenhaft, friedlich und erfolgreich, der Neo-Nazi-Aufmarsch fand nicht statt. Noch in der Nacht danach erstattete der damalige Landesvorsitzende der NPD Strafanzeige gegen Gregor Gysi und Petra Pau wegen Aufruf zum Mord. Gregor Gysi war übrigens bei der antifaschistischen Demo in Marzahn-Hellersdorf überhaupt nicht dabei und der Vorwurf gegen mich war einfach absurd.
Nicht für die Berliner Abendschau, der Nachrichtensendung vom Sender Freies Berlin, später Radio Berlin-Brandenburg. Die hatte abends den Innensenator Jörg Schönborn (CDU) als Kronzeugen im Interview. Der verkündete: Die Linke hat eine Menschenhatz auf junge Demokraten veranstaltet. So wurde ein breites antifaschistisches Bündnis zu einer gewalttätigen Linken umgedeutet und eine friedliche Demonstration zur Menschenhatz. Obendrein adelte Schönbohm militante Nazis als junge Demokraten. Alles im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, Dank unserer Gebühren.
Warum kommt mir diese schlimme Geschichte immer wieder in den Sinn? Natürlich im Zusammenhang mit dem totalen Staatsversagen rund um die NSU-Nazi-Mord-Serie. Denn erwiesen ist leider auch: Bei alledem fügten die Medien ihren Teil dem Desaster bei, zu staatsnah, zu opferfern. Das fatale Wort Dönermorde für eine deutschnationale Verbrechensserie ging auf ihr Konto. Und bei aktuellen Debatten für oder gegen eine Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen, also über Menschen in höchster Not, tun sich manche schwer mit Artikel 1 Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Aller Menschen! Nicht nur der Deutschen!
Meine zweite Episode, ebenso in meinem Buch Gottlose Type nachlesbar, ist überschrieben mit
Schmutzfüße
Die Journalistinnen und Journalisten drängelten sich wie sonst kaum auf einer Veranstaltung der LINKEN. Kommt er oder kommt er nicht? Das war ihre Frage. Er kam, Hans-Georg Maaßen, seit 2012 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Sein Vorgänger im Amt, Heinz Fromm, war angesichts des NSU-Desasters zurückgetreten. Näheres gab er nicht kund. Aber unbestritten ist, dass die Ämter für Verfassungsschutz mehr als ein gerüttelt Maß Schuld am Totalversagen der Sicherheitsbehörden hatten.
Verfassungsschutz als Geheimdienst auflösen - V-Mann-Praxis sofort beenden, war die Podiumsdiskussion 2013 in Berlin Prenzlauer Berg überschrieben. Die erste Forderung fand Georg Maaßen erwartungsgemäß voll daneben, was sonst. Die zweite kommentierte er lakonisch: V-Leute sind Schmutzfüße, aber wir kommen ohne sie nicht aus. Immerhin: Eine saubere Offenbarung, finde ich. Der Verfassungsschutz hat Schmutzfüße.
Nur, dass V-Leute keine schmuddeligen Informanten von nebenan sind, sondern gekaufte Spitzel und bezahlte Täter aus dem rechtsextremen Milieu, Nazis, punktum!
Carsten S., zum Beispiel: Er wuchs in Berlin Neuköln auf. Im vereinten Deutschland zog er gen Ost, nach Königs Wusterhausen und erarbeitete sich alsbald in der Nazi-Szene einen gewaltigen Ruf, weit über die Mark Brandenburg hinaus. Anfang der 1990er Jahre versuchte er gemeinsam mit rechten Kameraden einen Nigerianer am Scharmützelsee erst zu erschlagen, dann zu verbrennen, schließlich zu ersäufen. Das Opfer überlebte nur knapp. Carsten S. wurde zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Von da an wurde er interessant für den Brandenburger Verfassungsschutz. Man warb ihn als V-Mann an, Tarnname Piatto. Alsbald bekam er Hafterleichterungen. Sein V-Mann-Führer, ein Beamter des Verfassungsschutzes, chauffierte ihn verlässlich zu Nazi-Konzerten und zurück. Das hielt Carsten S. unter Seinesgleichen. Er blieb auf dem Laufenden und konnte so eine Postille herausgeben, die in der JVA gedruckt und von Nazi-Kumpanen mit viel Lob bedacht wurde. Nur einmal schritt meines Wissens der Verfassungsschutz ein. Man bat Piatto, seine eigenen Artikel in dem Hetzblatt nicht mehr mit seinem Klarnamen Carsten S. zu zeichnen.
