Die LINKE-Politikerin Petra Pau vermisst in ihrer Partei grundsätzliche Auseinandersetzungen über Digitalisierung, Einwanderung, den Sozialstaat und das Verhältnis zu Europa
Gesellschaftliche Grundstimmungen tendieren gen Rechts. Mitte-Links-Bündnisse von Relevanz sind nicht in Sicht. Und die Frage, welche Rolle die LINKE in Deutschland und Europa bei alledem spielen sollte, ist umstritten. Wobei spielen den Ernst der Lage verniedlicht. Ältere wähnen sich an die Zeit 1928 bis 1933 erinnert, vor der Machtübernahme durch die Nazis. Fakt ist: Rassismus und Nationalismus sind auf dem Vormarsch. Antisemitismus wird immer unverhohlener. Hass und Gewalt bestimmen zunehmend den Alltag vieler, nicht nur in asozialen Netzwerken. Die Gebote des Grundgesetzes, begonnen mit Artikel 1, taumeln: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wohl bemerkt: aller Menschen, nicht nur der Schönen und Reichen, und nicht nur der Deutschen und Weißen. Hinzukommt: Ein zweiter Kalter Krieg zwischen dem sogenannten Westen und Russland droht. Die atomare Gefahr wurde nie gebannt. Nun wird sie neu entfacht.
All das und mehr wären Grund genug für einen außerordentlichen Parteitag der LINKEN. Umso wichtiger ist es, dass sich der ohnehin geplante Parteitag im Juni in Leipzig der eigenen Verantwortung stellt: inhaltlich, nicht gegeneinander, sondern miteinander. Wobei es thematisch, abseits von kräftigen Slogans, hinreichend Hängepartien gibt.
Das beginnt bei der Generalfrage. Warum werden linke Alternativen so wenig gefragt? Sind sie nicht stimmig oder nicht glaubwürdig oder nicht zeitgemäß? Wir sind im 21. Jahrhundert und vieles deutet daraufhin, dass alte linke Antworten längst nicht mehr reichen. Was sagt die LINKE zur Digitalisierung? Seit eineinhalb Jahren gibt es dazu ein Diskussionsangebot aus der Linksfraktion im Bundestag. Eine Generaldebatte dazu, begonnen im Parteivorstand, ist mir bislang nicht bekannt.
Ein weiteres gesellschaftliches Thema ist das bedingungslose Grundeinkommen. Die gleichnamige Bundesarbeitsgemeinschaft der LINKEN hat dazu seit langem ein eigenes Konzept entwickelt. Spielt es in der Partei, begonnen beim Vorstand, eine herausragende Rolle? Ostdeutsche Linke haben Grundsätze für ein Zuwanderungsgesetz erarbeitet – nicht zu verwechseln mit dem garantierten Grundrecht auf Asyl. Gibt es eine parteiweite Debatte dazu, angeregt und koordiniert? Die Positionen der LINKEN zur Europäischen Union sind zu Recht kritisch. Aber zwischen zustimmend kritisch und kritisch ablehnend liegen Welten. Dabei geht es auch darum, ob sich die deutsche Linkspartei national oder international verortet.
Kurzum: Ich finde, es ist höchste Zeit für eine aktuell strategische und für eine neue programmatische Debatte der Partei DIE LINKE.
Medienträchtige Auftritte hingegen, wer vom Spitzenpersonal der LINKEN wen mag und wen warum nicht, ist für Bürgerinnen und Bürger im besten Fall irrelevant, wirken in aller Regel aber komplett überflüssig schlimmer.
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