Es geht um mehr - nicht dann, sondern jetzt

Rede von Petra Pau auf der Hauptversammlung der LINKEN Marzahn-Hellersdorf am 31. März 2012

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1. 

Vorab ein paar Bemerkungen zur politischen Großwetterlage.
 
Auch wenn die Medien versuchen, Nebenthemen zu puschen: Wir haben es mit einer ungelösten Euro-Krise, mit einer Europa-Krise und mit einer dramatischen Demokratie-Krise zu tun.
 
Hinzu kommt, dass zur vermeintlichen Rettung der EU das Sozialstaatsprinzip zerschlagen wird. Selbst vermeintlich heilige Kühe, wie die Tarifautonomie, werden geschlachtet
 
Es ist eine Krise des Kapitalismus.
 
Das haben wir Linken seit langem gesagt. Nun sagen es auch Nicht-Linke. Meine Betonung liegt aber nicht auf „Krise“, sondern auf „ungelöst“. Was also schlagen wir vor?

2. 

Die Fraktion DIE LINKE hat einen 8-Punkte-Plan beschlossen. Er reicht von einem „Investitionsprogramm zum sozialökologischen Umbau“ über eine „Millionärsabgabe und Transaktionssteuer“ bis zum Umbau des Banken- und Finanzsystems, EU-weit.
 
Das alles ist in sich schlüssig. Finde ich. Aber wer weiß davon? In der Gesellschaft, aber auch in der LINKEN. Alle spüren: Wir werden vom Wahnsinn beherrscht. Aber auch DIE LINKE in Marzahn-Hellersdorf muss sich fragen, wie wir dem verständlich begegnen.

3. 

Nun kenne ich meine Bundestagsfraktion. Alle drei Monate gibt es Appelle: Lasst uns auf drei Themen verständigen, die prägend und wichtig sind. Und alle drei Monate stellen wir fest: Wir haben stattdessen 30 Themen gesetzt, weil alle Abgeordneten für sich wichtig sind.
 
Das ist übrigens ein grundsätzliches Problem auch der Partei DIE LINKE. Quartal für Quartal beschließt der Vorstand neue Kampagnen. Letztlich findet keine statt. Sie kommen an der Basis der LINKEN nicht an, bei den Bürgerinnen und Bürgern noch weniger.

4. 

Nun war ich war am 3. März dabei, als Klaus Jann wieder mal eine Wette gewann. Er ist ein linkes Urgestein aus Wülfrath (NRW), auch als Roter Reporter bekannt. Ein Mann der Tat. Schafft es DIE LINKE bundesweit mit 400 Info-Ständen präsent zu sein? Es wurden 420.
 
Das war eine wichtige Antwort - auch auf innerparteiliche Konflikte und Personal-Querelen, die ich einfach satt habe. Wir müssen raus aus Debatten, die nur uns beschäftigen. Und wieder erlebbar rein in die Sorgenwelt, die immer mehr Bürgerinnen und Bürger belastet.
 
Ich schildere jetzt nicht, was ich an diesem 3. März an drei avisierten Info-Ständen unserer Partei in Marzahn-Hellersdorf erlebt habe. Ich sage nur: So geht es nicht. Genossen standen allein auf weiter Flur. Anderswo wurde die DDR symbolisiert. Und ein Konzept konnte ich nicht erkennen.
 
Wir haben vorigen Jahres Wahlen verloren, im Land und im Bezirk. Wir haben Wählerinnen und Wähler verloren. Und wir haben viel Jugend nicht gewonnen. In Umfragen liegen wir tief. Meine Alarmglocken läuten. Man kann dafür Schuldige suchen. Ich suche den Aufbruch.

5. 

Ich sage das auch vor einem ganz anderen Hintergrund. Seit Januar bin ich für DIE LINKE in dem Untersuchungsausschuss des Bundestags, der sich mit der NSU-Nazi-Mordserie befasst. Darüber können und sollten wir uns gern noch mal extra unterhalten.
 