Später absolvierte er ein Praktikum mit positiver Beurteilung. Das stimmte die Richterin, die seine vorzeitige Entlassung verfügen sollte, offenbar positiv. Hinzu kam, dass Carsten S., alias Piatto, eine Festanstellung in Aussicht hatte. Auch das sprach für ihn. Er kam vorzeitig frei, mit der klaren Auflage, er habe sich fürderhin strikt von Nazis fernzuhalten.
Was der Richterin verschwiegen wurde: Das erfolgreiche Praktikum hatte Carsten S. in einem Nazi-Laden in Sachsen absolviert. Und als Festanstellung in Aussicht sollte er eine neue Filiale desselben im Raum Berlin-Brandenburg eröffnen. Das alles von Verfassungsschutz Gnaden. So baut man Nazi-Netzwerke auf, anstatt sie zu bekämpfen. Und Piatto war kein Einzelfall im NSU-Komplex. Im Untersuchungsausschuss des Bundestages fragte ich den damaligen V-Mann-Führer von Piatto, ob ihn rückblickend Zweifel plagen. Nein, beteuerte Herr Meyer-Plath. Kurz darauf wurde er Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen.
Meine dritte Episode zum Thema der Konferenz heute heißt
Linke Preisfrage.
Stimmungen inmitten der Gesellschaft kippen nach rechts. Ausländer raus geistert durch viele Köpfe. Antisemitismus ist wieder hoffähig. Gewalt gegen Andersdenkende, Anderslebende und Andersliebende gehört zum Alltag.
Das alles komme nicht überraschend. Das alles war voraussehbar, meinte Prof. Wilhelm Heitmeyer 2017 in einem Interview. Ich war dabei, als er und sein Wissenschaftsteam am 11. 11. 2011 in Berlin die Ergebnisse ihrer Langzeitstudie über Deutsche Zustände vorstellten. Also lange bevor zahlreiche Flüchtlinge und Asylbewerber zu uns kamen. Die Heitmeyer-Forschungen liefen über zehn Jahre. Das Fazit in aller Kürze: Die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu. Ebenso die Akzeptanz von Gewalt als Politikersatz. Als Ursachen für diese fatale Entwicklungen nannte sie: Das Soziale wird ökonomisiert, die Demokratie wird entleert. Auf Politikdeutsch nennt man das neoliberal. Dem Markt wird freier Lauf gelassen, den Banken und Monopolen wird gegeben, der Gesellschaft und dem Einzelnen genommen. Das ist seit über 25 Jahren die dominierende Politik, die sich dadurch obendrein selbst entmündigt.
Wenn Heitmeyer & Team Recht haben, und ich finde Ja, dann ist die neoliberale Politik das tiefer liegende Übel. Ergo müssen Linke gegen alle agieren, die neoliberal unterwegs. Parteipolitisch hieße das: Wir gegen CSU, CDU, FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und gegen die AfD, also wir gegen alle.
So weit, so scheinbar klar.
Aber da gibt es auch eine historische Lehre aus der Zeit des Faschismus. Sie besagt: Die Nazis kamen nicht an die Macht, weil die NSDAP so stark war, sondern weil die Demokraten zu zerstritten waren. Das wiederum würde aktuell bedeuten, breiteste Bündnisse anzustreben: Linke mit SPD, Bündnisgrünen, CDU, FDP, selbst CSU, also - ausgenommen die AfD - wir mit allen.
Beide Strategien passen irgendwie nicht zusammen!
Oder doch? Und wenn doch, dann wie?
Ich gebe es ihnen als Preisfrage mit.
Mit diesen Erinnerungen und Gedanken wünsche ich unserer Konferenz viel Nachdenken und Erfolg.
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