Bürgerrechte verteidigen

Rede von Petra Pau auf der Hauptversammlung der LINKEN Marzahn-Hellersdorf am 23. März 2019

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Es dürften zwei Dutzend Wahlkämpfe und mehr sein, die ich seit 1990 für die Linke geführt habe, davon acht auch in eigener Sache.

Sie waren immer wichtig und fast immer ging es ums vermeintlich Ganze.
Und trotzdem sage ich: Die bevorstehenden Wahlen 2019 ragen heraus.

Es geht um die Frage, ob ein Vorwärts überhaupt noch möglich bleibt, oder ob das Rückwärts obsiegt: in der EU, auch in Deutschland.

Letzteres wäre fatal!

Keine Linke, kein Linker, kann die Europäische Union, so, wie sie ist, gut finden.
Aber keine EU wäre ein Rückfall in Zeiten, da ein nationalistisches Gegeneinander in zwei Weltkriegen mündete.

Dagegen müssen wir aufklären und agieren!

In nahezu allen EU-Staaten gibt es Parteien, die das Nationale über das Internationale stellen. Hierzulande ist es vor allem die AfD.

Und in nahezu allen EU-Staaten versuchen diese Parteien, Mehrheiten für sich zu vereinnahmen, auch hierzulande.

Wenn ihnen das gelänge, so wäre das verheerend.

Deshalb geht es darum, alle Unschlüssigen für die Wahlen zu motivieren, die eine bessere Europäische Union wollen.

Die borniert-nationalen Ewiggestrigen jedenfalls dürfen nicht gewinnen!

Allemal, da es Herausforderungen gibt, die lassen sich national einfach nicht mehr lösen, sondern nur noch gemeinsam, international, global.

Dazu gehört die drohende Klima-Katastrophe, dazu gehört eine normierte Digitalisierung, dazu gehört die Eindämmung der Finanzallmacht.

Auch deshalb ist eine reformierte Europäische Union unverzichtbar!

Anfang dieser Woche war der 18. März. Ein historisches Datum, das auf die bürgerlich-demokratische Revolution anno 1848 verweist.

Im Land Berlin ist der 18. März seit kurzem ein offizieller Gedenktag.
Im Bund noch nicht, ich werde weiterhin dafür streiten.

Auch an diesem 18. März haben wir auf dem „Friedhof der Märzgefallenen“ im Friedrichshain und vordem am Brandenburger Tor dieser und weiterer historischer Ereignisse dieses Datums gedacht. Ich war erneut um eine Rede gebeten worden.

Und so sprach ich auch über den 18. März 1990, dem Tag der ersten und letzten freien, geheimen und gleichen Wahl zur Volkskammer der DDR.
Ich sagte unter anderem:

„Nach diesem 18. März 1990 zog im Osten westlicher Stillstand ein.
Ruhe, nicht Aufbruch. Selbst der Verfassungsentwurf des Runden Tisches wurde fortan ignoriert. Dabei standen darin spannende Sachen.

Zum Beispiel in Artikel 8: „Jeder hat das Recht an seinen persönlichen Daten und auf Einsicht in ihn betreffende Akten und Dateien. Ohne freiwillige und ausdrückliche Zustimmung des Berechtigten dürfen persönliche Daten nicht erhoben, gespeichert, verwendet, verarbeitet oder weitergegeben werden.“

Vergleichen Sie das einmal mit den aktuellen Plänen von Innenminister Seehofer.

Oder Artikel 43 „Die Staatsflagge (...) trägt die Farben schwarz-rot-gold. Das Wappen des Staates ist die Darstellung des Mottos „Schwerter zu Pflugscharen“.“

2% BIP für Rüstung und Militär passt da schlecht ins Bild.

Auch Volksbegehren und Volksentscheide waren im Verfassungsentwurf verankert. Wir kämpfen heute noch darum auf Bundesebene, bislang erfolglos.

Datenschutz, Abrüstung, soziale Gerechtigkeit, mehr Demokratie - diese Verfassung war als Mitgift des Runden Tisches der DDR für ein neues Deutschland gedacht. Ein bürgerrechtliches Drängen, das Erinnerung verdient. Bei den üblichen und offiziellen Rückblicken auf den Beginn der deutschen Einheit wird dies allerdings tunlichst ausgeblendet. Warum wohl?

Der Ruf „Wir sind das Volk“ bedeutete zu DDR-Endzeiten 1989/90 übrigens für offene Grenzen - für Demokratie - für freie Presse.
Also das Gegenteil von Pegida & Co. heute.
Denn die demonstrieren nationalistisch gegen offene Grenzen - gegen Demokratie - gegen freie Presse.

Dazwischen liegen fast 30 Jahre und Welten.“

Ich hatte auf dieser Gedenkstunde „18. März“ ebenso daran erinnert:
Bürgerrechte und Demokratie mussten stets erkämpft werden.
Und wenn sie nicht verteidigt werden, dann sind sie höchst gefährdet.

Laut amnesty international werden Bürgerrechte und Demokratie seit Jahren in allen EU-Staaten abgebaut, auch in der Bundesrepublik Deutschland.

Die neuen Polizeigesetze in Bayern und Sachsen sind ein Beleg dafür und ich hoffe sehr, dass sie vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden.

Die aktuellen Hochrüstungspläne von Innenminister Seehofer für die Ämter für Verfassungsschutz sind genauso fatal. Sie sollen befugt werden, sämtliche digitalen Geräte zu hacken, also Computer, Tablets, Smartphones, auch ohne richterliche Befugnisse - willkürlich, nach Schlechtdünken.

Ihr kennt meine Meinung: Die Ämter für Verfassungsschutz sind nicht aufzurüsten, sondern als Geheimdienste aufzulösen, alles andere ist undemokratisch.

Aber es gibt auch Mutmacher:

Hunderttausende Schülerinnen und Schüler gehen seit Wochen freitags auf die Straße, um für die Rettung des Klimas und ihre Zukunft zu demonstrieren.

Ich habe kein Verständnis für Politiker, die ihnen arrogant und engstirnig einen Verstoß gegen die Schulpflicht vorwerfen, anstatt sie ernst zu nehmen.

EU-weit wird auch heute dagegen protestiert, dass das Internet und die Meinungsfreiheit durch digitale Filter blockiert werden.

Und wir haben es alle erlebt, als im September vorigen Jahres eine Viertel-Millionen in Berlin gegen Rassismus und Intoleranz demonstriert haben.

Fakt ist: Derzeit werden Weichen gestellt - außerparlamentarisch und bei Wahlen.
Das macht das Jahr 2019 so spannend und wichtig, allemal für uns Linke!

Also: auf geht's!
 
 

 

 

23.3.2019
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