Aber klar ist: Es geht um Rechtsextremismus, um Rechtsterrorismus, um zehn Morde aus fanatisch germanisch-rassistischem Hass. Erinnert euch an den Nazi Kai Diesner, 1997, in Marzahn. Aus „Hass auf die Linke“ hatte er auf Klaus Baltruschat geschossen. Das traf und betrifft uns alle.
 
Und wieder mahne ich: Kommentare, wie, „wir haben es immer gewusst und immer gesagt“, helfen uns keinen Deut weiter. Auch das prompt wieder geforderte Verbot der NPD geht nicht an die Wurzel des Problems. So richtig es auch sein mag.

6. 

Vor einem Jahr wurde ein neuer Landtag in Sachsen-Anhalt gewählt. Die NPD verpasste die 5-Prozenthürde knapp. Das wurde allgemein begrüßt. Auch von unserer Partei. Ein Blick hinter die 5-Prozent-Zahl allerdings zeigte etwas ganz anderes.
 
Die NPD hatte zweistelligen Zuspruch, übrigens auch in Mecklenburg-Vorpommern und nicht nur da: bei Arbeitslosen, bei prekär Beschäftigten, bei jungen Männern, bei Schülern unter 18 Jahren und auf dem Lande. Bis zu 18 Prozent! Und häufig mehr Zustimmung, als DIE LINKE.
 
Das war vor Jahren noch völlig anders. Da galt die Linke - im Osten - als Alternative zur herrschenden Politik. Nun sind es zunehmend extrem Rechte. Das ist keine Frage der NPD. Hier spiegeln sich Sorgen inmitten der Gesellschaft. Und, dass wir offensichtlich zu wenig Hoffnung bieten.

7. 

Ich könnte dieselbe Rechnung auch mit Blick auf die Piraten aufmachen. Sie sammeln derzeit viele politisch Interessierte, die sich durch andere Parteien zu wenig vertreten und eingebunden fühlen. Das muss uns schmerzen, zumal wir immer für mehr Demokratie waren und sind.
 
Aber auch hier erlebe ich tollkühne Reaktionen. Die Berliner LINKE versucht auszuloten, wo es Gemeinsamkeiten gibt. Anderswo demonstriert zur selben Zeit die antikapitalistische Linke unserer Partei mit Transparenten. Auf ihnen steht: „Piraten = unsozial!“
 
Gründlicher kann man Probleme nicht missverstehen. Es geht nicht um die Piraten als Partei. Sondern um Bürgerinnen und Bürger, die sich zunehmend regiert, statt gefragt fühlen. Und auch die Wahl im Saarland zeigt: Wähler wandern von der LINKEN massenhaft zu den Piraten.

8. 

Meine Sorge ist: Verpassen wir nicht die Zeichen der Zeit und wiegen wir uns bitte nicht in Gewissheiten. Die SPD fährt derzeit eine klare Strategie der Ausgrenzung. Sie versucht die Funktion der LINKEN ad absurdum zu führen. Nach dem Motto: DIE LINKE will Unmögliches und kann nichts.
 
Das ist Schwachsinn, aber deswegen nicht wirkungslos. Eine Partei ohne anerkannte Funktion ist tot. Siehe FDP. Egal, wie viel Ideologie sie auch produziert. Die Strategen der SPD haben sich also durchaus etwas gedacht. Auf Bundesebene und bis in den Bezirk hinein. Das schmerzt.
 
Aber ein Kommentator der taz hat das Bundes-Dilemma richtig beschrieben. Die SPD ist auf einem Horrortrip. Aber DIE LINKE ist nicht besser, so lange sie in der SPD ihren Hauptfeind sieht. Das gab es in der Geschichte übrigens schon einmal. Zukunft ist so nicht zu gewinnen.

9. 

Unsere Partei hatte in ihrer über 20-jährigen Geschichte seit 1990 viele Funktionen. Wir waren angetreten als neue Linke und in Abkehr zum „Stalinismus als System“. Wir haben die Interessen Ostdeutscher verteidigt, als diese westdeutsch untergebuttert wurden.
 
Wir haben uns dagegen gestellt, als Deutschland wieder Kriegspartei wurde. Wir sind an der Seite aller Bürgerinnen und Bürger, die von „Hartz IV“ und überhaupt der rot-grünen Agenda 2010 betroffen sind.
 
Mit Protest haben wir gewonnen. Das ist gut so. Aber das reicht nicht. Vielleicht noch in NRW, wo wir um 5 Prozent kämpfen. Aber nicht, wenn es um Mehrheiten für einen Demokratischen Sozialismus geht. DIE LINKE muss eine Pro-Partei sein, eine gefragte Pro-Partei.
 
Wir müssen die zentralen Zukunftsfragen verinnerlichen und verkörpern. Das ist der sozial-ökologische Umbau - eine Revolution. Das ist die Erweiterung der Demokratie - eine Riesen-Herausforderung. Und das ist ein weltweit solidarisches Miteinander - auch das gab es noch nie.

10. 

Wir könnten auch aufzeigen, was die neue SPD-CDU-Regierung in Berlin schon alles zerstört hat, was dank der Linken unter Rot-Rot mühsam aufgebaut wurde. Das müssen wir auch tun. Unbedingt! Aber das hat trotzdem immer auch einen rückwärts-beleidigten Anstrich.
 
Denn wir haben es offenbar nicht vermocht, eine große rote Linie zu prägen. Nämlich: Links bedeutet auch, dass alles, was jeder Mann und jede Frau und jedes Kind unbedingt braucht, öffentlich-rechtlich sein sollte: Bildung, Mobilität, Energie, Gesundheit und so weiter.
 
„Re-Kommunalisierung“ heißt das Neu-Wort. Fast quer durch alle Parteien. Aber es elektrisiert nicht. Deshalb sage ich noch mal. Wir müssen raus auf die Straßen, ran an die Bürgerinnen und Bürger. Aber bitte nicht nur mit der Botschaft: Wir haben ganz viel Buntpapier.
 
S-Bahn für Berlin! Wasser für Berlin! Energie für Berlin! Sozial, ökologisch und demokratisch. Alle drei Lebensmittel wurden an privat verhökert. Nur DIE LINKE will sie zurück holen, weil.... Warum nicht drei Aktionstage und viele Info-Stände genau dazu?

11. 

2012 gibt es drei unplanmäßige Wahlen. Die erste war im Saarland, die nächste wird in Schleswig-Holstein sein, dann folgt Nordrhein-Westfalen. Ich schließe allerdings überhaupt nicht aus, dass es noch eine vierte geben kann: nämlich eine vorgezogener Bundestagswahl.
 
Fliegt die FDP auch bei der NRW-Wahl raus, dann wird die Verlockung für die CDU/CSU übergroß, Schwarz-Gelb auf Bundesebene zu beenden. Entscheidender ist der Konflikt um den erweiterten Euro-Rettungsschirm. Er geht nur im Bündnis von Union und SPD.
 
Noch wird gepokert. Und deswegen wiederhole ich: Wir alle sollten die Alternativen der LINKEN parat haben. Als Pro-Partei einer solidarischen Europäischen Union und gegen alle Versuche, Griechen, Spanier oder Italiener deutsch-überheblich abzuwerten.

12. 

Vieles läuft auf eine große Koalition im Bund hinaus. Mit viel Raum für alternative Linke. Aber ohne jeglichen Automatismus. Entscheidend ist nicht, ob wir uns gut finden. Sondern ob Bürgerinnen und Bürger unsere Alternativen stärken. Sie tun es derzeit weniger.
 
Wir wollen mehr. Ich bin dazu bereit. Ihr wisst: Zwei Jahre lang habe ich um meine Stimme gerungen. Ich fühle mich auf dem Weg der Besserung. Deshalb möchte ich gern erneut mit euch um unser Marzahn-Hellersdorfer Direktmandat zum nächsten Bundestag zu kämpfen.
 
Dabei bin ich frei von Illusionen. Das wird kein Selbstläufer! Sondern viel schwieriger als 2005 oder 2009. Wir haben keinen Heimvorteil mehr. Der Gegenwind wir stärker und es gibt eine neue Wählerstruktur. Also lasst uns gemeinsam und desto trotz kämpfen. Nicht dann, sondern jetzt.

 

 

31.3.2012
www.petra-pau.de

 

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